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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899.

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Das Völkerchaos.
Die geringste Überlegung wird nun zeigen, wie dasselbe Gesetz sich
bei Deutschen, Franzosen, Italienern und Spaniern bewährt. Die einzelnen
germanischen Stämme zum Beispiel sind wie eine rein brutale Natur-
kraft, bis sie miteinander sich zu vermengen beginnen; man sehe, wie
das an bedeutenden Männern reiche Burgund durch ein inniges Gemisch
des germanischen mit dem romanischen Element seine ihm eigen-
tümliche Bevölkerung erhält, und in Folge der lang anhaltenden
politischen Isolierung zur charakteristischen Individualität ausbildet;1)
die Franken erwachsen zu voller Kraft und schenken der Welt einen
neuen Typus des Menschlichen dort, wo sie mit den vorangegangenen
germanischen Stämmen und mit Galloromanen verschmelzen, oder
aber dort, wo sie, wie in Franken, gerade den Vereinigungspunkt der
verschiedensten deutschen und slavischen Elemente bilden; Schwaben,
das Vaterland Goethe's und Schiller's, ist von einem halbkeltischen
Stamme bewohnt; Sachsen, welches dem deutschen Volke so viele
seiner grössten Männer geschenkt hat, enthält eine fast durchwegs
mit slavischem Blute verquickte Bevölkerung; und hat Europa es
nicht innerhalb der letzten drei Jahrhunderte erlebt, dass eine erst
neu entstandene Nation, bei welcher die Blutmischung eine noch
viel gründlichere war, die preussische, sich durch ihre hervorragende
Kraft zum Führer des gesamten deutschen Reiches aufgeschwungen
hat? -- Es kann natürlich an diesem Orte nicht meine Aufgabe sein,
das hier Angedeutete ausführlich zu begründen; da ich jedoch gerade
die hohe Bedeutung von reingezüchteten Rassen verfechte, so muss
es mir besonders am Herzen liegen, die Notwendigkeit, oder zum
Mindesten Nützlichkeit der Blutmischung zu betonen, und zwar nicht
allein um dem Vorwurf der Einseitigkeit und der apriorischen Vor-
eingenommenheit zu begegnen, sondern weil ich glaube, die Vertreter
dieser Sache haben gerade durch die Verkennung des wichtigen

1) Diese innige Vermischung fand dadurch statt, dass die Burgunder im
ganzen Lande einzeln angesiedelt und jeder von ihnen der "Hospes" eines früheren
Einwohners wurde, von dessen bebautem Land er zwei Drittel, von dessen Hof
und Garten er die Hälfte zueigen erhielt, während Wälder und Weideplätze ge-
meinschaftlich blieben. Mochte nun zunächst gewiss keine grosse Sympathie
zwischen dem Eingedrungenen und seinem Wirt bestehen, sie lebten doch Thür
an Thür und waren miteinander solidarisch bei Grenzstreitigkeiten und ähnlichen
auf den Besitz sich beziehenden Rechtsfragen; da konnte die Verschmelzung nicht
lange ausbleiben. (Vergl. namentlich Savigny: Geschichte des römischen Rechts im
Mittelalter,
Kap. 5, Abschn. 1).

Das Völkerchaos.
Die geringste Überlegung wird nun zeigen, wie dasselbe Gesetz sich
bei Deutschen, Franzosen, Italienern und Spaniern bewährt. Die einzelnen
germanischen Stämme zum Beispiel sind wie eine rein brutale Natur-
kraft, bis sie miteinander sich zu vermengen beginnen; man sehe, wie
das an bedeutenden Männern reiche Burgund durch ein inniges Gemisch
des germanischen mit dem romanischen Element seine ihm eigen-
tümliche Bevölkerung erhält, und in Folge der lang anhaltenden
politischen Isolierung zur charakteristischen Individualität ausbildet;1)
die Franken erwachsen zu voller Kraft und schenken der Welt einen
neuen Typus des Menschlichen dort, wo sie mit den vorangegangenen
germanischen Stämmen und mit Galloromanen verschmelzen, oder
aber dort, wo sie, wie in Franken, gerade den Vereinigungspunkt der
verschiedensten deutschen und slavischen Elemente bilden; Schwaben,
das Vaterland Goethe’s und Schiller’s, ist von einem halbkeltischen
Stamme bewohnt; Sachsen, welches dem deutschen Volke so viele
seiner grössten Männer geschenkt hat, enthält eine fast durchwegs
mit slavischem Blute verquickte Bevölkerung; und hat Europa es
nicht innerhalb der letzten drei Jahrhunderte erlebt, dass eine erst
neu entstandene Nation, bei welcher die Blutmischung eine noch
viel gründlichere war, die preussische, sich durch ihre hervorragende
Kraft zum Führer des gesamten deutschen Reiches aufgeschwungen
hat? — Es kann natürlich an diesem Orte nicht meine Aufgabe sein,
das hier Angedeutete ausführlich zu begründen; da ich jedoch gerade
die hohe Bedeutung von reingezüchteten Rassen verfechte, so muss
es mir besonders am Herzen liegen, die Notwendigkeit, oder zum
Mindesten Nützlichkeit der Blutmischung zu betonen, und zwar nicht
allein um dem Vorwurf der Einseitigkeit und der apriorischen Vor-
eingenommenheit zu begegnen, sondern weil ich glaube, die Vertreter
dieser Sache haben gerade durch die Verkennung des wichtigen

1) Diese innige Vermischung fand dadurch statt, dass die Burgunder im
ganzen Lande einzeln angesiedelt und jeder von ihnen der »Hospes« eines früheren
Einwohners wurde, von dessen bebautem Land er zwei Drittel, von dessen Hof
und Garten er die Hälfte zueigen erhielt, während Wälder und Weideplätze ge-
meinschaftlich blieben. Mochte nun zunächst gewiss keine grosse Sympathie
zwischen dem Eingedrungenen und seinem Wirt bestehen, sie lebten doch Thür
an Thür und waren miteinander solidarisch bei Grenzstreitigkeiten und ähnlichen
auf den Besitz sich beziehenden Rechtsfragen; da konnte die Verschmelzung nicht
lange ausbleiben. (Vergl. namentlich Savigny: Geschichte des römischen Rechts im
Mittelalter,
Kap. 5, Abschn. 1).
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[281/0304] Das Völkerchaos. Die geringste Überlegung wird nun zeigen, wie dasselbe Gesetz sich bei Deutschen, Franzosen, Italienern und Spaniern bewährt. Die einzelnen germanischen Stämme zum Beispiel sind wie eine rein brutale Natur- kraft, bis sie miteinander sich zu vermengen beginnen; man sehe, wie das an bedeutenden Männern reiche Burgund durch ein inniges Gemisch des germanischen mit dem romanischen Element seine ihm eigen- tümliche Bevölkerung erhält, und in Folge der lang anhaltenden politischen Isolierung zur charakteristischen Individualität ausbildet; 1) die Franken erwachsen zu voller Kraft und schenken der Welt einen neuen Typus des Menschlichen dort, wo sie mit den vorangegangenen germanischen Stämmen und mit Galloromanen verschmelzen, oder aber dort, wo sie, wie in Franken, gerade den Vereinigungspunkt der verschiedensten deutschen und slavischen Elemente bilden; Schwaben, das Vaterland Goethe’s und Schiller’s, ist von einem halbkeltischen Stamme bewohnt; Sachsen, welches dem deutschen Volke so viele seiner grössten Männer geschenkt hat, enthält eine fast durchwegs mit slavischem Blute verquickte Bevölkerung; und hat Europa es nicht innerhalb der letzten drei Jahrhunderte erlebt, dass eine erst neu entstandene Nation, bei welcher die Blutmischung eine noch viel gründlichere war, die preussische, sich durch ihre hervorragende Kraft zum Führer des gesamten deutschen Reiches aufgeschwungen hat? — Es kann natürlich an diesem Orte nicht meine Aufgabe sein, das hier Angedeutete ausführlich zu begründen; da ich jedoch gerade die hohe Bedeutung von reingezüchteten Rassen verfechte, so muss es mir besonders am Herzen liegen, die Notwendigkeit, oder zum Mindesten Nützlichkeit der Blutmischung zu betonen, und zwar nicht allein um dem Vorwurf der Einseitigkeit und der apriorischen Vor- eingenommenheit zu begegnen, sondern weil ich glaube, die Vertreter dieser Sache haben gerade durch die Verkennung des wichtigen 1) Diese innige Vermischung fand dadurch statt, dass die Burgunder im ganzen Lande einzeln angesiedelt und jeder von ihnen der »Hospes« eines früheren Einwohners wurde, von dessen bebautem Land er zwei Drittel, von dessen Hof und Garten er die Hälfte zueigen erhielt, während Wälder und Weideplätze ge- meinschaftlich blieben. Mochte nun zunächst gewiss keine grosse Sympathie zwischen dem Eingedrungenen und seinem Wirt bestehen, sie lebten doch Thür an Thür und waren miteinander solidarisch bei Grenzstreitigkeiten und ähnlichen auf den Besitz sich beziehenden Rechtsfragen; da konnte die Verschmelzung nicht lange ausbleiben. (Vergl. namentlich Savigny: Geschichte des römischen Rechts im Mittelalter, Kap. 5, Abschn. 1).

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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899, S. 281. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen01_1899/304>, abgerufen am 13.05.2024.