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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887.

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§ 54. Königsrecht und Kapitularien.
aus, so bedarf es der Zustimmung des Volkes, damit sie volksrecht-
liche Kraft erlange.

Als solche mit dem Volke vereinbarte Satzungen stellen sich ver-
schiedene Zusätze zur Lex Salica dar. So ist das Edikt König Chil-
perichs, dessen einzelne Sätze sich mit convenit, placuit et convenit
einführen, unter Zustimmung der Optimaten, Antrustionen und des
ganzen Volkes beschlossen worden2. Dass auch der Pactus pro tenore
pacis von Childebert I. und Chlothar I. auf ähnliche Weise zustande
kam, beweist der Name pactus, den er mit verschiedenen Volks-
rechten teilt3, und beweisen die auf ihn bezüglichen Nachrichten der
Epiloge zur Lex Salica4. Die in dem Pactus zur Wahrung und Ver-
besserung des Landfriedens angeordneten Einrichtungen beanspruchen
territoriale Geltung. Ein Landes- und nicht bloss ein Stammesgesetz
scheint auch ein Dekret Childeberts II. von 596 für Austrasien ge-
wesen zu sein. Es veröffentlicht eine Reihe von Beschlüssen, die auf
den Märzfeldern von Andernach, Maestricht und Köln gefasst worden
waren5.

Das Edikt Chlothars II. von 614 ist eine carta libertatis, welche
der König auf Grund eines mit den fränkischen Grossen eingegangenen
Kompromisses gewährt. Es enthält keine Abänderung des Volks-
rechtes, sondern stellt sich als ein Reichsschluss dar, durch welchen
der König gewisse Konzessionen gewährleistet und die Abstellung von
Missbräuchen verspricht. Eine an die Beamten gerichtete Verordnung
ist die "praeceptio" Chlothars II., deren Bestimmungen zum grossen
Teile den Versprechungen des Edikts korrespondieren. Der Inhalt
schliesst sich zumeist an das römische Recht an, dessen Beobachtung
der römischen Bevölkerung zugesichert wird6.

2 Cap. I 8.
3 Pactus nennt sich die Decretio Childeberts I. (Cap. I 4). Das Wort kann
hier nicht etwa auf eine Vereinbarung zwischen Chlothar I. und Childebert I. be-
zogen werden. Dann wird man aber auch der Überschrift des Ganzen "pactus pro
tenore pacis" etc. keinen anderen Sinn beilegen dürfen.
4 Es heisst hier von Childebert I.: pertractavit, quod ibi cum suis Francis
addere deberet, von Chlothar: cum rignum sum pertractavit ut quid addere debirit
ibidem. Hessels, Lex Sal. col. 423. Im Texte des Pactus wird allerdings eine
Mitwirkung des Volkes nicht erwähnt, ausgenommen die Leydener Handschrift,
nach welcher der pactus Childeberti apud nos maioresque natus Francorum palacii
procerum beschlossen worden ist.
5 Cap. I 15.
6 Fahlbeck, Royaute S 323--337. -- Ausser den angeführten Stücken haben
wir aus merowingischer Zeit noch das oben S 189 erwähnte Schreiben Chlodovechs,
eine Verordnung Childeberts I. gegen das Heidentum, ein an die Geistlichkeit und

§ 54. Königsrecht und Kapitularien.
aus, so bedarf es der Zustimmung des Volkes, damit sie volksrecht-
liche Kraft erlange.

Als solche mit dem Volke vereinbarte Satzungen stellen sich ver-
schiedene Zusätze zur Lex Salica dar. So ist das Edikt König Chil-
perichs, dessen einzelne Sätze sich mit convenit, placuit et convenit
einführen, unter Zustimmung der Optimaten, Antrustionen und des
ganzen Volkes beschlossen worden2. Daſs auch der Pactus pro tenore
pacis von Childebert I. und Chlothar I. auf ähnliche Weise zustande
kam, beweist der Name pactus, den er mit verschiedenen Volks-
rechten teilt3, und beweisen die auf ihn bezüglichen Nachrichten der
Epiloge zur Lex Salica4. Die in dem Pactus zur Wahrung und Ver-
besserung des Landfriedens angeordneten Einrichtungen beanspruchen
territoriale Geltung. Ein Landes- und nicht bloſs ein Stammesgesetz
scheint auch ein Dekret Childeberts II. von 596 für Austrasien ge-
wesen zu sein. Es veröffentlicht eine Reihe von Beschlüssen, die auf
den Märzfeldern von Andernach, Maestricht und Köln gefaſst worden
waren5.

Das Edikt Chlothars II. von 614 ist eine carta libertatis, welche
der König auf Grund eines mit den fränkischen Groſsen eingegangenen
Kompromisses gewährt. Es enthält keine Abänderung des Volks-
rechtes, sondern stellt sich als ein Reichsschluſs dar, durch welchen
der König gewisse Konzessionen gewährleistet und die Abstellung von
Miſsbräuchen verspricht. Eine an die Beamten gerichtete Verordnung
ist die „praeceptio“ Chlothars II., deren Bestimmungen zum groſsen
Teile den Versprechungen des Edikts korrespondieren. Der Inhalt
schlieſst sich zumeist an das römische Recht an, dessen Beobachtung
der römischen Bevölkerung zugesichert wird6.

2 Cap. I 8.
3 Pactus nennt sich die Decretio Childeberts I. (Cap. I 4). Das Wort kann
hier nicht etwa auf eine Vereinbarung zwischen Chlothar I. und Childebert I. be-
zogen werden. Dann wird man aber auch der Überschrift des Ganzen „pactus pro
tenore pacis“ etc. keinen anderen Sinn beilegen dürfen.
4 Es heiſst hier von Childebert I.: pertractavit, quod ibi cum suis Francis
addere deberet, von Chlothar: cum rignum sum pertractavit ut quid addere debirit
ibidem. Hessels, Lex Sal. col. 423. Im Texte des Pactus wird allerdings eine
Mitwirkung des Volkes nicht erwähnt, ausgenommen die Leydener Handschrift,
nach welcher der pactus Childeberti apud nos maioresque natus Francorum palacii
procerum beschlossen worden ist.
5 Cap. I 15.
6 Fahlbeck, Royauté S 323—337. — Auſser den angeführten Stücken haben
wir aus merowingischer Zeit noch das oben S 189 erwähnte Schreiben Chlodovechs,
eine Verordnung Childeberts I. gegen das Heidentum, ein an die Geistlichkeit und
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[376/0394] § 54. Königsrecht und Kapitularien. aus, so bedarf es der Zustimmung des Volkes, damit sie volksrecht- liche Kraft erlange. Als solche mit dem Volke vereinbarte Satzungen stellen sich ver- schiedene Zusätze zur Lex Salica dar. So ist das Edikt König Chil- perichs, dessen einzelne Sätze sich mit convenit, placuit et convenit einführen, unter Zustimmung der Optimaten, Antrustionen und des ganzen Volkes beschlossen worden 2. Daſs auch der Pactus pro tenore pacis von Childebert I. und Chlothar I. auf ähnliche Weise zustande kam, beweist der Name pactus, den er mit verschiedenen Volks- rechten teilt 3, und beweisen die auf ihn bezüglichen Nachrichten der Epiloge zur Lex Salica 4. Die in dem Pactus zur Wahrung und Ver- besserung des Landfriedens angeordneten Einrichtungen beanspruchen territoriale Geltung. Ein Landes- und nicht bloſs ein Stammesgesetz scheint auch ein Dekret Childeberts II. von 596 für Austrasien ge- wesen zu sein. Es veröffentlicht eine Reihe von Beschlüssen, die auf den Märzfeldern von Andernach, Maestricht und Köln gefaſst worden waren 5. Das Edikt Chlothars II. von 614 ist eine carta libertatis, welche der König auf Grund eines mit den fränkischen Groſsen eingegangenen Kompromisses gewährt. Es enthält keine Abänderung des Volks- rechtes, sondern stellt sich als ein Reichsschluſs dar, durch welchen der König gewisse Konzessionen gewährleistet und die Abstellung von Miſsbräuchen verspricht. Eine an die Beamten gerichtete Verordnung ist die „praeceptio“ Chlothars II., deren Bestimmungen zum groſsen Teile den Versprechungen des Edikts korrespondieren. Der Inhalt schlieſst sich zumeist an das römische Recht an, dessen Beobachtung der römischen Bevölkerung zugesichert wird 6. 2 Cap. I 8. 3 Pactus nennt sich die Decretio Childeberts I. (Cap. I 4). Das Wort kann hier nicht etwa auf eine Vereinbarung zwischen Chlothar I. und Childebert I. be- zogen werden. Dann wird man aber auch der Überschrift des Ganzen „pactus pro tenore pacis“ etc. keinen anderen Sinn beilegen dürfen. 4 Es heiſst hier von Childebert I.: pertractavit, quod ibi cum suis Francis addere deberet, von Chlothar: cum rignum sum pertractavit ut quid addere debirit ibidem. Hessels, Lex Sal. col. 423. Im Texte des Pactus wird allerdings eine Mitwirkung des Volkes nicht erwähnt, ausgenommen die Leydener Handschrift, nach welcher der pactus Childeberti apud nos maioresque natus Francorum palacii procerum beschlossen worden ist. 5 Cap. I 15. 6 Fahlbeck, Royauté S 323—337. — Auſser den angeführten Stücken haben wir aus merowingischer Zeit noch das oben S 189 erwähnte Schreiben Chlodovechs, eine Verordnung Childeberts I. gegen das Heidentum, ein an die Geistlichkeit und

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1887, S. 376. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte01_1887/394>, abgerufen am 29.04.2024.