Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

Bild:
<< vorherige Seite

§ 100. Vorsprecher und Anwälte.
niederl. talman, isl. talsmadr, altfranz. avantparlier, anglo-norman-
nisch conteur, steht als Hilfsperson neben der Partei vor Gericht,
um ihr Wort zu sprechen. In Bezug auf seine rechtliche Stellung
zeigen die deutschen, die langobardischen und die französisch-norman-
nischen Quellen eine so weit gehende Übereinstimmung, dass schon
daraus eine mindestens in die fränkische Zeit zurückreichende gemein-
same Grundlage erschlossen werden darf. Der Vorsprecher hat nur
Vollmacht, das Wort der Partei zu sprechen, wie es ihm aufgetragen
worden. Das Wort des Vorsprechers gilt daher als Wort der Partei
erst dann, wenn sie es als das ihrige anerkannt hat. Darum wird die
Partei nach jeder Rede des Vorsprechers gefragt, ob sie dessen Wort
für ihr eigenes Wort gelten lasse. Hat der Vorsprecher missege-
sprochen, so mag die Partei erklären, dass sie ihn zu solcher Rede
nicht beauftragt habe, und dann eine bessere Erklärung abgeben. So
gelangte man mit strenger Festhaltung des Grundsatzes 'ein Mann ein
Wort' durch Bestellung eines, auf den Auftrag der Partei beschränkten
Vorsprechers zum Rechte der Besserung des vor Gericht gesprochenen
Wortes (nachmals Recht der Erholung und Wandelung, droit d'amen-
dement). Der von der Partei desavouierte Vorsprecher hatte jedoch
weil er nicht das Wort der Partei, sondern sein eigenes Wort ge-
sprochen, eine Busse zu zahlen, wie nach einem schon in Quellen der
merowingischen Zeit bezeugten Rechtssatze jeder, der in fremder Sache
ohne das Recht der Rede vor Gericht gesprochen hatte5. Der Vor-
sprecher musste sich die Erlaubnis, das Wort der Partei zu sprechen,
vom Gerichte erteilen lassen; er musste sich als Vorsprecher ein-
dingen6. Mit Rücksicht auf die formelle Unselbständigkeit des Vor-

c. 1, Schmid, Ges. d. Ags. S. 390. Wright-Wülcker I 140, 3: causidicus,
advocatus forespeca, I 183, 33: advocatus, patronus vel interpellator forspeca vel
mundbora.
5 Pertz, Dipl. Nr. 66, S. 59. Amalrich hatte im Königsgerichte der Solsadie-
rung seines abwesenden Vaters widersprochen. Interrogatum fuit Amalrico .. quo
ordine in ac causa introire volibat .. Inventum fuit .. quod contra racionis ordi-
nem .. in ac causa introisset. Sic ei fuit iudicatum, ut in exfaido et fredo solidos
quindecem pro ac causa fidem facere debirit (zehn dem Gegner, fünf als fredus).
Cap. legg. add. v. J. 803, c. 4, I 113: si quis hominem in iudicio iniuste contra
alio altercantem adiuvare per malum ingenium praesumpserit atque inde coram
iudicibus vel comite increpatus fuerit et negare non potuerit, solidos XV culpabilis
iudicetur. Denselben Rechtssatz und dieselbe Busse von 15 Solidi enthält bereits
Lex Sal. Hessels 77: De eum, qui causa aliena dicere praesumpserit, cui nec
demandata nec laevespita fuerit et non potuit vindicare, sol. XV culp. iud. De
postea ei, cui causa est, liceat legibus causam suam mallare.
6 Die Beschränkung des Vorsprechers auf das von der Partei aufgetragene
Wort war nur eine formelle. Die Vollmacht wurde nach aussen hin in jener Weise

§ 100. Vorsprecher und Anwälte.
niederl. talman, isl. talsmađr, altfranz. avantparlier, anglo-norman-
nisch conteur, steht als Hilfsperson neben der Partei vor Gericht,
um ihr Wort zu sprechen. In Bezug auf seine rechtliche Stellung
zeigen die deutschen, die langobardischen und die französisch-norman-
nischen Quellen eine so weit gehende Übereinstimmung, daſs schon
daraus eine mindestens in die fränkische Zeit zurückreichende gemein-
same Grundlage erschlossen werden darf. Der Vorsprecher hat nur
Vollmacht, das Wort der Partei zu sprechen, wie es ihm aufgetragen
worden. Das Wort des Vorsprechers gilt daher als Wort der Partei
erst dann, wenn sie es als das ihrige anerkannt hat. Darum wird die
Partei nach jeder Rede des Vorsprechers gefragt, ob sie dessen Wort
für ihr eigenes Wort gelten lasse. Hat der Vorsprecher missege-
sprochen, so mag die Partei erklären, daſs sie ihn zu solcher Rede
nicht beauftragt habe, und dann eine bessere Erklärung abgeben. So
gelangte man mit strenger Festhaltung des Grundsatzes ‘ein Mann ein
Wort’ durch Bestellung eines, auf den Auftrag der Partei beschränkten
Vorsprechers zum Rechte der Besserung des vor Gericht gesprochenen
Wortes (nachmals Recht der Erholung und Wandelung, droit d’amen-
dement). Der von der Partei desavouierte Vorsprecher hatte jedoch
weil er nicht das Wort der Partei, sondern sein eigenes Wort ge-
sprochen, eine Buſse zu zahlen, wie nach einem schon in Quellen der
merowingischen Zeit bezeugten Rechtssatze jeder, der in fremder Sache
ohne das Recht der Rede vor Gericht gesprochen hatte5. Der Vor-
sprecher muſste sich die Erlaubnis, das Wort der Partei zu sprechen,
vom Gerichte erteilen lassen; er muſste sich als Vorsprecher ein-
dingen6. Mit Rücksicht auf die formelle Unselbständigkeit des Vor-

c. 1, Schmid, Ges. d. Ags. S. 390. Wright-Wülcker I 140, 3: causidicus,
advocatus forespeca, I 183, 33: advocatus, patronus vel interpellator forspeca vel
mundbora.
5 Pertz, Dipl. Nr. 66, S. 59. Amalrich hatte im Königsgerichte der Solsadie-
rung seines abwesenden Vaters widersprochen. Interrogatum fuit Amalrico .. quo
ordine in ac causa introire volibat .. Inventum fuit .. quod contra racionis ordi-
nem .. in ac causa introisset. Sic ei fuit iudicatum, ut in exfaido et fredo solidos
quindecem pro ac causa fidem facere debirit (zehn dem Gegner, fünf als fredus).
Cap. legg. add. v. J. 803, c. 4, I 113: si quis hominem in iudicio iniuste contra
alio altercantem adiuvare per malum ingenium praesumpserit atque inde coram
iudicibus vel comite increpatus fuerit et negare non potuerit, solidos XV culpabilis
iudicetur. Denselben Rechtssatz und dieselbe Buſse von 15 Solidi enthält bereits
Lex Sal. Hessels 77: De eum, qui causa aliena dicere praesumpserit, cui nec
demandata nec laevespita fuerit et non potuit vindicare, sol. XV culp. iud. De
postea ei, cui causa est, liceat legibus causam suam mallare.
6 Die Beschränkung des Vorsprechers auf das von der Partei aufgetragene
Wort war nur eine formelle. Die Vollmacht wurde nach auſsen hin in jener Weise
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0368" n="350"/><fw place="top" type="header">§ 100. Vorsprecher und Anwälte.</fw><lb/>
niederl. talman, isl. talsma&#x0111;r, altfranz. avantparlier, anglo-norman-<lb/>
nisch conteur, steht als Hilfsperson neben der Partei vor Gericht,<lb/>
um ihr Wort zu sprechen. In Bezug auf seine rechtliche Stellung<lb/>
zeigen die deutschen, die langobardischen und die französisch-norman-<lb/>
nischen Quellen eine so weit gehende Übereinstimmung, da&#x017F;s schon<lb/>
daraus eine mindestens in die fränkische Zeit zurückreichende gemein-<lb/>
same Grundlage erschlossen werden darf. Der Vorsprecher hat nur<lb/>
Vollmacht, das Wort der Partei zu sprechen, wie es ihm aufgetragen<lb/>
worden. Das Wort des Vorsprechers gilt daher als Wort der Partei<lb/>
erst dann, wenn sie es als das ihrige anerkannt hat. Darum wird die<lb/>
Partei nach jeder Rede des Vorsprechers gefragt, ob sie dessen Wort<lb/>
für ihr eigenes Wort gelten lasse. Hat der Vorsprecher missege-<lb/>
sprochen, so mag die Partei erklären, da&#x017F;s sie ihn zu solcher Rede<lb/>
nicht beauftragt habe, und dann eine bessere Erklärung abgeben. So<lb/>
gelangte man mit strenger Festhaltung des Grundsatzes &#x2018;ein Mann ein<lb/>
Wort&#x2019; durch Bestellung eines, auf den Auftrag der Partei beschränkten<lb/>
Vorsprechers zum Rechte der Besserung des vor Gericht gesprochenen<lb/>
Wortes (nachmals Recht der Erholung und Wandelung, droit d&#x2019;amen-<lb/>
dement). Der von der Partei desavouierte Vorsprecher hatte jedoch<lb/>
weil er nicht das Wort der Partei, sondern sein eigenes Wort ge-<lb/>
sprochen, eine Bu&#x017F;se zu zahlen, wie nach einem schon in Quellen der<lb/>
merowingischen Zeit bezeugten Rechtssatze jeder, der in fremder Sache<lb/>
ohne das Recht der Rede vor Gericht gesprochen hatte<note place="foot" n="5">Pertz, Dipl. Nr. 66, S. 59. Amalrich hatte im Königsgerichte der Solsadie-<lb/>
rung seines abwesenden Vaters widersprochen. Interrogatum fuit Amalrico .. quo<lb/>
ordine in ac causa introire volibat .. Inventum fuit .. quod contra racionis ordi-<lb/>
nem .. in ac causa introisset. Sic ei fuit iudicatum, ut in exfaido et fredo solidos<lb/>
quindecem pro ac causa fidem facere debirit (zehn dem Gegner, fünf als fredus).<lb/>
Cap. legg. add. v. J. 803, c. 4, I 113: si quis hominem in iudicio iniuste contra<lb/>
alio altercantem adiuvare per malum ingenium praesumpserit atque inde coram<lb/>
iudicibus vel comite increpatus fuerit et negare non potuerit, solidos XV culpabilis<lb/>
iudicetur. Denselben Rechtssatz und dieselbe Bu&#x017F;se von 15 Solidi enthält bereits<lb/>
Lex Sal. Hessels 77: De eum, qui causa aliena dicere praesumpserit, cui nec<lb/>
demandata nec laevespita fuerit et non potuit vindicare, sol. XV culp. iud. De<lb/>
postea ei, cui causa est, liceat legibus causam suam mallare.</note>. Der Vor-<lb/>
sprecher mu&#x017F;ste sich die Erlaubnis, das Wort der Partei zu sprechen,<lb/>
vom Gerichte erteilen lassen; er mu&#x017F;ste sich als Vorsprecher ein-<lb/>
dingen<note xml:id="seg2pn_90_1" next="#seg2pn_90_2" place="foot" n="6">Die Beschränkung des Vorsprechers auf das von der Partei aufgetragene<lb/>
Wort war nur eine formelle. Die Vollmacht wurde nach au&#x017F;sen hin in jener Weise</note>. Mit Rücksicht auf die formelle Unselbständigkeit des Vor-<lb/><note xml:id="seg2pn_89_2" prev="#seg2pn_89_1" place="foot" n="4">c. 1, Schmid, Ges. d. Ags. S. 390. <hi rendition="#g">Wright-Wülcker</hi> I 140, 3: causidicus,<lb/>
advocatus forespeca, I 183, 33: advocatus, patronus vel interpellator forspeca vel<lb/>
mundbora.</note><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[350/0368] § 100. Vorsprecher und Anwälte. niederl. talman, isl. talsmađr, altfranz. avantparlier, anglo-norman- nisch conteur, steht als Hilfsperson neben der Partei vor Gericht, um ihr Wort zu sprechen. In Bezug auf seine rechtliche Stellung zeigen die deutschen, die langobardischen und die französisch-norman- nischen Quellen eine so weit gehende Übereinstimmung, daſs schon daraus eine mindestens in die fränkische Zeit zurückreichende gemein- same Grundlage erschlossen werden darf. Der Vorsprecher hat nur Vollmacht, das Wort der Partei zu sprechen, wie es ihm aufgetragen worden. Das Wort des Vorsprechers gilt daher als Wort der Partei erst dann, wenn sie es als das ihrige anerkannt hat. Darum wird die Partei nach jeder Rede des Vorsprechers gefragt, ob sie dessen Wort für ihr eigenes Wort gelten lasse. Hat der Vorsprecher missege- sprochen, so mag die Partei erklären, daſs sie ihn zu solcher Rede nicht beauftragt habe, und dann eine bessere Erklärung abgeben. So gelangte man mit strenger Festhaltung des Grundsatzes ‘ein Mann ein Wort’ durch Bestellung eines, auf den Auftrag der Partei beschränkten Vorsprechers zum Rechte der Besserung des vor Gericht gesprochenen Wortes (nachmals Recht der Erholung und Wandelung, droit d’amen- dement). Der von der Partei desavouierte Vorsprecher hatte jedoch weil er nicht das Wort der Partei, sondern sein eigenes Wort ge- sprochen, eine Buſse zu zahlen, wie nach einem schon in Quellen der merowingischen Zeit bezeugten Rechtssatze jeder, der in fremder Sache ohne das Recht der Rede vor Gericht gesprochen hatte 5. Der Vor- sprecher muſste sich die Erlaubnis, das Wort der Partei zu sprechen, vom Gerichte erteilen lassen; er muſste sich als Vorsprecher ein- dingen 6. Mit Rücksicht auf die formelle Unselbständigkeit des Vor- 4 5 Pertz, Dipl. Nr. 66, S. 59. Amalrich hatte im Königsgerichte der Solsadie- rung seines abwesenden Vaters widersprochen. Interrogatum fuit Amalrico .. quo ordine in ac causa introire volibat .. Inventum fuit .. quod contra racionis ordi- nem .. in ac causa introisset. Sic ei fuit iudicatum, ut in exfaido et fredo solidos quindecem pro ac causa fidem facere debirit (zehn dem Gegner, fünf als fredus). Cap. legg. add. v. J. 803, c. 4, I 113: si quis hominem in iudicio iniuste contra alio altercantem adiuvare per malum ingenium praesumpserit atque inde coram iudicibus vel comite increpatus fuerit et negare non potuerit, solidos XV culpabilis iudicetur. Denselben Rechtssatz und dieselbe Buſse von 15 Solidi enthält bereits Lex Sal. Hessels 77: De eum, qui causa aliena dicere praesumpserit, cui nec demandata nec laevespita fuerit et non potuit vindicare, sol. XV culp. iud. De postea ei, cui causa est, liceat legibus causam suam mallare. 6 Die Beschränkung des Vorsprechers auf das von der Partei aufgetragene Wort war nur eine formelle. Die Vollmacht wurde nach auſsen hin in jener Weise 4 c. 1, Schmid, Ges. d. Ags. S. 390. Wright-Wülcker I 140, 3: causidicus, advocatus forespeca, I 183, 33: advocatus, patronus vel interpellator forspeca vel mundbora.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/368
Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 350. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/368>, abgerufen am 28.04.2024.