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Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927.

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II. Teil. Die staatliche Verfassung.
an der Sache in einen persönlichen Anspruch auf Schadenersatz
umzuwandeln, und ein dingliches Recht an der Sache wäre gar
nicht möglich (vgl. oben S. 283)1.

Der Staat muß also den dinglich Berechtigten von Rechts
und Amts wegen in seiner Verfügung über die Sache gegen fremde
Einflüsse schützen. Aber er muß ihn nur gegen gewollte Ein-
griffe schützen, nicht gegen unbeabsichtigte, wenn auch fahr-
lässige; eine Sachenrechtsordnung ist zwar nicht ohne jenen Schutz
denkbar, wohl aber ohne diesen. Wenn das positive Recht dieser
Auffassung ist, schreitet die Zwangsgewalt des Staates nur auf
Klage des Berechtigten ein, um Störungen zu verhindern, und straft
die Strafgewalt nicht, falls die (unbeabsichtigte) Störung nicht
verhindert werden konnte. Indessen mag das im positiven Recht
verschieden geordnet werden2. Was wir hervorheben wollten, ist
nur das, daß, was das Gesetz sachenrechtlich verbieten will, es
auch, mindestens gegen gewollte Auflehnung, durchsetzen muß.

Ein solches Verbot ist aber auch eine öffentlich-rechtliche
Norm, sofern und soweit sie von Amts wegen erzwungen und
gegebenfalls mit Strafe geahndet wird3. Es ist eine zwar inhalt-

1 Der Streit über die begriffliche Unterscheidung und die praktische
Abgrenzung von zivilem und strafbarem Unrecht, wie er z. B. von Binding,
Normen, 3. A., I 237 ff.; Merkel, Kriminalist. Abhandl. I 11, Bierling,
Juristische Prinzipienlehre III 191, 211, 234, geführt wird, entbehrt der
nötigen Klarheit, weil nicht genügend unterschieden wird, was allgemein
gültig festgestellt werden kann und was nur positivrechtlich gilt, und weil
nicht klar erkannt worden ist, daß die Frage zusammenhängt mit dem
Gegensatz von öffentlichem und privatem Recht und damit mit der Er-
zwingbarkeit des Rechts. Vgl. Hälschner in Gerichtssaal 1876, 411 ff.
Aber nicht weil das Verbrechen (z. B. Diebstahl) sich nicht nur gegen die
"konkrete, sondern auch gegen die abstrakte Vermögensberechtigung" und
damit unmittelbar gegen das objektive Recht richtet, ist sie strafbar -- denn,
wie H. selbst sagt, wenn ein konkretes Recht angegriffen wird, wird auch
der Rechtssatz, auf dem er beruht, angegriffen; unmittelbarer kann er nicht
angegriffen werden --, sondern weil der zwingende Rechtssatz der Ver-
fügungsfreiheit der Privatperson angegriffen wird. Wer einen Vertrag nicht
erfüllt, negiert die Vertragsfreiheit nicht, wohl aber wer den Vertragsgegner
betrügt.
2 Während das Familienrecht eher auch gegen fahrlässige Pflicht-
verletzung geschützt sein wird.
3 Wir sagten oben (S. 27), daß die Unterscheidung von öffentlichem
und privatem Recht sich auf die Normen beziehe, nicht auf ganze Institute.

II. Teil. Die staatliche Verfassung.
an der Sache in einen persönlichen Anspruch auf Schadenersatz
umzuwandeln, und ein dingliches Recht an der Sache wäre gar
nicht möglich (vgl. oben S. 283)1.

Der Staat muß also den dinglich Berechtigten von Rechts
und Amts wegen in seiner Verfügung über die Sache gegen fremde
Einflüsse schützen. Aber er muß ihn nur gegen gewollte Ein-
griffe schützen, nicht gegen unbeabsichtigte, wenn auch fahr-
lässige; eine Sachenrechtsordnung ist zwar nicht ohne jenen Schutz
denkbar, wohl aber ohne diesen. Wenn das positive Recht dieser
Auffassung ist, schreitet die Zwangsgewalt des Staates nur auf
Klage des Berechtigten ein, um Störungen zu verhindern, und straft
die Strafgewalt nicht, falls die (unbeabsichtigte) Störung nicht
verhindert werden konnte. Indessen mag das im positiven Recht
verschieden geordnet werden2. Was wir hervorheben wollten, ist
nur das, daß, was das Gesetz sachenrechtlich verbieten will, es
auch, mindestens gegen gewollte Auflehnung, durchsetzen muß.

Ein solches Verbot ist aber auch eine öffentlich-rechtliche
Norm, sofern und soweit sie von Amts wegen erzwungen und
gegebenfalls mit Strafe geahndet wird3. Es ist eine zwar inhalt-

1 Der Streit über die begriffliche Unterscheidung und die praktische
Abgrenzung von zivilem und strafbarem Unrecht, wie er z. B. von Binding,
Normen, 3. A., I 237 ff.; Merkel, Kriminalist. Abhandl. I 11, Bierling,
Juristische Prinzipienlehre III 191, 211, 234, geführt wird, entbehrt der
nötigen Klarheit, weil nicht genügend unterschieden wird, was allgemein
gültig festgestellt werden kann und was nur positivrechtlich gilt, und weil
nicht klar erkannt worden ist, daß die Frage zusammenhängt mit dem
Gegensatz von öffentlichem und privatem Recht und damit mit der Er-
zwingbarkeit des Rechts. Vgl. Hälschner in Gerichtssaal 1876, 411 ff.
Aber nicht weil das Verbrechen (z. B. Diebstahl) sich nicht nur gegen die
„konkrete, sondern auch gegen die abstrakte Vermögensberechtigung“ und
damit unmittelbar gegen das objektive Recht richtet, ist sie strafbar — denn,
wie H. selbst sagt, wenn ein konkretes Recht angegriffen wird, wird auch
der Rechtssatz, auf dem er beruht, angegriffen; unmittelbarer kann er nicht
angegriffen werden —, sondern weil der zwingende Rechtssatz der Ver-
fügungsfreiheit der Privatperson angegriffen wird. Wer einen Vertrag nicht
erfüllt, negiert die Vertragsfreiheit nicht, wohl aber wer den Vertragsgegner
betrügt.
2 Während das Familienrecht eher auch gegen fahrlässige Pflicht-
verletzung geschützt sein wird.
3 Wir sagten oben (S. 27), daß die Unterscheidung von öffentlichem
und privatem Recht sich auf die Normen beziehe, nicht auf ganze Institute.
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[292/0307] II. Teil. Die staatliche Verfassung. an der Sache in einen persönlichen Anspruch auf Schadenersatz umzuwandeln, und ein dingliches Recht an der Sache wäre gar nicht möglich (vgl. oben S. 283) 1. Der Staat muß also den dinglich Berechtigten von Rechts und Amts wegen in seiner Verfügung über die Sache gegen fremde Einflüsse schützen. Aber er muß ihn nur gegen gewollte Ein- griffe schützen, nicht gegen unbeabsichtigte, wenn auch fahr- lässige; eine Sachenrechtsordnung ist zwar nicht ohne jenen Schutz denkbar, wohl aber ohne diesen. Wenn das positive Recht dieser Auffassung ist, schreitet die Zwangsgewalt des Staates nur auf Klage des Berechtigten ein, um Störungen zu verhindern, und straft die Strafgewalt nicht, falls die (unbeabsichtigte) Störung nicht verhindert werden konnte. Indessen mag das im positiven Recht verschieden geordnet werden 2. Was wir hervorheben wollten, ist nur das, daß, was das Gesetz sachenrechtlich verbieten will, es auch, mindestens gegen gewollte Auflehnung, durchsetzen muß. Ein solches Verbot ist aber auch eine öffentlich-rechtliche Norm, sofern und soweit sie von Amts wegen erzwungen und gegebenfalls mit Strafe geahndet wird 3. Es ist eine zwar inhalt- 1 Der Streit über die begriffliche Unterscheidung und die praktische Abgrenzung von zivilem und strafbarem Unrecht, wie er z. B. von Binding, Normen, 3. A., I 237 ff.; Merkel, Kriminalist. Abhandl. I 11, Bierling, Juristische Prinzipienlehre III 191, 211, 234, geführt wird, entbehrt der nötigen Klarheit, weil nicht genügend unterschieden wird, was allgemein gültig festgestellt werden kann und was nur positivrechtlich gilt, und weil nicht klar erkannt worden ist, daß die Frage zusammenhängt mit dem Gegensatz von öffentlichem und privatem Recht und damit mit der Er- zwingbarkeit des Rechts. Vgl. Hälschner in Gerichtssaal 1876, 411 ff. Aber nicht weil das Verbrechen (z. B. Diebstahl) sich nicht nur gegen die „konkrete, sondern auch gegen die abstrakte Vermögensberechtigung“ und damit unmittelbar gegen das objektive Recht richtet, ist sie strafbar — denn, wie H. selbst sagt, wenn ein konkretes Recht angegriffen wird, wird auch der Rechtssatz, auf dem er beruht, angegriffen; unmittelbarer kann er nicht angegriffen werden —, sondern weil der zwingende Rechtssatz der Ver- fügungsfreiheit der Privatperson angegriffen wird. Wer einen Vertrag nicht erfüllt, negiert die Vertragsfreiheit nicht, wohl aber wer den Vertragsgegner betrügt. 2 Während das Familienrecht eher auch gegen fahrlässige Pflicht- verletzung geschützt sein wird. 3 Wir sagten oben (S. 27), daß die Unterscheidung von öffentlichem und privatem Recht sich auf die Normen beziehe, nicht auf ganze Institute.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927, S. 292. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927/307>, abgerufen am 15.05.2024.