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Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892.

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§ 100. Vorsprecher und Anwälte.
sprechers, der nur gemäss dem Auftrage der Partei sprechen durfte,
war es zulässig, ihn aus der Reihe der Urteilfinder zu nehmen, und
blieb einem solchen unverwehrt, sich nach Erledigung seiner Für-
sprechthätigkeit an der Findung des Urteils zu beteiligen.

Die regelmässige Anwendung von Vorsprechern erhellt am frühesten
in den langobardischen Rechtsquellen. Die zahlreichen Gerichtsformeln
des Liber Papiensis sind auf den Gebrauch von Vorsprechern zuge-
schnitten7. Ein Formular eines Rechtsstreites, das im elften Jahr-
hundert entstanden ist8, lässt ersehen, wie ein langobardischer iudex
als Vorsprecher des Klägers, ein anderer als Vorsprecher des Beklagten
fungierte und dass nach der Rede des Vorsprechers die Partei befragt
wurde, ob dies ihr Wort sei9. In einer Formel des Cartularium Lango-
bardicum10 heisst der Vorsprecher orator. Seit dem elften Jahrhundert
begegnen uns die langobardischen Vorsprecher als legis doctores, legis-
periti, iurisperiti, causidici11. Sie bezeichnen ihre Thätigkeit als
orare12. Häufig sind es iudices, die als oratores auftreten. In Baiern
sind nachmals die Funktionen des Vorsprechers und die des Urteilfinders
sehr oft verbunden13. Ein Bericht über einen Rechtsstreit aus den Jahren
994 bis 1023 nennt einen iudex, der von den Parteien vielfach als
Vorsprecher gesucht wurde14.


beschränkt, um das Recht der Besserung der Rede zu gewinnen. Gewöhnlich
schloss wohl die Partei mit dem Vorsprecher dahin ab, dass er nach bestem
Wissen in ihrem Interesse sprechen solle und dass sie ihm die Bussen ersetzen
werde, die er im Fall des Amendements würde zahlen müssen.
7 Die so häufig wiederkehrende Formel: Petre, te appellat Martinus, spricht
nicht Martinus, der ja sagen müsste: Petre, te appello, sondern sie kommt aus dem
Munde eines Vorsprechers.
8 Placiti forma glossata LL IV 602. Was vor dem bannire ad placitum ge-
sprochen wird, sind die Worte des Klägers. Die Klagformel spricht ein iudex.
Die Frage, wieso ein iudex das Recht habe, das Wort der Partei zu sprechen,
beantwortet die Glosse aus Liber Pap. Otto III.: liceat iudicibus causas agere.
9 Nachdem der Vorsprecher des Klägers die Klagformel: Petre, te appellat
Johannes quod .. gesprochen, wird der Kläger gefragt: Johannes, appellas sic?
Er antwortet appello. Ebenso ergeht an den Beklagten, nachdem dessen Vorsprecher
die Antwort gesprochen, die Frage: Petre, dicis sic? Die Glosse sagt hinsichtlich
der Zustimmungsfrage: Lex non est, sed usus; et quomodo posset sapi, si eum
non interrogaret sic?
10 Cart. Langob. Nr. 16 LL IV 599.
11 Ficker, Forschungen III 97.
12 Sie unterzeichnen W. causidicus .. causam cognizionaliter perhorans sub-
scripsi ... B. causidicus, qui ad anc rationem orandam interfui.
13 Merkel, Z. f. RG I 141. 150 f. 155. Roth a. O. S. 20.
14 MG SS IV 571: ex adversaria parte inductus .. quidam iudex nomine
Otpolt, cuius loquacitati ad tunc temporis multa committebantur a multis.

§ 100. Vorsprecher und Anwälte.
sprechers, der nur gemäſs dem Auftrage der Partei sprechen durfte,
war es zulässig, ihn aus der Reihe der Urteilfinder zu nehmen, und
blieb einem solchen unverwehrt, sich nach Erledigung seiner Für-
sprechthätigkeit an der Findung des Urteils zu beteiligen.

Die regelmäſsige Anwendung von Vorsprechern erhellt am frühesten
in den langobardischen Rechtsquellen. Die zahlreichen Gerichtsformeln
des Liber Papiensis sind auf den Gebrauch von Vorsprechern zuge-
schnitten7. Ein Formular eines Rechtsstreites, das im elften Jahr-
hundert entstanden ist8, läſst ersehen, wie ein langobardischer iudex
als Vorsprecher des Klägers, ein anderer als Vorsprecher des Beklagten
fungierte und daſs nach der Rede des Vorsprechers die Partei befragt
wurde, ob dies ihr Wort sei9. In einer Formel des Cartularium Lango-
bardicum10 heiſst der Vorsprecher orator. Seit dem elften Jahrhundert
begegnen uns die langobardischen Vorsprecher als legis doctores, legis-
periti, iurisperiti, causidici11. Sie bezeichnen ihre Thätigkeit als
orare12. Häufig sind es iudices, die als oratores auftreten. In Baiern
sind nachmals die Funktionen des Vorsprechers und die des Urteilfinders
sehr oft verbunden13. Ein Bericht über einen Rechtsstreit aus den Jahren
994 bis 1023 nennt einen iudex, der von den Parteien vielfach als
Vorsprecher gesucht wurde14.


beschränkt, um das Recht der Besserung der Rede zu gewinnen. Gewöhnlich
schloſs wohl die Partei mit dem Vorsprecher dahin ab, daſs er nach bestem
Wissen in ihrem Interesse sprechen solle und daſs sie ihm die Buſsen ersetzen
werde, die er im Fall des Amendements würde zahlen müssen.
7 Die so häufig wiederkehrende Formel: Petre, te appellat Martinus, spricht
nicht Martinus, der ja sagen müſste: Petre, te appello, sondern sie kommt aus dem
Munde eines Vorsprechers.
8 Placiti forma glossata LL IV 602. Was vor dem bannire ad placitum ge-
sprochen wird, sind die Worte des Klägers. Die Klagformel spricht ein iudex.
Die Frage, wieso ein iudex das Recht habe, das Wort der Partei zu sprechen,
beantwortet die Glosse aus Liber Pap. Otto III.: liceat iudicibus causas agere.
9 Nachdem der Vorsprecher des Klägers die Klagformel: Petre, te appellat
Johannes quod .. gesprochen, wird der Kläger gefragt: Johannes, appellas sic?
Er antwortet appello. Ebenso ergeht an den Beklagten, nachdem dessen Vorsprecher
die Antwort gesprochen, die Frage: Petre, dicis sic? Die Glosse sagt hinsichtlich
der Zustimmungsfrȧge: Lex non est, sed usus; et quomodo posset sapi, si eum
non interrogaret sic?
10 Cart. Langob. Nr. 16 LL IV 599.
11 Ficker, Forschungen III 97.
12 Sie unterzeichnen W. causidicus .. causam cognizionaliter perhorans sub-
scripsi … B. causidicus, qui ad anc rationem orandam interfui.
13 Merkel, Z. f. RG I 141. 150 f. 155. Roth a. O. S. 20.
14 MG SS IV 571: ex adversaria parte inductus .. quidam iudex nomine
Otpolt, cuius loquacitati ad tunc temporis multa committebantur a multis.
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[351/0369] § 100. Vorsprecher und Anwälte. sprechers, der nur gemäſs dem Auftrage der Partei sprechen durfte, war es zulässig, ihn aus der Reihe der Urteilfinder zu nehmen, und blieb einem solchen unverwehrt, sich nach Erledigung seiner Für- sprechthätigkeit an der Findung des Urteils zu beteiligen. Die regelmäſsige Anwendung von Vorsprechern erhellt am frühesten in den langobardischen Rechtsquellen. Die zahlreichen Gerichtsformeln des Liber Papiensis sind auf den Gebrauch von Vorsprechern zuge- schnitten 7. Ein Formular eines Rechtsstreites, das im elften Jahr- hundert entstanden ist 8, läſst ersehen, wie ein langobardischer iudex als Vorsprecher des Klägers, ein anderer als Vorsprecher des Beklagten fungierte und daſs nach der Rede des Vorsprechers die Partei befragt wurde, ob dies ihr Wort sei 9. In einer Formel des Cartularium Lango- bardicum 10 heiſst der Vorsprecher orator. Seit dem elften Jahrhundert begegnen uns die langobardischen Vorsprecher als legis doctores, legis- periti, iurisperiti, causidici 11. Sie bezeichnen ihre Thätigkeit als orare 12. Häufig sind es iudices, die als oratores auftreten. In Baiern sind nachmals die Funktionen des Vorsprechers und die des Urteilfinders sehr oft verbunden 13. Ein Bericht über einen Rechtsstreit aus den Jahren 994 bis 1023 nennt einen iudex, der von den Parteien vielfach als Vorsprecher gesucht wurde 14. 6 7 Die so häufig wiederkehrende Formel: Petre, te appellat Martinus, spricht nicht Martinus, der ja sagen müſste: Petre, te appello, sondern sie kommt aus dem Munde eines Vorsprechers. 8 Placiti forma glossata LL IV 602. Was vor dem bannire ad placitum ge- sprochen wird, sind die Worte des Klägers. Die Klagformel spricht ein iudex. Die Frage, wieso ein iudex das Recht habe, das Wort der Partei zu sprechen, beantwortet die Glosse aus Liber Pap. Otto III.: liceat iudicibus causas agere. 9 Nachdem der Vorsprecher des Klägers die Klagformel: Petre, te appellat Johannes quod .. gesprochen, wird der Kläger gefragt: Johannes, appellas sic? Er antwortet appello. Ebenso ergeht an den Beklagten, nachdem dessen Vorsprecher die Antwort gesprochen, die Frage: Petre, dicis sic? Die Glosse sagt hinsichtlich der Zustimmungsfrȧge: Lex non est, sed usus; et quomodo posset sapi, si eum non interrogaret sic? 10 Cart. Langob. Nr. 16 LL IV 599. 11 Ficker, Forschungen III 97. 12 Sie unterzeichnen W. causidicus .. causam cognizionaliter perhorans sub- scripsi … B. causidicus, qui ad anc rationem orandam interfui. 13 Merkel, Z. f. RG I 141. 150 f. 155. Roth a. O. S. 20. 14 MG SS IV 571: ex adversaria parte inductus .. quidam iudex nomine Otpolt, cuius loquacitati ad tunc temporis multa committebantur a multis. 6 beschränkt, um das Recht der Besserung der Rede zu gewinnen. Gewöhnlich schloſs wohl die Partei mit dem Vorsprecher dahin ab, daſs er nach bestem Wissen in ihrem Interesse sprechen solle und daſs sie ihm die Buſsen ersetzen werde, die er im Fall des Amendements würde zahlen müssen.

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Zitationshilfe: Brunner, Heinrich: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1892, S. 351. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunner_rechtsgeschichte02_1892/369>, abgerufen am 30.04.2024.