Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927.

Bild:
<< vorherige Seite

Die wohlerworbenen Rechte.
das immer voraus: die Frage ist nur, ob solchen sachlich begründeten
Abänderungen gegenüber die formelle Einrede des wohlerworbenen
Rechtes erhoben werden kann.

Wohlerworbene Rechte werden immer (von Privaten) dem
Staate gegenüber angerufen. Der Private kann nicht die Rechte
anderer Privater aufheben; er kann, indem er seine Pflichten dem
Berechtigten gegenüber verleugnet, die entsprechenden Rechte
verletzen; aber ob sie zu Recht bestehen, hängt nicht von dem
Willen der privaten Verpflichteten ab, sondern vom Verhalten des
berufenen Wahrers des Rechtes selbst, des Staates.

Was nun die Aufhebung formell gültiger Rechte durch rechts-
anwendende Anordnungen (Urteile oder Verwaltungsakte) be-
trifft, so haben wir oben (S. 61 ff.) diese Frage in anderer Formu-
lierung, nämlich als Frage nach der Rechtskraft solcher Anord-
nungen beantwortet; und zwar dahin, daß Entscheidungen über
Privatrechte richtigerweise als unabänderlich zu betrachten
seien, Verfügungen in Anwendung öffentlicher Rechtssätze da-
gegen als solche nicht. Wenn man also die allgemeine Frage stellt,
wann sind nach richtiger Ordnung der Dinge, die von Gerichten
oder Verwaltungsbehörden einmal getroffenen Entscheidungen
(und die damit anerkannten Rechte) unabänderlich, so kann darauf
nur geantwortet werden: Privatrechtliche Urteile sind stets un-
abänderlich; wann öffentlich-rechtliche Entscheidungen es sein
sollen, kann nicht allgemeingültig gesagt werden, weil es nicht
eine Sache begrifflicher Ableitung, sondern sachlicher Erwägung
ist. So entscheidet sich also die Frage, wann der Gesetzgeber die
Unabänderlichkeit der Anordnungen, die in Anwendung seines
Gesetzes ergehen, anzuerkennen habe. Was wirklich fraglich
bleibt, ist daher nur, wann der Gesetzgeber, der neues Recht
schafft, die unter dem früheren Gesetz begründeten Rechtsver-

unanfechtbar; aber wir fragen, was die rechtsanwendende oder rechts-
setzende Behörde in richtiger Erfüllung ihrer Aufgabe tun könne, und setzen
immer voraus, sie wolle ihre Aufgabe richtig erfüllen. Daß Willkür in
Rechtsanwendung und Rechtssetzung nicht die Aufgabe des Staates sein
kann, bedarf keines Beweises. Eben deshalb entsteht gegenüber solchen
Akten die theoretische Schwierigkeit der wohlerworbenen Rechte nicht. Sie
entsteht dagegen, wo die Behörde sich auf begründete sachliche Erwägungen
berufen kann, sei es auf schon geltendes Recht, sei es auf Recht, das An-
spruch auf Geltung hätte.

Die wohlerworbenen Rechte.
das immer voraus: die Frage ist nur, ob solchen sachlich begründeten
Abänderungen gegenüber die formelle Einrede des wohlerworbenen
Rechtes erhoben werden kann.

Wohlerworbene Rechte werden immer (von Privaten) dem
Staate gegenüber angerufen. Der Private kann nicht die Rechte
anderer Privater aufheben; er kann, indem er seine Pflichten dem
Berechtigten gegenüber verleugnet, die entsprechenden Rechte
verletzen; aber ob sie zu Recht bestehen, hängt nicht von dem
Willen der privaten Verpflichteten ab, sondern vom Verhalten des
berufenen Wahrers des Rechtes selbst, des Staates.

Was nun die Aufhebung formell gültiger Rechte durch rechts-
anwendende Anordnungen (Urteile oder Verwaltungsakte) be-
trifft, so haben wir oben (S. 61 ff.) diese Frage in anderer Formu-
lierung, nämlich als Frage nach der Rechtskraft solcher Anord-
nungen beantwortet; und zwar dahin, daß Entscheidungen über
Privatrechte richtigerweise als unabänderlich zu betrachten
seien, Verfügungen in Anwendung öffentlicher Rechtssätze da-
gegen als solche nicht. Wenn man also die allgemeine Frage stellt,
wann sind nach richtiger Ordnung der Dinge, die von Gerichten
oder Verwaltungsbehörden einmal getroffenen Entscheidungen
(und die damit anerkannten Rechte) unabänderlich, so kann darauf
nur geantwortet werden: Privatrechtliche Urteile sind stets un-
abänderlich; wann öffentlich-rechtliche Entscheidungen es sein
sollen, kann nicht allgemeingültig gesagt werden, weil es nicht
eine Sache begrifflicher Ableitung, sondern sachlicher Erwägung
ist. So entscheidet sich also die Frage, wann der Gesetzgeber die
Unabänderlichkeit der Anordnungen, die in Anwendung seines
Gesetzes ergehen, anzuerkennen habe. Was wirklich fraglich
bleibt, ist daher nur, wann der Gesetzgeber, der neues Recht
schafft, die unter dem früheren Gesetz begründeten Rechtsver-

unanfechtbar; aber wir fragen, was die rechtsanwendende oder rechts-
setzende Behörde in richtiger Erfüllung ihrer Aufgabe tun könne, und setzen
immer voraus, sie wolle ihre Aufgabe richtig erfüllen. Daß Willkür in
Rechtsanwendung und Rechtssetzung nicht die Aufgabe des Staates sein
kann, bedarf keines Beweises. Eben deshalb entsteht gegenüber solchen
Akten die theoretische Schwierigkeit der wohlerworbenen Rechte nicht. Sie
entsteht dagegen, wo die Behörde sich auf begründete sachliche Erwägungen
berufen kann, sei es auf schon geltendes Recht, sei es auf Recht, das An-
spruch auf Geltung hätte.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0102" n="87"/><fw place="top" type="header">Die wohlerworbenen Rechte.</fw><lb/>
das immer voraus: die Frage ist nur, ob solchen sachlich begründeten<lb/>
Abänderungen gegenüber die formelle Einrede des wohlerworbenen<lb/>
Rechtes erhoben werden kann.</p><lb/>
            <p>Wohlerworbene Rechte werden immer (von Privaten) dem<lb/><hi rendition="#g">Staate gegenüber</hi> angerufen. Der Private kann nicht die Rechte<lb/>
anderer Privater aufheben; er kann, indem er seine Pflichten dem<lb/>
Berechtigten gegenüber verleugnet, die entsprechenden Rechte<lb/>
verletzen; aber ob sie zu Recht bestehen, hängt nicht von dem<lb/>
Willen der privaten Verpflichteten ab, sondern vom Verhalten des<lb/>
berufenen Wahrers des Rechtes selbst, des Staates.</p><lb/>
            <p>Was nun die Aufhebung formell gültiger Rechte durch rechts-<lb/>
anwendende Anordnungen (Urteile oder Verwaltungsakte) be-<lb/>
trifft, so haben wir oben (S. 61 ff.) diese Frage in anderer Formu-<lb/>
lierung, nämlich als Frage nach der Rechtskraft solcher Anord-<lb/>
nungen beantwortet; und zwar dahin, daß Entscheidungen über<lb/>
Privatrechte richtigerweise als unabänderlich zu betrachten<lb/>
seien, Verfügungen in Anwendung öffentlicher Rechtssätze da-<lb/>
gegen als solche nicht. Wenn man also die allgemeine Frage stellt,<lb/>
wann sind nach richtiger Ordnung der Dinge, die von Gerichten<lb/>
oder Verwaltungsbehörden einmal <choice><sic>getroffenenen</sic><corr>getroffenen</corr></choice> Entscheidungen<lb/>
(und die damit anerkannten Rechte) unabänderlich, so kann darauf<lb/>
nur geantwortet werden: Privatrechtliche Urteile sind stets un-<lb/>
abänderlich; wann öffentlich-rechtliche Entscheidungen es sein<lb/>
sollen, kann nicht allgemeingültig gesagt werden, weil es nicht<lb/>
eine Sache begrifflicher Ableitung, sondern sachlicher Erwägung<lb/>
ist. So entscheidet sich also die Frage, wann der Gesetzgeber die<lb/>
Unabänderlichkeit der Anordnungen, die in Anwendung <hi rendition="#g">seines</hi><lb/>
Gesetzes ergehen, anzuerkennen habe. Was wirklich fraglich<lb/>
bleibt, ist daher nur, wann der Gesetzgeber, der neues Recht<lb/>
schafft, die unter dem früheren Gesetz begründeten Rechtsver-<lb/><note xml:id="seg2pn_14_2" prev="#seg2pn_14_1" place="foot" n="1">unanfechtbar; aber wir fragen, <hi rendition="#g">was</hi> die rechtsanwendende oder rechts-<lb/>
setzende Behörde in richtiger Erfüllung ihrer Aufgabe tun könne, und setzen<lb/>
immer voraus, sie wolle ihre Aufgabe richtig erfüllen. Daß <hi rendition="#g">Willkür</hi> in<lb/>
Rechtsanwendung und Rechtssetzung nicht die Aufgabe des Staates sein<lb/>
kann, bedarf keines Beweises. Eben deshalb entsteht gegenüber solchen<lb/>
Akten die theoretische Schwierigkeit der wohlerworbenen Rechte nicht. Sie<lb/>
entsteht dagegen, wo die Behörde sich auf begründete sachliche Erwägungen<lb/>
berufen kann, sei es auf schon geltendes Recht, sei es auf Recht, das An-<lb/>
spruch auf Geltung hätte.</note><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[87/0102] Die wohlerworbenen Rechte. das immer voraus: die Frage ist nur, ob solchen sachlich begründeten Abänderungen gegenüber die formelle Einrede des wohlerworbenen Rechtes erhoben werden kann. Wohlerworbene Rechte werden immer (von Privaten) dem Staate gegenüber angerufen. Der Private kann nicht die Rechte anderer Privater aufheben; er kann, indem er seine Pflichten dem Berechtigten gegenüber verleugnet, die entsprechenden Rechte verletzen; aber ob sie zu Recht bestehen, hängt nicht von dem Willen der privaten Verpflichteten ab, sondern vom Verhalten des berufenen Wahrers des Rechtes selbst, des Staates. Was nun die Aufhebung formell gültiger Rechte durch rechts- anwendende Anordnungen (Urteile oder Verwaltungsakte) be- trifft, so haben wir oben (S. 61 ff.) diese Frage in anderer Formu- lierung, nämlich als Frage nach der Rechtskraft solcher Anord- nungen beantwortet; und zwar dahin, daß Entscheidungen über Privatrechte richtigerweise als unabänderlich zu betrachten seien, Verfügungen in Anwendung öffentlicher Rechtssätze da- gegen als solche nicht. Wenn man also die allgemeine Frage stellt, wann sind nach richtiger Ordnung der Dinge, die von Gerichten oder Verwaltungsbehörden einmal getroffenen Entscheidungen (und die damit anerkannten Rechte) unabänderlich, so kann darauf nur geantwortet werden: Privatrechtliche Urteile sind stets un- abänderlich; wann öffentlich-rechtliche Entscheidungen es sein sollen, kann nicht allgemeingültig gesagt werden, weil es nicht eine Sache begrifflicher Ableitung, sondern sachlicher Erwägung ist. So entscheidet sich also die Frage, wann der Gesetzgeber die Unabänderlichkeit der Anordnungen, die in Anwendung seines Gesetzes ergehen, anzuerkennen habe. Was wirklich fraglich bleibt, ist daher nur, wann der Gesetzgeber, der neues Recht schafft, die unter dem früheren Gesetz begründeten Rechtsver- 1 1 unanfechtbar; aber wir fragen, was die rechtsanwendende oder rechts- setzende Behörde in richtiger Erfüllung ihrer Aufgabe tun könne, und setzen immer voraus, sie wolle ihre Aufgabe richtig erfüllen. Daß Willkür in Rechtsanwendung und Rechtssetzung nicht die Aufgabe des Staates sein kann, bedarf keines Beweises. Eben deshalb entsteht gegenüber solchen Akten die theoretische Schwierigkeit der wohlerworbenen Rechte nicht. Sie entsteht dagegen, wo die Behörde sich auf begründete sachliche Erwägungen berufen kann, sei es auf schon geltendes Recht, sei es auf Recht, das An- spruch auf Geltung hätte.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927/102
Zitationshilfe: Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927/102>, abgerufen am 29.04.2024.