Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846.

Bild:
<< vorherige Seite

herigen Morphologie und Physiologie verwiesen werden, und
ich erinnere abermals dabei an das oben angeführte Gleich¬
niß Göthe's vom Lichte: -- Jede nähere Erkenntniß des durch
unbewußtes Walten der Idee sich offenbarenden organischen
Lebens, wird nothwendig rückwirkend zur nähern Erkennt¬
niß und zum bessern Verstehen der Idee selbst führen, nur
müssen immerfort alle diese Gestaltungen betrachtet und
gleichsam gelesen werden als eigenthümliche Hieroglyphen
in denen ein göttliches Wort sich ausdrückt. Wie bedeu¬
tungsvoll wird dann insbesondre die Geschichte des Wachs¬
thums und der allmähligen Entwicklung des Menschen in
solchem Sinne! -- Zu beobachten, wie theils aus der unzäh¬
ligen Wiederholung der Monas des Urbläschens oder der
Zelle, die Masse des Organismus hervorgeht, theils wie
diese Masse sodann durch Verschmelzung oder Spaltung,
Umbildung oder Dehiscenz stets sich weiter entwickelt, und
wie überhaupt durch fort und fort schaffende Gliederung
der einzelnen Gebilde eine eigenthümlich göttliche Idee
ihr unsichtbares Wesen, wie in sichtbaren Lettern nieder¬
schreibt und räumlich verkündigt, dies Alles ist nicht bloß
für den Physiologen sondern eben so, ja eigentlich noch
weit mehr für den Psychologen ein Gegenstand sich immer
wiederholender Bewunderung und immer erneuten Stu¬
diums.

Die zweite Stufe war die Entwicklung der Idee
zu einem vorbereitenden allgemeinen Bewußt¬
sein
, einem Weltbewußtsein. Wir müssen uns
hier zunächst der Bedingungen erinnern, an welche über¬
haupt alles Bewußtsein geknüpft war. Die erste ist: Ent¬
wicklung einer fortwährend von der Idee aus impressiona¬
beln homogenen Substanz und zwar ohne daß dieselbe durch
diese Impressionen zu heterogenen organischen Fortbildungen
angeregt werde -- d. h. also Entwicklung und Reifen
eines Nervensystems
. Die zweite Bedingung war
die Einwirkung einer Außenwelt auf den Organis¬

herigen Morphologie und Phyſiologie verwieſen werden, und
ich erinnere abermals dabei an das oben angeführte Gleich¬
niß Göthe's vom Lichte: — Jede nähere Erkenntniß des durch
unbewußtes Walten der Idee ſich offenbarenden organiſchen
Lebens, wird nothwendig rückwirkend zur nähern Erkennt¬
niß und zum beſſern Verſtehen der Idee ſelbſt führen, nur
müſſen immerfort alle dieſe Geſtaltungen betrachtet und
gleichſam geleſen werden als eigenthümliche Hieroglyphen
in denen ein göttliches Wort ſich ausdrückt. Wie bedeu¬
tungsvoll wird dann insbeſondre die Geſchichte des Wachs¬
thums und der allmähligen Entwicklung des Menſchen in
ſolchem Sinne! — Zu beobachten, wie theils aus der unzäh¬
ligen Wiederholung der Monas des Urbläschens oder der
Zelle, die Maſſe des Organismus hervorgeht, theils wie
dieſe Maſſe ſodann durch Verſchmelzung oder Spaltung,
Umbildung oder Dehiscenz ſtets ſich weiter entwickelt, und
wie überhaupt durch fort und fort ſchaffende Gliederung
der einzelnen Gebilde eine eigenthümlich göttliche Idee
ihr unſichtbares Weſen, wie in ſichtbaren Lettern nieder¬
ſchreibt und räumlich verkündigt, dies Alles iſt nicht bloß
für den Phyſiologen ſondern eben ſo, ja eigentlich noch
weit mehr für den Pſychologen ein Gegenſtand ſich immer
wiederholender Bewunderung und immer erneuten Stu¬
diums.

Die zweite Stufe war die Entwicklung der Idee
zu einem vorbereitenden allgemeinen Bewußt¬
ſein
, einem Weltbewußtſein. Wir müſſen uns
hier zunächſt der Bedingungen erinnern, an welche über¬
haupt alles Bewußtſein geknüpft war. Die erſte iſt: Ent¬
wicklung einer fortwährend von der Idee aus impreſſiona¬
beln homogenen Subſtanz und zwar ohne daß dieſelbe durch
dieſe Impreſſionen zu heterogenen organiſchen Fortbildungen
angeregt werde — d. h. alſo Entwicklung und Reifen
eines Nervenſyſtems
. Die zweite Bedingung war
die Einwirkung einer Außenwelt auf den Organis¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0170" n="154"/>
herigen Morphologie und Phy&#x017F;iologie verwie&#x017F;en werden, und<lb/>
ich erinnere abermals dabei an das oben angeführte Gleich¬<lb/>
niß Göthe's vom Lichte: &#x2014; Jede nähere Erkenntniß des durch<lb/>
unbewußtes Walten der Idee &#x017F;ich offenbarenden organi&#x017F;chen<lb/>
Lebens, wird nothwendig rückwirkend zur nähern Erkennt¬<lb/>
niß und zum be&#x017F;&#x017F;ern Ver&#x017F;tehen der Idee &#x017F;elb&#x017F;t führen, nur<lb/>&#x017F;&#x017F;en immerfort alle die&#x017F;e Ge&#x017F;taltungen betrachtet und<lb/>
gleich&#x017F;am gele&#x017F;en werden als eigenthümliche Hieroglyphen<lb/>
in denen ein göttliches Wort &#x017F;ich ausdrückt. Wie bedeu¬<lb/>
tungsvoll wird dann insbe&#x017F;ondre die Ge&#x017F;chichte des Wachs¬<lb/>
thums und der allmähligen Entwicklung des Men&#x017F;chen in<lb/>
&#x017F;olchem Sinne! &#x2014; Zu beobachten, wie theils aus der unzäh¬<lb/>
ligen Wiederholung der Monas des Urbläschens oder der<lb/>
Zelle, die Ma&#x017F;&#x017F;e des Organismus hervorgeht, theils wie<lb/>
die&#x017F;e Ma&#x017F;&#x017F;e &#x017F;odann durch Ver&#x017F;chmelzung oder Spaltung,<lb/>
Umbildung oder Dehiscenz &#x017F;tets &#x017F;ich weiter entwickelt, und<lb/>
wie überhaupt durch fort und fort &#x017F;chaffende Gliederung<lb/>
der einzelnen Gebilde eine eigenthümlich göttliche Idee<lb/>
ihr un&#x017F;ichtbares We&#x017F;en, wie in &#x017F;ichtbaren Lettern nieder¬<lb/>
&#x017F;chreibt und räumlich verkündigt, dies Alles i&#x017F;t nicht bloß<lb/>
für den Phy&#x017F;iologen &#x017F;ondern eben &#x017F;o, ja eigentlich noch<lb/>
weit mehr für den P&#x017F;ychologen ein Gegen&#x017F;tand &#x017F;ich immer<lb/>
wiederholender Bewunderung und immer erneuten Stu¬<lb/>
diums.</p><lb/>
            <p>Die zweite Stufe war <hi rendition="#g">die Entwicklung der Idee<lb/>
zu einem vorbereitenden allgemeinen Bewußt¬<lb/>
&#x017F;ein</hi>, <hi rendition="#g">einem Weltbewußt&#x017F;ein</hi>. Wir mü&#x017F;&#x017F;en uns<lb/>
hier zunäch&#x017F;t der Bedingungen erinnern, an welche über¬<lb/>
haupt alles Bewußt&#x017F;ein geknüpft war. Die er&#x017F;te i&#x017F;t: Ent¬<lb/>
wicklung einer fortwährend von der Idee aus impre&#x017F;&#x017F;iona¬<lb/>
beln homogenen Sub&#x017F;tanz und zwar ohne daß die&#x017F;elbe durch<lb/>
die&#x017F;e Impre&#x017F;&#x017F;ionen zu heterogenen organi&#x017F;chen Fortbildungen<lb/>
angeregt werde &#x2014; d. h. al&#x017F;o Entwicklung und <hi rendition="#g">Reifen<lb/>
eines Nerven&#x017F;y&#x017F;tems</hi>. Die zweite Bedingung war<lb/>
die <hi rendition="#g">Einwirkung einer Außenwelt</hi> auf den Organis¬<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[154/0170] herigen Morphologie und Phyſiologie verwieſen werden, und ich erinnere abermals dabei an das oben angeführte Gleich¬ niß Göthe's vom Lichte: — Jede nähere Erkenntniß des durch unbewußtes Walten der Idee ſich offenbarenden organiſchen Lebens, wird nothwendig rückwirkend zur nähern Erkennt¬ niß und zum beſſern Verſtehen der Idee ſelbſt führen, nur müſſen immerfort alle dieſe Geſtaltungen betrachtet und gleichſam geleſen werden als eigenthümliche Hieroglyphen in denen ein göttliches Wort ſich ausdrückt. Wie bedeu¬ tungsvoll wird dann insbeſondre die Geſchichte des Wachs¬ thums und der allmähligen Entwicklung des Menſchen in ſolchem Sinne! — Zu beobachten, wie theils aus der unzäh¬ ligen Wiederholung der Monas des Urbläschens oder der Zelle, die Maſſe des Organismus hervorgeht, theils wie dieſe Maſſe ſodann durch Verſchmelzung oder Spaltung, Umbildung oder Dehiscenz ſtets ſich weiter entwickelt, und wie überhaupt durch fort und fort ſchaffende Gliederung der einzelnen Gebilde eine eigenthümlich göttliche Idee ihr unſichtbares Weſen, wie in ſichtbaren Lettern nieder¬ ſchreibt und räumlich verkündigt, dies Alles iſt nicht bloß für den Phyſiologen ſondern eben ſo, ja eigentlich noch weit mehr für den Pſychologen ein Gegenſtand ſich immer wiederholender Bewunderung und immer erneuten Stu¬ diums. Die zweite Stufe war die Entwicklung der Idee zu einem vorbereitenden allgemeinen Bewußt¬ ſein, einem Weltbewußtſein. Wir müſſen uns hier zunächſt der Bedingungen erinnern, an welche über¬ haupt alles Bewußtſein geknüpft war. Die erſte iſt: Ent¬ wicklung einer fortwährend von der Idee aus impreſſiona¬ beln homogenen Subſtanz und zwar ohne daß dieſelbe durch dieſe Impreſſionen zu heterogenen organiſchen Fortbildungen angeregt werde — d. h. alſo Entwicklung und Reifen eines Nervenſyſtems. Die zweite Bedingung war die Einwirkung einer Außenwelt auf den Organis¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/170
Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/170>, abgerufen am 29.04.2024.