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Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927.

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Die Erzwingung des Rechts.
lich durch die Nichtzustimmung des Eigentümers (oder dinglich
Berechtigten) bedingte, formell aber unbedingte, zwingende
Forderung des Rechts. Der Unterschied zeigt sich darin, daß die
Verletzung fremden Eigentums zwar nur dem öffentlichen Recht
widerspricht, wenn sie gegen den Willen des Eigentümers vorge-
nommen wird (das gehört zum Tatbestand der Norm), daß aber,
wenn dieser Tatbestand vorliegt, dagegen durch Zwang oder
Strafe eingeschritten wird, ohne Rücksicht auf den Willen des
Verletzten, im Gegensatz zum privatrechtlichen Schutz des Eigen-
tums, z. B. gegen fahrlässige Verletzung, oder zum Anspruch auf
Schadenersatz gegen den Dieb, auf die der Verletzte auch nach-
träglich verzichten kann1.

Betrachten wir also die zum Schutze der dinglichen Rechte er-
lassenen Normen als inhaltlich (durch den Willen des Berechtigten)
bedingte, formell aber (wenn nämlich dieser Tatbestand vorliegt)
als unbedingte, zwingende Normen, so bestätigt sich das oben
Gesagte: es sind in der Tat stehts öffentlich-rechtliche, zwingende
Pflichten, die von Amts wegen erzwungen werden; und alle, die
von Amts wegen erzwungen werden, sind öffentlich-rechtliche,
zwingende Pflichten bzw. Normen; nur die Voraussetzungen der
Normen selbst (ein Teil des Inhaltes!) sind bei den erstgenannten
Normen eigenartig; ihr Inhalt, nicht ihre Form, was befohlen ist,
nicht wie es befohlen ist. Der Befehl ist durchaus kategorisch, wie
es dem Begriffe des öffentlichen Rechts entspricht.

Und ähnlich verhält es sich mit dem Schutze der Vertrags-
freiheit.
Die Verträge, die Private abschließen mögen, sind private
Rechtsgeschäfte und begründen subjektive, zufällige Rechtsver-
hältnisse. Sie werden nicht durch öffentliche Strafen gegen Ver-
letzung geschützt. Die Vertragsfreiheit aber, die Möglichkeit, in
freier Entschließung Rechtsgeschäfte zu begründen, ist öffentlich-
rechtlich gesichert, und die Angriffe auf diese Freiheit durch Täu-
schung oder Zwang, wie sie sich in den Tatbeständen des Betruges,
der Erpressung, des Wuchers u. a. m. zeigen, ist strafbar. Weshalb
die Nichterfüllung von privatrechtlichen Vertragspflichten nirgends

1 Es ist ein ähnlicher Fall, wie bei öffentlich-rechtlichen Leistungen
des Staates an Private, die nur unter der Voraussetzung geschuldet sind,
daß der Private sie begehrt. Vgl. oben S. 74 f. z. B. die Entschädigungs-
pflicht des Staates. Vgl. Lücken des Gesetzes 30.

Die Erzwingung des Rechts.
lich durch die Nichtzustimmung des Eigentümers (oder dinglich
Berechtigten) bedingte, formell aber unbedingte, zwingende
Forderung des Rechts. Der Unterschied zeigt sich darin, daß die
Verletzung fremden Eigentums zwar nur dem öffentlichen Recht
widerspricht, wenn sie gegen den Willen des Eigentümers vorge-
nommen wird (das gehört zum Tatbestand der Norm), daß aber,
wenn dieser Tatbestand vorliegt, dagegen durch Zwang oder
Strafe eingeschritten wird, ohne Rücksicht auf den Willen des
Verletzten, im Gegensatz zum privatrechtlichen Schutz des Eigen-
tums, z. B. gegen fahrlässige Verletzung, oder zum Anspruch auf
Schadenersatz gegen den Dieb, auf die der Verletzte auch nach-
träglich verzichten kann1.

Betrachten wir also die zum Schutze der dinglichen Rechte er-
lassenen Normen als inhaltlich (durch den Willen des Berechtigten)
bedingte, formell aber (wenn nämlich dieser Tatbestand vorliegt)
als unbedingte, zwingende Normen, so bestätigt sich das oben
Gesagte: es sind in der Tat stehts öffentlich-rechtliche, zwingende
Pflichten, die von Amts wegen erzwungen werden; und alle, die
von Amts wegen erzwungen werden, sind öffentlich-rechtliche,
zwingende Pflichten bzw. Normen; nur die Voraussetzungen der
Normen selbst (ein Teil des Inhaltes!) sind bei den erstgenannten
Normen eigenartig; ihr Inhalt, nicht ihre Form, was befohlen ist,
nicht wie es befohlen ist. Der Befehl ist durchaus kategorisch, wie
es dem Begriffe des öffentlichen Rechts entspricht.

Und ähnlich verhält es sich mit dem Schutze der Vertrags-
freiheit.
Die Verträge, die Private abschließen mögen, sind private
Rechtsgeschäfte und begründen subjektive, zufällige Rechtsver-
hältnisse. Sie werden nicht durch öffentliche Strafen gegen Ver-
letzung geschützt. Die Vertragsfreiheit aber, die Möglichkeit, in
freier Entschließung Rechtsgeschäfte zu begründen, ist öffentlich-
rechtlich gesichert, und die Angriffe auf diese Freiheit durch Täu-
schung oder Zwang, wie sie sich in den Tatbeständen des Betruges,
der Erpressung, des Wuchers u. a. m. zeigen, ist strafbar. Weshalb
die Nichterfüllung von privatrechtlichen Vertragspflichten nirgends

1 Es ist ein ähnlicher Fall, wie bei öffentlich-rechtlichen Leistungen
des Staates an Private, die nur unter der Voraussetzung geschuldet sind,
daß der Private sie begehrt. Vgl. oben S. 74 f. z. B. die Entschädigungs-
pflicht des Staates. Vgl. Lücken des Gesetzes 30.
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[293/0308] Die Erzwingung des Rechts. lich durch die Nichtzustimmung des Eigentümers (oder dinglich Berechtigten) bedingte, formell aber unbedingte, zwingende Forderung des Rechts. Der Unterschied zeigt sich darin, daß die Verletzung fremden Eigentums zwar nur dem öffentlichen Recht widerspricht, wenn sie gegen den Willen des Eigentümers vorge- nommen wird (das gehört zum Tatbestand der Norm), daß aber, wenn dieser Tatbestand vorliegt, dagegen durch Zwang oder Strafe eingeschritten wird, ohne Rücksicht auf den Willen des Verletzten, im Gegensatz zum privatrechtlichen Schutz des Eigen- tums, z. B. gegen fahrlässige Verletzung, oder zum Anspruch auf Schadenersatz gegen den Dieb, auf die der Verletzte auch nach- träglich verzichten kann 1. Betrachten wir also die zum Schutze der dinglichen Rechte er- lassenen Normen als inhaltlich (durch den Willen des Berechtigten) bedingte, formell aber (wenn nämlich dieser Tatbestand vorliegt) als unbedingte, zwingende Normen, so bestätigt sich das oben Gesagte: es sind in der Tat stehts öffentlich-rechtliche, zwingende Pflichten, die von Amts wegen erzwungen werden; und alle, die von Amts wegen erzwungen werden, sind öffentlich-rechtliche, zwingende Pflichten bzw. Normen; nur die Voraussetzungen der Normen selbst (ein Teil des Inhaltes!) sind bei den erstgenannten Normen eigenartig; ihr Inhalt, nicht ihre Form, was befohlen ist, nicht wie es befohlen ist. Der Befehl ist durchaus kategorisch, wie es dem Begriffe des öffentlichen Rechts entspricht. Und ähnlich verhält es sich mit dem Schutze der Vertrags- freiheit. Die Verträge, die Private abschließen mögen, sind private Rechtsgeschäfte und begründen subjektive, zufällige Rechtsver- hältnisse. Sie werden nicht durch öffentliche Strafen gegen Ver- letzung geschützt. Die Vertragsfreiheit aber, die Möglichkeit, in freier Entschließung Rechtsgeschäfte zu begründen, ist öffentlich- rechtlich gesichert, und die Angriffe auf diese Freiheit durch Täu- schung oder Zwang, wie sie sich in den Tatbeständen des Betruges, der Erpressung, des Wuchers u. a. m. zeigen, ist strafbar. Weshalb die Nichterfüllung von privatrechtlichen Vertragspflichten nirgends 1 Es ist ein ähnlicher Fall, wie bei öffentlich-rechtlichen Leistungen des Staates an Private, die nur unter der Voraussetzung geschuldet sind, daß der Private sie begehrt. Vgl. oben S. 74 f. z. B. die Entschädigungs- pflicht des Staates. Vgl. Lücken des Gesetzes 30.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927, S. 293. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927/308>, abgerufen am 15.05.2024.