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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Antike Sculptur. Barbaren. Kelten.
Überarbeitungen haben den keltischen Charakter doch keineswegs ver-
wischt. (Den rechten Arm wird man leichter tadeln als besser re-
stauriren können; kläglich vermeisselt ist nur die Frau, zumal an der
Vorderseite, welche gegen die unberührten Theile, z. B. die Füsse, stark
absticht; leider geht uns dabei der einzige ganz sichere Typus einer
Barbarin theilweis verloren.) Von wunderbar ergreifender Art ist in
dieser Gruppe das Momentane, in der verzweifelten und gewaltigen
Geberde des Mannes und seiner Verbindung mit der bereits todt zu-
sammengesunkenen Frau; dem Geist der alten Kunst gemäss, sind
die Schrecken des Todes bei ihr nur angedeutet in den gebrochenen
Augen, in einem leisen Zuge des Mundes und in der unvergleichlich
sprechenden Stellung der Füsse.

Diese nämlichen Kelten sind dann auch in ihren Kämpfen mit
Griechen und Römern an einigen Sarcophagen abgebildet. Nicht
des eigenen Kunstwerthes halber, sondern weil sich darin vielleicht
ein Nachklang jener grossen Schlachtgruppen zu erkennen giebt, mögen
ahier die betreffenden Sarcophage in den untern Zimmern des capi-
btolinischen Museums und der Vorhalle der Villa Borghese (andere
a. a. O.) vorläufig genannt werden.

Als unmittelbare Reste einer guten römischen Nachahmung einer
cjener Gruppen darf man vier halblebensgrosse Statuen von Sinkenden
und Liegenden im Museum von Neapel (erster Gang) in Anspruch
nehmen: ein todter Barbar in Mütze und Hosen, mit Schild und krum-
mem Säbel; ein todter, nackter, griechischer Kämpfer; eine todte Bar-
barin als Amazone gebildet; und ein sterbend Sinkender, fast in der Stel-
lung des Fechters, nur umgekehrt; sämmtlich von trefflichster Erfindung
und befangener Ausführung. Wenn man noch die gegenüberstehenden
Reiterstatuen desselben Massstabes (einen griechischen Anführer und
eine sterbend vom Pferde sinkende Barbarin oder Amazone) hinzu-
rechnen will, so ist auf die starken Restaurationen dieser Beiden billige
Rücksicht zu nehmen. Eher noch gehört zu jenen vieren ein halbknieen-
dder Kämpfer im obern Gang des Vaticans, trotz des kleinern Mass-
stabes.

Ausserdem lieferten die römischen Triumphbogen u. a. Sieges-
denkmale eine Anzahl von Reliefs, Statuen und Köpfen gefangener
Barbaren. Wo sie bekleidet gebildet sind, tragen sie Mützen, Ermel,

Antike Sculptur. Barbaren. Kelten.
Überarbeitungen haben den keltischen Charakter doch keineswegs ver-
wischt. (Den rechten Arm wird man leichter tadeln als besser re-
stauriren können; kläglich vermeisselt ist nur die Frau, zumal an der
Vorderseite, welche gegen die unberührten Theile, z. B. die Füsse, stark
absticht; leider geht uns dabei der einzige ganz sichere Typus einer
Barbarin theilweis verloren.) Von wunderbar ergreifender Art ist in
dieser Gruppe das Momentane, in der verzweifelten und gewaltigen
Geberde des Mannes und seiner Verbindung mit der bereits todt zu-
sammengesunkenen Frau; dem Geist der alten Kunst gemäss, sind
die Schrecken des Todes bei ihr nur angedeutet in den gebrochenen
Augen, in einem leisen Zuge des Mundes und in der unvergleichlich
sprechenden Stellung der Füsse.

Diese nämlichen Kelten sind dann auch in ihren Kämpfen mit
Griechen und Römern an einigen Sarcophagen abgebildet. Nicht
des eigenen Kunstwerthes halber, sondern weil sich darin vielleicht
ein Nachklang jener grossen Schlachtgruppen zu erkennen giebt, mögen
ahier die betreffenden Sarcophage in den untern Zimmern des capi-
btolinischen Museums und der Vorhalle der Villa Borghese (andere
a. a. O.) vorläufig genannt werden.

Als unmittelbare Reste einer guten römischen Nachahmung einer
cjener Gruppen darf man vier halblebensgrosse Statuen von Sinkenden
und Liegenden im Museum von Neapel (erster Gang) in Anspruch
nehmen: ein todter Barbar in Mütze und Hosen, mit Schild und krum-
mem Säbel; ein todter, nackter, griechischer Kämpfer; eine todte Bar-
barin als Amazone gebildet; und ein sterbend Sinkender, fast in der Stel-
lung des Fechters, nur umgekehrt; sämmtlich von trefflichster Erfindung
und befangener Ausführung. Wenn man noch die gegenüberstehenden
Reiterstatuen desselben Massstabes (einen griechischen Anführer und
eine sterbend vom Pferde sinkende Barbarin oder Amazone) hinzu-
rechnen will, so ist auf die starken Restaurationen dieser Beiden billige
Rücksicht zu nehmen. Eher noch gehört zu jenen vieren ein halbknieen-
dder Kämpfer im obern Gang des Vaticans, trotz des kleinern Mass-
stabes.

Ausserdem lieferten die römischen Triumphbogen u. a. Sieges-
denkmale eine Anzahl von Reliefs, Statuen und Köpfen gefangener
Barbaren. Wo sie bekleidet gebildet sind, tragen sie Mützen, Ermel,

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[490/0512] Antike Sculptur. Barbaren. Kelten. Überarbeitungen haben den keltischen Charakter doch keineswegs ver- wischt. (Den rechten Arm wird man leichter tadeln als besser re- stauriren können; kläglich vermeisselt ist nur die Frau, zumal an der Vorderseite, welche gegen die unberührten Theile, z. B. die Füsse, stark absticht; leider geht uns dabei der einzige ganz sichere Typus einer Barbarin theilweis verloren.) Von wunderbar ergreifender Art ist in dieser Gruppe das Momentane, in der verzweifelten und gewaltigen Geberde des Mannes und seiner Verbindung mit der bereits todt zu- sammengesunkenen Frau; dem Geist der alten Kunst gemäss, sind die Schrecken des Todes bei ihr nur angedeutet in den gebrochenen Augen, in einem leisen Zuge des Mundes und in der unvergleichlich sprechenden Stellung der Füsse. Diese nämlichen Kelten sind dann auch in ihren Kämpfen mit Griechen und Römern an einigen Sarcophagen abgebildet. Nicht des eigenen Kunstwerthes halber, sondern weil sich darin vielleicht ein Nachklang jener grossen Schlachtgruppen zu erkennen giebt, mögen hier die betreffenden Sarcophage in den untern Zimmern des capi- tolinischen Museums und der Vorhalle der Villa Borghese (andere a. a. O.) vorläufig genannt werden. a b Als unmittelbare Reste einer guten römischen Nachahmung einer jener Gruppen darf man vier halblebensgrosse Statuen von Sinkenden und Liegenden im Museum von Neapel (erster Gang) in Anspruch nehmen: ein todter Barbar in Mütze und Hosen, mit Schild und krum- mem Säbel; ein todter, nackter, griechischer Kämpfer; eine todte Bar- barin als Amazone gebildet; und ein sterbend Sinkender, fast in der Stel- lung des Fechters, nur umgekehrt; sämmtlich von trefflichster Erfindung und befangener Ausführung. Wenn man noch die gegenüberstehenden Reiterstatuen desselben Massstabes (einen griechischen Anführer und eine sterbend vom Pferde sinkende Barbarin oder Amazone) hinzu- rechnen will, so ist auf die starken Restaurationen dieser Beiden billige Rücksicht zu nehmen. Eher noch gehört zu jenen vieren ein halbknieen- der Kämpfer im obern Gang des Vaticans, trotz des kleinern Mass- stabes. c d Ausserdem lieferten die römischen Triumphbogen u. a. Sieges- denkmale eine Anzahl von Reliefs, Statuen und Köpfen gefangener Barbaren. Wo sie bekleidet gebildet sind, tragen sie Mützen, Ermel,

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 490. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/512>, abgerufen am 28.04.2024.