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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899.

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Das Erbe der alten Welt.
Jurisprudenz bedeuten also keineswegs eine Zunahme des Wissens
(was eine Wissenschaft doch bewirken muss), sondern lediglich eine
Vervollkommnung der Technik; das ist aber sehr viel und kann hohe
Gaben voraussetzen. Ein in grossen Mengen vorhandener Stoff wird
nunmehr in konsequenter Weise und mit steigender Kunstfertigkeit
vom menschlichen Willen dem menschlichen Lebenszweck gewidmet.

Zur grösseren Deutlichkeit ein Vergleich.

Wie sehr bedingt und darum wenig treffend wäre es, wenn man
behaupten wollte: der Gott, der Eisen wachsen liess, habe auch die
Schmiede wachsen lassen! In einem gewissen Sinne wäre die Aussage
unleugbar richtig: ohne bestimmte Anlagen, die ihn trieben, ewig
weiter zu forschen, ohne bestimmte Fähigkeiten zum Erfinden und zum
Handhaben, wäre der Mensch niemals dazu gelangt, Eisen zu schmieden;
er hat auch lange auf Erden gelebt, ehe er es soweit brachte. Durch
Scharfsinn und Geduld gelang es ihm endlich; das harte Metall wusste
er sich geschmeidig und dienstbar zu machen. Hierbei handelte es
sich jedoch offenbar nicht um die Auffindung irgend einer ewigen
Wahrheit, wie bei der Astronomie und bei jeder echten Wissenschaft,
sondern einerseits um Scharfsinn und Geschick, andrerseits um An-
gemessenheit dem praktischen Zwecke gegenüber; kurz, das Schmieden
ist keine Wissenschaft, sondern im wahren Sinn des griechischen
Wortes eine Technik, d. h. eine Geschicklichkeit. Und die Bedingungen
dieser Technik, da sie vom menschlichen Willen abhängen (hier die
Verwandtschaft mit Kunst), wechseln mit den Zeiten, mit den An-
lagen und Gewohnheiten der Völker, sowie sie auch andrerseits von
den Fortschritten des Wissens beeinflusst werden (hier die Verwandt-
schaft mit Wissenschaft). In unserm Jahrhundert z. B. hat das Stahl-
schmieden grosse Umwälzungen erfahren, die ohne die Fortschritte
der Chemie, der Physik, der Mechanik und der Mathematik nicht
denkbar gewesen wären; insofern kann es auch vorkommen, dass eine
Technik vielfache wissenschaftliche Kenntnisse von ihren Beflissenen
fordert, -- sie hört aber darum nicht auf, eine Technik zu sein.
Und weil sie eine Technik ist, bleibt sie jedem noch so unbegabten
Menschen erlernbar, wenn er nur einiges Geschick besitzt, enthält
aber nichts, was selbst dem Begabtesten mitteilbar wäre, wenn dieser
sich nicht eingehend mit ihren Methoden beschäftigt hat. Denn
während Wissenschaft und Kunst durch ihren Inhalt selber jedem
intelligenten Menschen Interesse bieten, ist eine Technik lediglich eine
Methode, ein Verfahren, eine Handhabung, ein Künstliches, nicht ein

Das Erbe der alten Welt.
Jurisprudenz bedeuten also keineswegs eine Zunahme des Wissens
(was eine Wissenschaft doch bewirken muss), sondern lediglich eine
Vervollkommnung der Technik; das ist aber sehr viel und kann hohe
Gaben voraussetzen. Ein in grossen Mengen vorhandener Stoff wird
nunmehr in konsequenter Weise und mit steigender Kunstfertigkeit
vom menschlichen Willen dem menschlichen Lebenszweck gewidmet.

Zur grösseren Deutlichkeit ein Vergleich.

Wie sehr bedingt und darum wenig treffend wäre es, wenn man
behaupten wollte: der Gott, der Eisen wachsen liess, habe auch die
Schmiede wachsen lassen! In einem gewissen Sinne wäre die Aussage
unleugbar richtig: ohne bestimmte Anlagen, die ihn trieben, ewig
weiter zu forschen, ohne bestimmte Fähigkeiten zum Erfinden und zum
Handhaben, wäre der Mensch niemals dazu gelangt, Eisen zu schmieden;
er hat auch lange auf Erden gelebt, ehe er es soweit brachte. Durch
Scharfsinn und Geduld gelang es ihm endlich; das harte Metall wusste
er sich geschmeidig und dienstbar zu machen. Hierbei handelte es
sich jedoch offenbar nicht um die Auffindung irgend einer ewigen
Wahrheit, wie bei der Astronomie und bei jeder echten Wissenschaft,
sondern einerseits um Scharfsinn und Geschick, andrerseits um An-
gemessenheit dem praktischen Zwecke gegenüber; kurz, das Schmieden
ist keine Wissenschaft, sondern im wahren Sinn des griechischen
Wortes eine Technik, d. h. eine Geschicklichkeit. Und die Bedingungen
dieser Technik, da sie vom menschlichen Willen abhängen (hier die
Verwandtschaft mit Kunst), wechseln mit den Zeiten, mit den An-
lagen und Gewohnheiten der Völker, sowie sie auch andrerseits von
den Fortschritten des Wissens beeinflusst werden (hier die Verwandt-
schaft mit Wissenschaft). In unserm Jahrhundert z. B. hat das Stahl-
schmieden grosse Umwälzungen erfahren, die ohne die Fortschritte
der Chemie, der Physik, der Mechanik und der Mathematik nicht
denkbar gewesen wären; insofern kann es auch vorkommen, dass eine
Technik vielfache wissenschaftliche Kenntnisse von ihren Beflissenen
fordert, — sie hört aber darum nicht auf, eine Technik zu sein.
Und weil sie eine Technik ist, bleibt sie jedem noch so unbegabten
Menschen erlernbar, wenn er nur einiges Geschick besitzt, enthält
aber nichts, was selbst dem Begabtesten mitteilbar wäre, wenn dieser
sich nicht eingehend mit ihren Methoden beschäftigt hat. Denn
während Wissenschaft und Kunst durch ihren Inhalt selber jedem
intelligenten Menschen Interesse bieten, ist eine Technik lediglich eine
Methode, ein Verfahren, eine Handhabung, ein Künstliches, nicht ein

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[158/0181] Das Erbe der alten Welt. Jurisprudenz bedeuten also keineswegs eine Zunahme des Wissens (was eine Wissenschaft doch bewirken muss), sondern lediglich eine Vervollkommnung der Technik; das ist aber sehr viel und kann hohe Gaben voraussetzen. Ein in grossen Mengen vorhandener Stoff wird nunmehr in konsequenter Weise und mit steigender Kunstfertigkeit vom menschlichen Willen dem menschlichen Lebenszweck gewidmet. Zur grösseren Deutlichkeit ein Vergleich. Wie sehr bedingt und darum wenig treffend wäre es, wenn man behaupten wollte: der Gott, der Eisen wachsen liess, habe auch die Schmiede wachsen lassen! In einem gewissen Sinne wäre die Aussage unleugbar richtig: ohne bestimmte Anlagen, die ihn trieben, ewig weiter zu forschen, ohne bestimmte Fähigkeiten zum Erfinden und zum Handhaben, wäre der Mensch niemals dazu gelangt, Eisen zu schmieden; er hat auch lange auf Erden gelebt, ehe er es soweit brachte. Durch Scharfsinn und Geduld gelang es ihm endlich; das harte Metall wusste er sich geschmeidig und dienstbar zu machen. Hierbei handelte es sich jedoch offenbar nicht um die Auffindung irgend einer ewigen Wahrheit, wie bei der Astronomie und bei jeder echten Wissenschaft, sondern einerseits um Scharfsinn und Geschick, andrerseits um An- gemessenheit dem praktischen Zwecke gegenüber; kurz, das Schmieden ist keine Wissenschaft, sondern im wahren Sinn des griechischen Wortes eine Technik, d. h. eine Geschicklichkeit. Und die Bedingungen dieser Technik, da sie vom menschlichen Willen abhängen (hier die Verwandtschaft mit Kunst), wechseln mit den Zeiten, mit den An- lagen und Gewohnheiten der Völker, sowie sie auch andrerseits von den Fortschritten des Wissens beeinflusst werden (hier die Verwandt- schaft mit Wissenschaft). In unserm Jahrhundert z. B. hat das Stahl- schmieden grosse Umwälzungen erfahren, die ohne die Fortschritte der Chemie, der Physik, der Mechanik und der Mathematik nicht denkbar gewesen wären; insofern kann es auch vorkommen, dass eine Technik vielfache wissenschaftliche Kenntnisse von ihren Beflissenen fordert, — sie hört aber darum nicht auf, eine Technik zu sein. Und weil sie eine Technik ist, bleibt sie jedem noch so unbegabten Menschen erlernbar, wenn er nur einiges Geschick besitzt, enthält aber nichts, was selbst dem Begabtesten mitteilbar wäre, wenn dieser sich nicht eingehend mit ihren Methoden beschäftigt hat. Denn während Wissenschaft und Kunst durch ihren Inhalt selber jedem intelligenten Menschen Interesse bieten, ist eine Technik lediglich eine Methode, ein Verfahren, eine Handhabung, ein Künstliches, nicht ein

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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899, S. 158. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen01_1899/181>, abgerufen am 28.04.2024.