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Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879.

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hiefür zu agitiren, sie concentrirten ihre Kraft still und ge-
räuschlos darauf, zu erhalten, was noch an Resten ihres
Volksthums lebte. Die Gelehrten stellten die Geschichte, die
Dichter die Sage des Elsaß in deutscher Sprache dar, die
Lehrer und Pfarrer erhielten ihre Pflegebefohlenen bei Glauben
und Sprache der Väter -- das war Alles. Aber schon
dies galt als Hochverrath, und die deutschen Männer des
Elsaß haben stets nur unter giftiger Anfeindung, unter per-
sönlicher Gefahr die Pflicht gegen ihr Volksthum erfüllen
können. Daß sie gleichwohl nicht davon ließen, gereicht ihnen
zu hohen Ehren und verdient allzeit unvergessen zu bleiben.
Ohne jenes religiöse Moment wären sie übrigens trotz ihrer
Tapferkeit sicherlich unterlegen, so aber hatte die deutsche
Bewegung in dem 1802 gegründeten "Seminaire protestant"
einen Brennpunkt, in dem sich alles Licht derselben sammeln,
von dem es wieder ausstrahlen konnte. Wie diese Anstalt
durch die Uebernahme der Lehrer der früheren deutschen Hoch-
schule äußerlich deren Erbin war, so war sie es auch geistig,
trotz der französischen Unterrichtssprache, und in ihren Lehrern
und Studenten lebte stets, bei aller durch die Verhältnisse
gebotenen Zurückhaltung, ein mannhafter deutscher Geist.

Ein günstiger Zufall fügte es, daß Georg Büchner
sofort nach seiner Ankunft in diese Kreise gerieth. Der Ver-
wandte, an den er zunächst gewiesen war, ein Cousin seiner
Mutter, war selbst Professor an jenem Seminar: Eduard
Reuß
, der bekannte Orientalist. Kammerrath Reuß,
Georgs Großvater und der Vater des Professors, waren
Brüder gewesen; auch dieser Großonkel Georgs lebte noch
in Straßburg, eine jüngere Schwester Carolinens war in
seinem Hause erzogen worden, die Verbindung zwischen den

hiefür zu agitiren, ſie concentrirten ihre Kraft ſtill und ge-
räuſchlos darauf, zu erhalten, was noch an Reſten ihres
Volksthums lebte. Die Gelehrten ſtellten die Geſchichte, die
Dichter die Sage des Elſaß in deutſcher Sprache dar, die
Lehrer und Pfarrer erhielten ihre Pflegebefohlenen bei Glauben
und Sprache der Väter — das war Alles. Aber ſchon
dies galt als Hochverrath, und die deutſchen Männer des
Elſaß haben ſtets nur unter giftiger Anfeindung, unter per-
ſönlicher Gefahr die Pflicht gegen ihr Volksthum erfüllen
können. Daß ſie gleichwohl nicht davon ließen, gereicht ihnen
zu hohen Ehren und verdient allzeit unvergeſſen zu bleiben.
Ohne jenes religiöſe Moment wären ſie übrigens trotz ihrer
Tapferkeit ſicherlich unterlegen, ſo aber hatte die deutſche
Bewegung in dem 1802 gegründeten "Séminaire protestant"
einen Brennpunkt, in dem ſich alles Licht derſelben ſammeln,
von dem es wieder ausſtrahlen konnte. Wie dieſe Anſtalt
durch die Uebernahme der Lehrer der früheren deutſchen Hoch-
ſchule äußerlich deren Erbin war, ſo war ſie es auch geiſtig,
trotz der franzöſiſchen Unterrichtsſprache, und in ihren Lehrern
und Studenten lebte ſtets, bei aller durch die Verhältniſſe
gebotenen Zurückhaltung, ein mannhafter deutſcher Geiſt.

Ein günſtiger Zufall fügte es, daß Georg Büchner
ſofort nach ſeiner Ankunft in dieſe Kreiſe gerieth. Der Ver-
wandte, an den er zunächſt gewieſen war, ein Couſin ſeiner
Mutter, war ſelbſt Profeſſor an jenem Seminar: Eduard
Reuß
, der bekannte Orientaliſt. Kammerrath Reuß,
Georgs Großvater und der Vater des Profeſſors, waren
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[LXIII[XLIII]/0059] hiefür zu agitiren, ſie concentrirten ihre Kraft ſtill und ge- räuſchlos darauf, zu erhalten, was noch an Reſten ihres Volksthums lebte. Die Gelehrten ſtellten die Geſchichte, die Dichter die Sage des Elſaß in deutſcher Sprache dar, die Lehrer und Pfarrer erhielten ihre Pflegebefohlenen bei Glauben und Sprache der Väter — das war Alles. Aber ſchon dies galt als Hochverrath, und die deutſchen Männer des Elſaß haben ſtets nur unter giftiger Anfeindung, unter per- ſönlicher Gefahr die Pflicht gegen ihr Volksthum erfüllen können. Daß ſie gleichwohl nicht davon ließen, gereicht ihnen zu hohen Ehren und verdient allzeit unvergeſſen zu bleiben. Ohne jenes religiöſe Moment wären ſie übrigens trotz ihrer Tapferkeit ſicherlich unterlegen, ſo aber hatte die deutſche Bewegung in dem 1802 gegründeten "Séminaire protestant" einen Brennpunkt, in dem ſich alles Licht derſelben ſammeln, von dem es wieder ausſtrahlen konnte. Wie dieſe Anſtalt durch die Uebernahme der Lehrer der früheren deutſchen Hoch- ſchule äußerlich deren Erbin war, ſo war ſie es auch geiſtig, trotz der franzöſiſchen Unterrichtsſprache, und in ihren Lehrern und Studenten lebte ſtets, bei aller durch die Verhältniſſe gebotenen Zurückhaltung, ein mannhafter deutſcher Geiſt. Ein günſtiger Zufall fügte es, daß Georg Büchner ſofort nach ſeiner Ankunft in dieſe Kreiſe gerieth. Der Ver- wandte, an den er zunächſt gewieſen war, ein Couſin ſeiner Mutter, war ſelbſt Profeſſor an jenem Seminar: Eduard Reuß, der bekannte Orientaliſt. Kammerrath Reuß, Georgs Großvater und der Vater des Profeſſors, waren Brüder geweſen; auch dieſer Großonkel Georgs lebte noch in Straßburg, eine jüngere Schweſter Carolinens war in ſeinem Hauſe erzogen worden, die Verbindung zwiſchen den

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Zitationshilfe: Büchner, Georg: Sämmtliche Werke und handschriftlicher Nachlaß. Frankfurt (Main), 1879, S. LXIII[XLIII]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buechner_werke_1879/59>, abgerufen am 30.04.2024.