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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879.

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sorgt. Aber das Selbstbestimmungsrecht hat in Sachen der
Nationalität enggesteckte Grenzen, und so wenig die Elsässer
ihr blondes Haar und ihre blauen Augen umfärben oder
verbergen konnten, ebensowenig vermochten sie ihre angeerbte
Eigenart umzumodeln. Dieser Gegensatz zwischen Wollen
und Können, zwischen nationalem Schein und Sein offenbarte
sich allüberall -- im Kleinen und Kleinlichen, wenn die guten
Straßburger sich ihres heimeligen "Dütsch", das ihnen so
bequem von den Lippen floß, ängstlich enthielten und lieber
im Schweiße ihres Angesichts sonderbare Nasallaute zu
Stande brachten, weil sie dies für echten Pariser Accent
hielten, aber auch im Großen und Ernsten, wenn die Be-
wohner der Departements Ober- und Niederrhein gegen
Deutschland viel französischer dachten, als die Franzosen,
wenn jede politische Bewegung, zu der Paris das Signal
gab, nirgendwo rascheren Widerhall fand, als an den Ufern
der Ill!

Das war die allgemeine Strömung, und Ausnahmen
können auch hier nur die Regel bestätigen. Aber an solchen
Ausnahmen hat es im Elsaß nie gefehlt; und mochten die
Wogen des Chauvinismus noch so hoch gehen, es gab doch
immer kleine, eng verbundene Kreise, welche deutsche Art,
Sprache und Sitte hochhielten. Das waren durchweg Prote-
stanten -- Lehrer und Pfarrer, Dichter und Gelehrte -- und
wenn auch nicht zumeist, so war es doch zunächst ihr Glaube,
welcher sie in Gegensatz zum französischen Katholikenthum
brachte und zur Treue für ihr eigenes Volksthum entflammte.
Sie enthielten sich jedes Angriffs auf die herrschende Rich-
tung, sie wagten es kaum, von einer Vereinigung ihrer
Heimath mit dem Mutterlande zu träumen, geschweige denn

ſorgt. Aber das Selbſtbeſtimmungsrecht hat in Sachen der
Nationalität enggeſteckte Grenzen, und ſo wenig die Elſäſſer
ihr blondes Haar und ihre blauen Augen umfärben oder
verbergen konnten, ebenſowenig vermochten ſie ihre angeerbte
Eigenart umzumodeln. Dieſer Gegenſatz zwiſchen Wollen
und Können, zwiſchen nationalem Schein und Sein offenbarte
ſich allüberall — im Kleinen und Kleinlichen, wenn die guten
Straßburger ſich ihres heimeligen "Dütſch", das ihnen ſo
bequem von den Lippen floß, ängſtlich enthielten und lieber
im Schweiße ihres Angeſichts ſonderbare Naſallaute zu
Stande brachten, weil ſie dies für echten Pariſer Accent
hielten, aber auch im Großen und Ernſten, wenn die Be-
wohner der Departements Ober- und Niederrhein gegen
Deutſchland viel franzöſiſcher dachten, als die Franzoſen,
wenn jede politiſche Bewegung, zu der Paris das Signal
gab, nirgendwo raſcheren Widerhall fand, als an den Ufern
der Ill!

Das war die allgemeine Strömung, und Ausnahmen
können auch hier nur die Regel beſtätigen. Aber an ſolchen
Ausnahmen hat es im Elſaß nie gefehlt; und mochten die
Wogen des Chauvinismus noch ſo hoch gehen, es gab doch
immer kleine, eng verbundene Kreiſe, welche deutſche Art,
Sprache und Sitte hochhielten. Das waren durchweg Prote-
ſtanten — Lehrer und Pfarrer, Dichter und Gelehrte — und
wenn auch nicht zumeiſt, ſo war es doch zunächſt ihr Glaube,
welcher ſie in Gegenſatz zum franzöſiſchen Katholikenthum
brachte und zur Treue für ihr eigenes Volksthum entflammte.
Sie enthielten ſich jedes Angriffs auf die herrſchende Rich-
tung, ſie wagten es kaum, von einer Vereinigung ihrer
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[XLII/0058] ſorgt. Aber das Selbſtbeſtimmungsrecht hat in Sachen der Nationalität enggeſteckte Grenzen, und ſo wenig die Elſäſſer ihr blondes Haar und ihre blauen Augen umfärben oder verbergen konnten, ebenſowenig vermochten ſie ihre angeerbte Eigenart umzumodeln. Dieſer Gegenſatz zwiſchen Wollen und Können, zwiſchen nationalem Schein und Sein offenbarte ſich allüberall — im Kleinen und Kleinlichen, wenn die guten Straßburger ſich ihres heimeligen "Dütſch", das ihnen ſo bequem von den Lippen floß, ängſtlich enthielten und lieber im Schweiße ihres Angeſichts ſonderbare Naſallaute zu Stande brachten, weil ſie dies für echten Pariſer Accent hielten, aber auch im Großen und Ernſten, wenn die Be- wohner der Departements Ober- und Niederrhein gegen Deutſchland viel franzöſiſcher dachten, als die Franzoſen, wenn jede politiſche Bewegung, zu der Paris das Signal gab, nirgendwo raſcheren Widerhall fand, als an den Ufern der Ill! Das war die allgemeine Strömung, und Ausnahmen können auch hier nur die Regel beſtätigen. Aber an ſolchen Ausnahmen hat es im Elſaß nie gefehlt; und mochten die Wogen des Chauvinismus noch ſo hoch gehen, es gab doch immer kleine, eng verbundene Kreiſe, welche deutſche Art, Sprache und Sitte hochhielten. Das waren durchweg Prote- ſtanten — Lehrer und Pfarrer, Dichter und Gelehrte — und wenn auch nicht zumeiſt, ſo war es doch zunächſt ihr Glaube, welcher ſie in Gegenſatz zum franzöſiſchen Katholikenthum brachte und zur Treue für ihr eigenes Volksthum entflammte. Sie enthielten ſich jedes Angriffs auf die herrſchende Rich- tung, ſie wagten es kaum, von einer Vereinigung ihrer Heimath mit dem Mutterlande zu träumen, geſchweige denn

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Zitationshilfe: Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. XLII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/58>, abgerufen am 30.04.2024.