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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899.

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Das Erbe der alten Welt.
gewiss einzig aus der römischen Verfassung -- mit ihrer Ablehnung
des Majoritätsprinzips und mit ihrem System, Vollmachten an einzelne
Männer zu übertragen -- entwickelt werden konnte.1) Und dieses
römische "Principat" (wie man es nennt, den Titel König hat kein
Caesar getragen) bildet bis zum heutigen Tage die Grundlage alles
europäischen Königtums! Durch die Einführung des Konstitutionalismus,
noch mehr durch die Handhabung des Rechtes, findet allerdings in
vielen Ländern jetzt eine Bewegung statt, zurück auf den freiheitlichen
Standpunkt der alten Römer; prinzipiell ist aber der Monarch überall
noch das, was die Rechtsautoritäten des verfallenden römischen Staates
aus ihm gemacht hatten, ein Gebilde, heisst das, welches dem wahren
Geiste des echten Römertums direkt widerspricht. Die Armee ist bei
uns heute noch immer nicht das Volksheer, das seine Heimat ver-
teidigt, sondern sie ist überall (selbst in England) des Königs Armee;
die Beamten sind nicht Erwählte und Bevollmächtigte des Gesamt-
willens, sondern Diener des Königs u. s. w., u. s. w. Das ist alles
römisch, aber, wie gesagt, römisches aus der Rinder-, Schaf- und
Schweinehirtenzeit. Ich kann das leider hier nicht näher ausführen,
verweise aber zur Bestätigung auf die klassischen Werke von Savigny:
Geschichte des römischen Rechts im Mittelalter, und Sybel: Ent-
stehung des deutschen Königtums,
sowie auch auf Schulte: Deutsche
Reichs- und Rechtsgeschichte.
Überall bei uns ist die absolute Monarchie
erst durch die Berührung mit dem römischen Reich entstanden. Überall
hatten früher die germanischen Könige sehr beschränkte Rechte; die
Majestätsbeleidigung (dieser Prüfstein) wurde entweder gar nicht als
Verbrechen anerkannt oder durch ein einfaches "Wehrgeld" bestraft
(Sybel, 2. Aufl. S. 352); die Ernennung der Grafen als Beamte des
Königs kommt erst nach der Eroberung römischer Länder vor, ja,
es giebt eine lange Zeit, wo die germanischen Könige grössere Rechte
gegen ihre römischen Unterthanen, als gegen ihre freien Franken
besitzen (Savigny I, Kap. IV, Abt. 3). -- -- -- Vor Allem ist der
Begriff eines Unterthanen, des römischen subjectus, eine uns noch
fest anhaftende Erbschaft, die uns recht deutlich empfinden lassen
müsste, was uns noch alles mit dem römischen Reiche in der Zeit
seines Verfalles verknüpft, und was uns noch alles von dem echten
Heldenvolk der Römer scheidet.

1) Als nicht unwichtig sei nebenbei bemerkt, dass eine Regierung durch
Majoritätsbeschlüsse ebenso wenig hellenisch und germanisch, wie römisch war
(worüber namentlich Leist: Gräco-italische Rechtsgeschichte S. 129, 133 ff., 727).

Das Erbe der alten Welt.
gewiss einzig aus der römischen Verfassung — mit ihrer Ablehnung
des Majoritätsprinzips und mit ihrem System, Vollmachten an einzelne
Männer zu übertragen — entwickelt werden konnte.1) Und dieses
römische »Principat« (wie man es nennt, den Titel König hat kein
Caesar getragen) bildet bis zum heutigen Tage die Grundlage alles
europäischen Königtums! Durch die Einführung des Konstitutionalismus,
noch mehr durch die Handhabung des Rechtes, findet allerdings in
vielen Ländern jetzt eine Bewegung statt, zurück auf den freiheitlichen
Standpunkt der alten Römer; prinzipiell ist aber der Monarch überall
noch das, was die Rechtsautoritäten des verfallenden römischen Staates
aus ihm gemacht hatten, ein Gebilde, heisst das, welches dem wahren
Geiste des echten Römertums direkt widerspricht. Die Armee ist bei
uns heute noch immer nicht das Volksheer, das seine Heimat ver-
teidigt, sondern sie ist überall (selbst in England) des Königs Armee;
die Beamten sind nicht Erwählte und Bevollmächtigte des Gesamt-
willens, sondern Diener des Königs u. s. w., u. s. w. Das ist alles
römisch, aber, wie gesagt, römisches aus der Rinder-, Schaf- und
Schweinehirtenzeit. Ich kann das leider hier nicht näher ausführen,
verweise aber zur Bestätigung auf die klassischen Werke von Savigny:
Geschichte des römischen Rechts im Mittelalter, und Sybel: Ent-
stehung des deutschen Königtums,
sowie auch auf Schulte: Deutsche
Reichs- und Rechtsgeschichte.
Überall bei uns ist die absolute Monarchie
erst durch die Berührung mit dem römischen Reich entstanden. Überall
hatten früher die germanischen Könige sehr beschränkte Rechte; die
Majestätsbeleidigung (dieser Prüfstein) wurde entweder gar nicht als
Verbrechen anerkannt oder durch ein einfaches »Wehrgeld« bestraft
(Sybel, 2. Aufl. S. 352); die Ernennung der Grafen als Beamte des
Königs kommt erst nach der Eroberung römischer Länder vor, ja,
es giebt eine lange Zeit, wo die germanischen Könige grössere Rechte
gegen ihre römischen Unterthanen, als gegen ihre freien Franken
besitzen (Savigny I, Kap. IV, Abt. 3). — — — Vor Allem ist der
Begriff eines Unterthanen, des römischen subjectus, eine uns noch
fest anhaftende Erbschaft, die uns recht deutlich empfinden lassen
müsste, was uns noch alles mit dem römischen Reiche in der Zeit
seines Verfalles verknüpft, und was uns noch alles von dem echten
Heldenvolk der Römer scheidet.

1) Als nicht unwichtig sei nebenbei bemerkt, dass eine Regierung durch
Majoritätsbeschlüsse ebenso wenig hellenisch und germanisch, wie römisch war
(worüber namentlich Leist: Gräco-italische Rechtsgeschichte S. 129, 133 ff., 727).
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[154/0177] Das Erbe der alten Welt. gewiss einzig aus der römischen Verfassung — mit ihrer Ablehnung des Majoritätsprinzips und mit ihrem System, Vollmachten an einzelne Männer zu übertragen — entwickelt werden konnte. 1) Und dieses römische »Principat« (wie man es nennt, den Titel König hat kein Caesar getragen) bildet bis zum heutigen Tage die Grundlage alles europäischen Königtums! Durch die Einführung des Konstitutionalismus, noch mehr durch die Handhabung des Rechtes, findet allerdings in vielen Ländern jetzt eine Bewegung statt, zurück auf den freiheitlichen Standpunkt der alten Römer; prinzipiell ist aber der Monarch überall noch das, was die Rechtsautoritäten des verfallenden römischen Staates aus ihm gemacht hatten, ein Gebilde, heisst das, welches dem wahren Geiste des echten Römertums direkt widerspricht. Die Armee ist bei uns heute noch immer nicht das Volksheer, das seine Heimat ver- teidigt, sondern sie ist überall (selbst in England) des Königs Armee; die Beamten sind nicht Erwählte und Bevollmächtigte des Gesamt- willens, sondern Diener des Königs u. s. w., u. s. w. Das ist alles römisch, aber, wie gesagt, römisches aus der Rinder-, Schaf- und Schweinehirtenzeit. Ich kann das leider hier nicht näher ausführen, verweise aber zur Bestätigung auf die klassischen Werke von Savigny: Geschichte des römischen Rechts im Mittelalter, und Sybel: Ent- stehung des deutschen Königtums, sowie auch auf Schulte: Deutsche Reichs- und Rechtsgeschichte. Überall bei uns ist die absolute Monarchie erst durch die Berührung mit dem römischen Reich entstanden. Überall hatten früher die germanischen Könige sehr beschränkte Rechte; die Majestätsbeleidigung (dieser Prüfstein) wurde entweder gar nicht als Verbrechen anerkannt oder durch ein einfaches »Wehrgeld« bestraft (Sybel, 2. Aufl. S. 352); die Ernennung der Grafen als Beamte des Königs kommt erst nach der Eroberung römischer Länder vor, ja, es giebt eine lange Zeit, wo die germanischen Könige grössere Rechte gegen ihre römischen Unterthanen, als gegen ihre freien Franken besitzen (Savigny I, Kap. IV, Abt. 3). — — — Vor Allem ist der Begriff eines Unterthanen, des römischen subjectus, eine uns noch fest anhaftende Erbschaft, die uns recht deutlich empfinden lassen müsste, was uns noch alles mit dem römischen Reiche in der Zeit seines Verfalles verknüpft, und was uns noch alles von dem echten Heldenvolk der Römer scheidet. 1) Als nicht unwichtig sei nebenbei bemerkt, dass eine Regierung durch Majoritätsbeschlüsse ebenso wenig hellenisch und germanisch, wie römisch war (worüber namentlich Leist: Gräco-italische Rechtsgeschichte S. 129, 133 ff., 727).

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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen01_1899/177>, abgerufen am 28.04.2024.