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Buri, Maximilian von: Ueber Causalität und deren Verantwortung. Leipzig, 1873.

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Schaden vergrößert. -- Nur in ihrem ferneren Verlaufe
können die durch culpa hervorgerufenen Kräfte dadurch sich
zu vorsätzlichen qualificiren, daß sie von den nachfolgenden
dolosen Kräften zur Erreichung des jetzt beabsichtigten Ziels
verwendet werden. Was aber einmal dolos oder culpos
wirklich geschehen ist, kann hintendrein nicht mehr in sein
Gegentheil verwandelt werden. Die Fenstergardine ist und
bleibt fahrlässig angezündet, wenn sodann auch der Brand
absichtlich befördert wird, und das absichtlich Verursachte kann
daher als solches auch nur mit Ausschluß des fahrlässigen
Anzündens der Fenstergardine, beziehungsweise des hierin
enthaltenen Theils des objectiven Thatbestandes, bestraft
werden. Da es jedoch auch in dieser Gestalt noch den vollen
Thatbestand einer absichtlichen Brandstiftung umfaßt, so liegt
auch noch dieses Verbrechen in seiner Vollendung vor. Das
fahrlässige Anzünden der Fenstergardine hat zwar, indem es
durch die nachfolgende Handlung in Causalzusammenhang
mit der absichtlichen Brandstiftung gesetzt wurde, seine selbst-
ständige Bedeutung, aber nicht seinen Ursprung aus der
Fahrlässigkeit verloren, weshalb dieser Theil des Ganzen auch
nicht so hoch in der Strafe in Ansatz gebracht werden kann,
als wenn er aus Vorsatz hervorgegangen wäre.

Wird man sich hiernach aber auch bei den gemeingefähr-
lichen Verbrechen der Untersuchung nicht entschlagen dürfen,
ob, und in wie weit, die eingetretenen Erfolge gewollt waren,
oder nicht, so tritt doch gerade hier besonders der Gesichts-
punkt hervor, daß das als nothwendiges Ergebniß der
Handlung Vorausgesehene von dem Willen nicht abgelehnt
werden kann. Wer einem Eisenbahnzuge, um das Material
zu zerstören, Hindernisse bereitet, damit er von dem Damm
herunterstürze, der hat nicht die geringste Wahrscheinlichkeit
für sich, daß nicht zugleich auch die auf dem Zuge befindlichen

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Schaden vergrößert. — Nur in ihrem ferneren Verlaufe
können die durch culpa hervorgerufenen Kräfte dadurch ſich
zu vorſätzlichen qualificiren, daß ſie von den nachfolgenden
doloſen Kräften zur Erreichung des jetzt beabſichtigten Ziels
verwendet werden. Was aber einmal dolos oder culpos
wirklich geſchehen iſt, kann hintendrein nicht mehr in ſein
Gegentheil verwandelt werden. Die Fenſtergardine iſt und
bleibt fahrläſſig angezündet, wenn ſodann auch der Brand
abſichtlich befördert wird, und das abſichtlich Verurſachte kann
daher als ſolches auch nur mit Ausſchluß des fahrläſſigen
Anzündens der Fenſtergardine, beziehungsweiſe des hierin
enthaltenen Theils des objectiven Thatbeſtandes, beſtraft
werden. Da es jedoch auch in dieſer Geſtalt noch den vollen
Thatbeſtand einer abſichtlichen Brandſtiftung umfaßt, ſo liegt
auch noch dieſes Verbrechen in ſeiner Vollendung vor. Das
fahrläſſige Anzünden der Fenſtergardine hat zwar, indem es
durch die nachfolgende Handlung in Cauſalzuſammenhang
mit der abſichtlichen Brandſtiftung geſetzt wurde, ſeine ſelbſt-
ſtändige Bedeutung, aber nicht ſeinen Urſprung aus der
Fahrläſſigkeit verloren, weshalb dieſer Theil des Ganzen auch
nicht ſo hoch in der Strafe in Anſatz gebracht werden kann,
als wenn er aus Vorſatz hervorgegangen wäre.

Wird man ſich hiernach aber auch bei den gemeingefähr-
lichen Verbrechen der Unterſuchung nicht entſchlagen dürfen,
ob, und in wie weit, die eingetretenen Erfolge gewollt waren,
oder nicht, ſo tritt doch gerade hier beſonders der Geſichts-
punkt hervor, daß das als nothwendiges Ergebniß der
Handlung Vorausgeſehene von dem Willen nicht abgelehnt
werden kann. Wer einem Eiſenbahnzuge, um das Material
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[49/0053] Schaden vergrößert. — Nur in ihrem ferneren Verlaufe können die durch culpa hervorgerufenen Kräfte dadurch ſich zu vorſätzlichen qualificiren, daß ſie von den nachfolgenden doloſen Kräften zur Erreichung des jetzt beabſichtigten Ziels verwendet werden. Was aber einmal dolos oder culpos wirklich geſchehen iſt, kann hintendrein nicht mehr in ſein Gegentheil verwandelt werden. Die Fenſtergardine iſt und bleibt fahrläſſig angezündet, wenn ſodann auch der Brand abſichtlich befördert wird, und das abſichtlich Verurſachte kann daher als ſolches auch nur mit Ausſchluß des fahrläſſigen Anzündens der Fenſtergardine, beziehungsweiſe des hierin enthaltenen Theils des objectiven Thatbeſtandes, beſtraft werden. Da es jedoch auch in dieſer Geſtalt noch den vollen Thatbeſtand einer abſichtlichen Brandſtiftung umfaßt, ſo liegt auch noch dieſes Verbrechen in ſeiner Vollendung vor. Das fahrläſſige Anzünden der Fenſtergardine hat zwar, indem es durch die nachfolgende Handlung in Cauſalzuſammenhang mit der abſichtlichen Brandſtiftung geſetzt wurde, ſeine ſelbſt- ſtändige Bedeutung, aber nicht ſeinen Urſprung aus der Fahrläſſigkeit verloren, weshalb dieſer Theil des Ganzen auch nicht ſo hoch in der Strafe in Anſatz gebracht werden kann, als wenn er aus Vorſatz hervorgegangen wäre. Wird man ſich hiernach aber auch bei den gemeingefähr- lichen Verbrechen der Unterſuchung nicht entſchlagen dürfen, ob, und in wie weit, die eingetretenen Erfolge gewollt waren, oder nicht, ſo tritt doch gerade hier beſonders der Geſichts- punkt hervor, daß das als nothwendiges Ergebniß der Handlung Vorausgeſehene von dem Willen nicht abgelehnt werden kann. Wer einem Eiſenbahnzuge, um das Material zu zerſtören, Hinderniſſe bereitet, damit er von dem Damm herunterſtürze, der hat nicht die geringſte Wahrſcheinlichkeit für ſich, daß nicht zugleich auch die auf dem Zuge befindlichen 4

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Zitationshilfe: Buri, Maximilian von: Ueber Causalität und deren Verantwortung. Leipzig, 1873, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buri_causalitaet_1873/53>, abgerufen am 29.04.2024.