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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899.

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Römisches Recht.
söhne regiert, wie z. B. die ägyptischen und heute noch die japanischen,
einige, früher und noch heute, als Vertreter Gottes, ich nenne nur
die jüdischen Könige und die Kalifen, wieder andere durch das so-
genannte jus gladii, das Recht des Schwertes. Dagegen gründeten
die Soldaten, die sich des weiland römischen Reiches bemächtigt hatten,
ihre Ansprüche, als absolute Autokraten zu herrschen, auf das römische
Staatsrecht! Nicht wie ein griechischer Tyrann hätten sie die Gewalt
usurpiert und die rechtmässige Ordnung gestürzt; im Gegenteil, der
allgewaltige Monarch sei die Blüte, die Vollendung der ganzen recht-
lichen Entwickelung Roms: das hatten die orientalischen Rechtslehrer
herausgeklügelt. Mit Hilfe der soeben erläuterten Übertragungs-
theorie
war das Taschenkunststück vollbracht worden und zwar
(den Hauptlinien nach) folgendermassen. Eine der Tragsäulen des
römischen Staatsrechtes ist, dass keine Verordnung Gesetzeskraft hat,
wenn sie nicht vom Volke genehmigt wird. Unter den ersten
Kaisern bleibt auch der Schein in dieser Beziehung bewahrt. Nach
Caracalla war aber "Rom" die ganze civilisierte Welt geworden. Und
da wurden alle Rechte des Volkes zur Mitwirkung bei der Erlassung
neuer Gesetze u. s. w. an den Senat "übertragen". Es heisst im
Corpus juris: "Da das römische Volk dermassen angewachsen ist,
dass es schwer wäre, es an einen Ort zusammenzuberufen behufs
Bestätigung der Gesetze, wurde es für gerecht erachtet, den Senat
an Stelle des Volkes zu befragen." Wie wir heute von einem Vice-
könig reden, so hiess der Senat nunmehr vice populi. War auch die
Zustimmung des Senats ebenfalls eine reine Formsache geworden,
einmal im Besitze eines so schönen abstrakten Prinzips, konnte man
nicht auf halbem Wege stehen bleiben; und darum heisst es dann
auch weiter: "Aber auch das, was dem Fürsten anzuordnen gefällt,
hat Gesetzeskraft, denn das Volk hat ihm seine ganze Machtfülle und
alle seine Rechte übertragen."1) Wir haben also hier die streng
rechtliche
Ableitung einer absoluten Monarchie, und zwar wie sie

1) § 5 und § 6 J. de jure naturali I, 2. Die letzten Worte des zweiten
Auszuges habe ich einigermassen frei übersetzen müssen; es heisst im Original:
omne suum imperium et potestatem; wie schwer es ist, diese Worte im genauen
juristischen Sinne des alten Roms wiederzugeben, kann man bei Mommsen
sehen, S. 85. Das imperium heisst ursprünglich "die Kundgebung des Gemeinde-
willens"; daher der Träger dieses absoluten Gemeindewillens imperator hiess;
beschränkter und mehr das Gebiet des Privatrechts bezeichnend ist das Wort
potestas. Daher übersetzte ich durch Machtfülle und Rechte, und glaube damit
den Sinn getroffen zu haben.

Römisches Recht.
söhne regiert, wie z. B. die ägyptischen und heute noch die japanischen,
einige, früher und noch heute, als Vertreter Gottes, ich nenne nur
die jüdischen Könige und die Kalifen, wieder andere durch das so-
genannte jus gladii, das Recht des Schwertes. Dagegen gründeten
die Soldaten, die sich des weiland römischen Reiches bemächtigt hatten,
ihre Ansprüche, als absolute Autokraten zu herrschen, auf das römische
Staatsrecht! Nicht wie ein griechischer Tyrann hätten sie die Gewalt
usurpiert und die rechtmässige Ordnung gestürzt; im Gegenteil, der
allgewaltige Monarch sei die Blüte, die Vollendung der ganzen recht-
lichen Entwickelung Roms: das hatten die orientalischen Rechtslehrer
herausgeklügelt. Mit Hilfe der soeben erläuterten Übertragungs-
theorie
war das Taschenkunststück vollbracht worden und zwar
(den Hauptlinien nach) folgendermassen. Eine der Tragsäulen des
römischen Staatsrechtes ist, dass keine Verordnung Gesetzeskraft hat,
wenn sie nicht vom Volke genehmigt wird. Unter den ersten
Kaisern bleibt auch der Schein in dieser Beziehung bewahrt. Nach
Caracalla war aber »Rom« die ganze civilisierte Welt geworden. Und
da wurden alle Rechte des Volkes zur Mitwirkung bei der Erlassung
neuer Gesetze u. s. w. an den Senat »übertragen«. Es heisst im
Corpus juris: »Da das römische Volk dermassen angewachsen ist,
dass es schwer wäre, es an einen Ort zusammenzuberufen behufs
Bestätigung der Gesetze, wurde es für gerecht erachtet, den Senat
an Stelle des Volkes zu befragen.« Wie wir heute von einem Vice-
könig reden, so hiess der Senat nunmehr vice populi. War auch die
Zustimmung des Senats ebenfalls eine reine Formsache geworden,
einmal im Besitze eines so schönen abstrakten Prinzips, konnte man
nicht auf halbem Wege stehen bleiben; und darum heisst es dann
auch weiter: »Aber auch das, was dem Fürsten anzuordnen gefällt,
hat Gesetzeskraft, denn das Volk hat ihm seine ganze Machtfülle und
alle seine Rechte übertragen.«1) Wir haben also hier die streng
rechtliche
Ableitung einer absoluten Monarchie, und zwar wie sie

1) § 5 und § 6 J. de jure naturali I, 2. Die letzten Worte des zweiten
Auszuges habe ich einigermassen frei übersetzen müssen; es heisst im Original:
omne suum imperium et potestatem; wie schwer es ist, diese Worte im genauen
juristischen Sinne des alten Roms wiederzugeben, kann man bei Mommsen
sehen, S. 85. Das imperium heisst ursprünglich »die Kundgebung des Gemeinde-
willens«; daher der Träger dieses absoluten Gemeindewillens imperator hiess;
beschränkter und mehr das Gebiet des Privatrechts bezeichnend ist das Wort
potestas. Daher übersetzte ich durch Machtfülle und Rechte, und glaube damit
den Sinn getroffen zu haben.
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[153/0176] Römisches Recht. söhne regiert, wie z. B. die ägyptischen und heute noch die japanischen, einige, früher und noch heute, als Vertreter Gottes, ich nenne nur die jüdischen Könige und die Kalifen, wieder andere durch das so- genannte jus gladii, das Recht des Schwertes. Dagegen gründeten die Soldaten, die sich des weiland römischen Reiches bemächtigt hatten, ihre Ansprüche, als absolute Autokraten zu herrschen, auf das römische Staatsrecht! Nicht wie ein griechischer Tyrann hätten sie die Gewalt usurpiert und die rechtmässige Ordnung gestürzt; im Gegenteil, der allgewaltige Monarch sei die Blüte, die Vollendung der ganzen recht- lichen Entwickelung Roms: das hatten die orientalischen Rechtslehrer herausgeklügelt. Mit Hilfe der soeben erläuterten Übertragungs- theorie war das Taschenkunststück vollbracht worden und zwar (den Hauptlinien nach) folgendermassen. Eine der Tragsäulen des römischen Staatsrechtes ist, dass keine Verordnung Gesetzeskraft hat, wenn sie nicht vom Volke genehmigt wird. Unter den ersten Kaisern bleibt auch der Schein in dieser Beziehung bewahrt. Nach Caracalla war aber »Rom« die ganze civilisierte Welt geworden. Und da wurden alle Rechte des Volkes zur Mitwirkung bei der Erlassung neuer Gesetze u. s. w. an den Senat »übertragen«. Es heisst im Corpus juris: »Da das römische Volk dermassen angewachsen ist, dass es schwer wäre, es an einen Ort zusammenzuberufen behufs Bestätigung der Gesetze, wurde es für gerecht erachtet, den Senat an Stelle des Volkes zu befragen.« Wie wir heute von einem Vice- könig reden, so hiess der Senat nunmehr vice populi. War auch die Zustimmung des Senats ebenfalls eine reine Formsache geworden, einmal im Besitze eines so schönen abstrakten Prinzips, konnte man nicht auf halbem Wege stehen bleiben; und darum heisst es dann auch weiter: »Aber auch das, was dem Fürsten anzuordnen gefällt, hat Gesetzeskraft, denn das Volk hat ihm seine ganze Machtfülle und alle seine Rechte übertragen.« 1) Wir haben also hier die streng rechtliche Ableitung einer absoluten Monarchie, und zwar wie sie 1) § 5 und § 6 J. de jure naturali I, 2. Die letzten Worte des zweiten Auszuges habe ich einigermassen frei übersetzen müssen; es heisst im Original: omne suum imperium et potestatem; wie schwer es ist, diese Worte im genauen juristischen Sinne des alten Roms wiederzugeben, kann man bei Mommsen sehen, S. 85. Das imperium heisst ursprünglich »die Kundgebung des Gemeinde- willens«; daher der Träger dieses absoluten Gemeindewillens imperator hiess; beschränkter und mehr das Gebiet des Privatrechts bezeichnend ist das Wort potestas. Daher übersetzte ich durch Machtfülle und Rechte, und glaube damit den Sinn getroffen zu haben.

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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899, S. 153. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen01_1899/176>, abgerufen am 28.04.2024.