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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899.

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Die Erben.
Gesetzes der Vermischung ihr sehr geschadet. Sie geraten dann auf
den mystischen Begriff einer an und für sich "reinen Rasse", welcher ein
luftiges Gedankending ist und, anstatt zu fördern, nur hemmt. Weder
die Geschichte, noch die Experimentalbiologie spricht zu Gunsten
einer derartigen Auffassung. Die Rasse der englischen Vollblutpferde
ist durch die Kreuzung arabischer Hengste mit gewöhnlichen (natürlich
ausgesuchten) englischen Stuten erzeugt worden, gefolgt von Inzucht,
jedoch so, dass neuerliche Kreuzung zwischen Varietäten von geringer
Abweichung, oder auch mit Arabern, von Zeit zu Zeit ratsam ist;
eines der edelsten Wesen, welche die Natur überhaupt aufweisen
kann, der sogenannte "echte" Neufundländer, ist ursprünglich aus
der Kreuzung zwischen dem Eskimohund und einem französischen
Hetzhund entstanden, sodann, in Folge der abgeschiedenen Lage der
Insel, durch andauernde Inzucht fest und "rein" geworden, zuletzt,
als Exemplare dieser Rasse von Liebhabern nach Europa gebracht
wurden, durch Zuchtwahl zur höchsten Veredlung ausgebildet worden. --
Vielleicht lächelt mancher Leser, wenn ich immer wieder von Tier-
züchtung spreche? Sicherlich sind aber die Gesetze des Lebens grosse,
einfache Gesetze, welche alles Lebende umfassen und gestalten; wir
haben nicht die geringste Veranlassung, das Menschengeschlecht als
eine Ausnahme zu betrachten; und da wir gerade in Bezug auf
Rassenzüchtung leider nicht in der Lage sind, Experimente mit
Menschen anzustellen, so müssen wir die an Tieren und Pflanzen
gemachten Versuche zu Rate ziehen. -- Ich darf jedoch die Besprechung
des vierten Gesetzes nicht abschliessen, ohne eine andere Seite dieses
Vermischungsgesetzes hervorgehoben zu haben: fortgesetzte Inzucht
innerhalb eines sehr kleinen Kreises, das, was man "Engzucht" nennen
könnte, führt mit der Zeit zu Entartung und namentlich zu Sterilität.
Zahllose Erfahrungen der Tierzucht beweisen das. Es genügt dann
bisweilen eine einzige Kreuzung, nur an einzelnen Mitgliedern einer
Meute zum Beispiel vorgenommen, damit die geschwächte Rasse
wieder aufblühe und die geschlechtliche Fruchtbarkeit sich wieder
einstelle. Bei Menschen sorgt schon der Schalk Eros so ausgiebig
für diese Auffrischung, dass wir nur in hochadeligen Kreisen und bei
einigen königlichen Familien1) zunehmenden Verfall der geistigen und

1) Siehe die Angaben bei Haeckel: Natürliche Schöpfungsgeschichte (Vorl. 8).
Weit ausführlichere Angaben in einem Buche von P. Jacoby: Etudes sur la selection
dans ses rapports avec l'heredite chez l'homme
, das ich leider nicht vor Augen habe.

Die Erben.
Gesetzes der Vermischung ihr sehr geschadet. Sie geraten dann auf
den mystischen Begriff einer an und für sich »reinen Rasse«, welcher ein
luftiges Gedankending ist und, anstatt zu fördern, nur hemmt. Weder
die Geschichte, noch die Experimentalbiologie spricht zu Gunsten
einer derartigen Auffassung. Die Rasse der englischen Vollblutpferde
ist durch die Kreuzung arabischer Hengste mit gewöhnlichen (natürlich
ausgesuchten) englischen Stuten erzeugt worden, gefolgt von Inzucht,
jedoch so, dass neuerliche Kreuzung zwischen Varietäten von geringer
Abweichung, oder auch mit Arabern, von Zeit zu Zeit ratsam ist;
eines der edelsten Wesen, welche die Natur überhaupt aufweisen
kann, der sogenannte »echte« Neufundländer, ist ursprünglich aus
der Kreuzung zwischen dem Eskimohund und einem französischen
Hetzhund entstanden, sodann, in Folge der abgeschiedenen Lage der
Insel, durch andauernde Inzucht fest und »rein« geworden, zuletzt,
als Exemplare dieser Rasse von Liebhabern nach Europa gebracht
wurden, durch Zuchtwahl zur höchsten Veredlung ausgebildet worden. —
Vielleicht lächelt mancher Leser, wenn ich immer wieder von Tier-
züchtung spreche? Sicherlich sind aber die Gesetze des Lebens grosse,
einfache Gesetze, welche alles Lebende umfassen und gestalten; wir
haben nicht die geringste Veranlassung, das Menschengeschlecht als
eine Ausnahme zu betrachten; und da wir gerade in Bezug auf
Rassenzüchtung leider nicht in der Lage sind, Experimente mit
Menschen anzustellen, so müssen wir die an Tieren und Pflanzen
gemachten Versuche zu Rate ziehen. — Ich darf jedoch die Besprechung
des vierten Gesetzes nicht abschliessen, ohne eine andere Seite dieses
Vermischungsgesetzes hervorgehoben zu haben: fortgesetzte Inzucht
innerhalb eines sehr kleinen Kreises, das, was man »Engzucht« nennen
könnte, führt mit der Zeit zu Entartung und namentlich zu Sterilität.
Zahllose Erfahrungen der Tierzucht beweisen das. Es genügt dann
bisweilen eine einzige Kreuzung, nur an einzelnen Mitgliedern einer
Meute zum Beispiel vorgenommen, damit die geschwächte Rasse
wieder aufblühe und die geschlechtliche Fruchtbarkeit sich wieder
einstelle. Bei Menschen sorgt schon der Schalk Eros so ausgiebig
für diese Auffrischung, dass wir nur in hochadeligen Kreisen und bei
einigen königlichen Familien1) zunehmenden Verfall der geistigen und

1) Siehe die Angaben bei Haeckel: Natürliche Schöpfungsgeschichte (Vorl. 8).
Weit ausführlichere Angaben in einem Buche von P. Jacoby: Études sur la sélection
dans ses rapports avec l’hérédité chez l’homme
, das ich leider nicht vor Augen habe.
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[282/0305] Die Erben. Gesetzes der Vermischung ihr sehr geschadet. Sie geraten dann auf den mystischen Begriff einer an und für sich »reinen Rasse«, welcher ein luftiges Gedankending ist und, anstatt zu fördern, nur hemmt. Weder die Geschichte, noch die Experimentalbiologie spricht zu Gunsten einer derartigen Auffassung. Die Rasse der englischen Vollblutpferde ist durch die Kreuzung arabischer Hengste mit gewöhnlichen (natürlich ausgesuchten) englischen Stuten erzeugt worden, gefolgt von Inzucht, jedoch so, dass neuerliche Kreuzung zwischen Varietäten von geringer Abweichung, oder auch mit Arabern, von Zeit zu Zeit ratsam ist; eines der edelsten Wesen, welche die Natur überhaupt aufweisen kann, der sogenannte »echte« Neufundländer, ist ursprünglich aus der Kreuzung zwischen dem Eskimohund und einem französischen Hetzhund entstanden, sodann, in Folge der abgeschiedenen Lage der Insel, durch andauernde Inzucht fest und »rein« geworden, zuletzt, als Exemplare dieser Rasse von Liebhabern nach Europa gebracht wurden, durch Zuchtwahl zur höchsten Veredlung ausgebildet worden. — Vielleicht lächelt mancher Leser, wenn ich immer wieder von Tier- züchtung spreche? Sicherlich sind aber die Gesetze des Lebens grosse, einfache Gesetze, welche alles Lebende umfassen und gestalten; wir haben nicht die geringste Veranlassung, das Menschengeschlecht als eine Ausnahme zu betrachten; und da wir gerade in Bezug auf Rassenzüchtung leider nicht in der Lage sind, Experimente mit Menschen anzustellen, so müssen wir die an Tieren und Pflanzen gemachten Versuche zu Rate ziehen. — Ich darf jedoch die Besprechung des vierten Gesetzes nicht abschliessen, ohne eine andere Seite dieses Vermischungsgesetzes hervorgehoben zu haben: fortgesetzte Inzucht innerhalb eines sehr kleinen Kreises, das, was man »Engzucht« nennen könnte, führt mit der Zeit zu Entartung und namentlich zu Sterilität. Zahllose Erfahrungen der Tierzucht beweisen das. Es genügt dann bisweilen eine einzige Kreuzung, nur an einzelnen Mitgliedern einer Meute zum Beispiel vorgenommen, damit die geschwächte Rasse wieder aufblühe und die geschlechtliche Fruchtbarkeit sich wieder einstelle. Bei Menschen sorgt schon der Schalk Eros so ausgiebig für diese Auffrischung, dass wir nur in hochadeligen Kreisen und bei einigen königlichen Familien 1) zunehmenden Verfall der geistigen und 1) Siehe die Angaben bei Haeckel: Natürliche Schöpfungsgeschichte (Vorl. 8). Weit ausführlichere Angaben in einem Buche von P. Jacoby: Études sur la sélection dans ses rapports avec l’hérédité chez l’homme, das ich leider nicht vor Augen habe.

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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899, S. 282. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen01_1899/305>, abgerufen am 13.05.2024.