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Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846.

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mus und die Möglichkeit daß jene für die innere Idee
fortwährend impressionable Substanz dieses auch sei für
die Ideen der Außenwelt. Die dritte, daß diese Impres¬
sionen des Nervensystems nicht unmittelbar, wie sie gekom¬
men sind, schwinden, sondern daß sie bleibend werden
und verglichen werden können. Die vierte, daß um ein
höheres Bewußtsein möglich zu machen, eine gewisse
größere Menge
von diesen Impressionen der Nerven¬
masse oder -- wie wir nun kurz sagen -- Vorstellungen
-- in der Seele vorhanden bleibe. Von diesen Bedingun¬
gen wird die erste durch ursprüngliche Bildungsvorgänge
erfüllt, die zweite tritt erst mit der Geburt ein, und von
da aus kann also auch die dritte erst sich geltend machen.
Die vierte wird noch später sich verwirklichen, doch muß
die bedingende Möglichkeit dazu allemal in der Entwicklung
der Hirnmasse gegeben sein. Nennen wir nun die Idee
erst alsdann Seele, wenn mindestens eine Art des Be¬
wußtseins in ihr erwacht ist, so erkennen wir daß in jedem
Falle nur erst nach der Geburt des Kindes sie mit die¬
sem Namen zu bezeichnen ist, denn nur mit diesem Akt
der übrigens eine vollständige Metamorphose des Geschöpfs
einschließt, indem dadurch zugleich der in Hüllen einge¬
schlossene Fötalmensch diese Hüllen abwirft und zum wah¬
ren Menschen sich umgestaltet, erfüllen sich die wesentlichen
Bedingungen eines Bewußtseins und zunächst des Welt¬
bewußtseins. Eben weil jedoch noch kein wahres Selbst¬
bewußtsein sofort und unmittelbar nach der Geburt möglich
ist, tritt nun zuerst auch im Neugebornen deutlich hervor,
daß noch wie in der Organisation, so auch über die Or¬
ganisation hinaus, mit Nothwendigkeit die Idee
wirksam sei, und dies gibt dann wieder seinem ersten Thun
allemal die Form des Triebes.

Von allen Trieben der Thierwelt entwickeln sich indeß
im Menschen (eben weil seine höhere Bedeutung für Selbst¬
bewußtsein immerfort der Bestimmung in der Form der

mus und die Möglichkeit daß jene für die innere Idee
fortwährend impreſſionable Subſtanz dieſes auch ſei für
die Ideen der Außenwelt. Die dritte, daß dieſe Impreſ¬
ſionen des Nervenſyſtems nicht unmittelbar, wie ſie gekom¬
men ſind, ſchwinden, ſondern daß ſie bleibend werden
und verglichen werden können. Die vierte, daß um ein
höheres Bewußtſein möglich zu machen, eine gewiſſe
größere Menge
von dieſen Impreſſionen der Nerven¬
maſſe oder — wie wir nun kurz ſagen — Vorſtellungen
— in der Seele vorhanden bleibe. Von dieſen Bedingun¬
gen wird die erſte durch urſprüngliche Bildungsvorgänge
erfüllt, die zweite tritt erſt mit der Geburt ein, und von
da aus kann alſo auch die dritte erſt ſich geltend machen.
Die vierte wird noch ſpäter ſich verwirklichen, doch muß
die bedingende Möglichkeit dazu allemal in der Entwicklung
der Hirnmaſſe gegeben ſein. Nennen wir nun die Idee
erſt alsdann Seele, wenn mindeſtens eine Art des Be¬
wußtſeins in ihr erwacht iſt, ſo erkennen wir daß in jedem
Falle nur erſt nach der Geburt des Kindes ſie mit die¬
ſem Namen zu bezeichnen iſt, denn nur mit dieſem Akt
der übrigens eine vollſtändige Metamorphoſe des Geſchöpfs
einſchließt, indem dadurch zugleich der in Hüllen einge¬
ſchloſſene Fötalmenſch dieſe Hüllen abwirft und zum wah¬
ren Menſchen ſich umgeſtaltet, erfüllen ſich die weſentlichen
Bedingungen eines Bewußtſeins und zunächſt des Welt¬
bewußtſeins. Eben weil jedoch noch kein wahres Selbſt¬
bewußtſein ſofort und unmittelbar nach der Geburt möglich
iſt, tritt nun zuerſt auch im Neugebornen deutlich hervor,
daß noch wie in der Organiſation, ſo auch über die Or¬
ganiſation hinaus, mit Nothwendigkeit die Idee
wirkſam ſei, und dies gibt dann wieder ſeinem erſten Thun
allemal die Form des Triebes.

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[155/0171] mus und die Möglichkeit daß jene für die innere Idee fortwährend impreſſionable Subſtanz dieſes auch ſei für die Ideen der Außenwelt. Die dritte, daß dieſe Impreſ¬ ſionen des Nervenſyſtems nicht unmittelbar, wie ſie gekom¬ men ſind, ſchwinden, ſondern daß ſie bleibend werden und verglichen werden können. Die vierte, daß um ein höheres Bewußtſein möglich zu machen, eine gewiſſe größere Menge von dieſen Impreſſionen der Nerven¬ maſſe oder — wie wir nun kurz ſagen — Vorſtellungen — in der Seele vorhanden bleibe. Von dieſen Bedingun¬ gen wird die erſte durch urſprüngliche Bildungsvorgänge erfüllt, die zweite tritt erſt mit der Geburt ein, und von da aus kann alſo auch die dritte erſt ſich geltend machen. Die vierte wird noch ſpäter ſich verwirklichen, doch muß die bedingende Möglichkeit dazu allemal in der Entwicklung der Hirnmaſſe gegeben ſein. Nennen wir nun die Idee erſt alsdann Seele, wenn mindeſtens eine Art des Be¬ wußtſeins in ihr erwacht iſt, ſo erkennen wir daß in jedem Falle nur erſt nach der Geburt des Kindes ſie mit die¬ ſem Namen zu bezeichnen iſt, denn nur mit dieſem Akt der übrigens eine vollſtändige Metamorphoſe des Geſchöpfs einſchließt, indem dadurch zugleich der in Hüllen einge¬ ſchloſſene Fötalmenſch dieſe Hüllen abwirft und zum wah¬ ren Menſchen ſich umgeſtaltet, erfüllen ſich die weſentlichen Bedingungen eines Bewußtſeins und zunächſt des Welt¬ bewußtſeins. Eben weil jedoch noch kein wahres Selbſt¬ bewußtſein ſofort und unmittelbar nach der Geburt möglich iſt, tritt nun zuerſt auch im Neugebornen deutlich hervor, daß noch wie in der Organiſation, ſo auch über die Or¬ ganiſation hinaus, mit Nothwendigkeit die Idee wirkſam ſei, und dies gibt dann wieder ſeinem erſten Thun allemal die Form des Triebes. Von allen Trieben der Thierwelt entwickeln ſich indeß im Menſchen (eben weil ſeine höhere Bedeutung für Selbſt¬ bewußtſein immerfort der Beſtimmung in der Form der

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Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/171>, abgerufen am 29.04.2024.