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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899.

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Der Eintritt der Juden in die abendländische Geschichte.
in Folge göttlicher Satzung bestanden. Dies hat das Verständnis des
allmählichen und durchaus menschlich-historischen Werdeganges des
jüdischen Nationalcharakters lange verdunkelt. Nun endlich ist es auf
diesem Gebiete ebenfalls hell geworden. Und auch hier können wir
sagen: wir halten eine dauernde Errungenschaft wissenschaftlicher
Forschung in der Hand. Ob spätere Untersuchungen diesen und jenen
Satz des Hexateuchs, den man heute der "jahvistischen" Abfassung
zuschreibt, als der "elohistischen" oder dem spätesten "Redaktor" an-
gehörig nachweist, ob ein bestimmter Spruch von dem wirklichen
Jesaia oder von dem sogenannten Deuterojesaia herrührt, das hat alles
seine Wichtigkeit, wird aber niemals etwas an der Erkenntnis ändern,
dass das eigentliche Judentum mit seinem besonderen Jahveglauben
und seiner ausschliesslichen Herrschaft des priesterlichen Gesetzes das
Ergebnis einer nachweisbaren und höchst eigentümlichen, historischen
Verkettung und des Eingreifens einzelner zielbewusster Männer ist.

Diese drei Thatsachen sind zunächst für jede Erkenntnis jüdischen
Wesens grundlegend; sie dürfen nicht der Besitz einer gelehrten
Minderheit bleiben, sondern müssen dem Bewusstsein aller Gebildeten
einverleibt werden. Ich wiederhole sie in präciserer Fassung:

1. Das israelitische Volk ist aus der Bastardierung durchaus ver-
schiedener Menschentypen hervorgegangen;
2. das semitische Element mag wohl moralisch das kräftigere
gewesen sein, physisch jedoch trug es kaum die Hälfte zur
Zusammensetzung der neuen ethnologischen Individualität bei;
es geht also nicht an, die Israeliten kurzweg "Semiten" zu
nennen, sondern die Beteiligung der verschiedenen Menschen-
typen an der Bildung der israelitischen Rasse erfordert eine
besondere quantitative und qualitative Analyse;
3. der eigentliche Jude entstand erst im Laufe der Jahrhunderte
durch allmähliche physische Ausscheidung aus der übrigen
israelitischen Familie, sowie durch progressive Ausbildung
einzelner Geistesanlagen und systematische Verkümmerung
anderer; er ist nicht das Ergebnis eines normalen nationalen
Lebens, sondern gewissermassen ein künstliches Produkt, er-
zeugt durch eine Priesterkaste, welche dem widerstrebenden
Volke mit Hilfe fremder Herrscher eine priesterliche Gesetz-
gebung und einen priesterlichen Glauben aufzwang.

Hierdurch ist die Gliederung für die folgende Darstellung ge-
geben. Ich werde zunächst die Geschichte und die Anthropologie

Der Eintritt der Juden in die abendländische Geschichte.
in Folge göttlicher Satzung bestanden. Dies hat das Verständnis des
allmählichen und durchaus menschlich-historischen Werdeganges des
jüdischen Nationalcharakters lange verdunkelt. Nun endlich ist es auf
diesem Gebiete ebenfalls hell geworden. Und auch hier können wir
sagen: wir halten eine dauernde Errungenschaft wissenschaftlicher
Forschung in der Hand. Ob spätere Untersuchungen diesen und jenen
Satz des Hexateuchs, den man heute der »jahvistischen« Abfassung
zuschreibt, als der »elohistischen« oder dem spätesten »Redaktor« an-
gehörig nachweist, ob ein bestimmter Spruch von dem wirklichen
Jesaia oder von dem sogenannten Deuterojesaia herrührt, das hat alles
seine Wichtigkeit, wird aber niemals etwas an der Erkenntnis ändern,
dass das eigentliche Judentum mit seinem besonderen Jahveglauben
und seiner ausschliesslichen Herrschaft des priesterlichen Gesetzes das
Ergebnis einer nachweisbaren und höchst eigentümlichen, historischen
Verkettung und des Eingreifens einzelner zielbewusster Männer ist.

Diese drei Thatsachen sind zunächst für jede Erkenntnis jüdischen
Wesens grundlegend; sie dürfen nicht der Besitz einer gelehrten
Minderheit bleiben, sondern müssen dem Bewusstsein aller Gebildeten
einverleibt werden. Ich wiederhole sie in präciserer Fassung:

1. Das israelitische Volk ist aus der Bastardierung durchaus ver-
schiedener Menschentypen hervorgegangen;
2. das semitische Element mag wohl moralisch das kräftigere
gewesen sein, physisch jedoch trug es kaum die Hälfte zur
Zusammensetzung der neuen ethnologischen Individualität bei;
es geht also nicht an, die Israeliten kurzweg »Semiten« zu
nennen, sondern die Beteiligung der verschiedenen Menschen-
typen an der Bildung der israelitischen Rasse erfordert eine
besondere quantitative und qualitative Analyse;
3. der eigentliche Jude entstand erst im Laufe der Jahrhunderte
durch allmähliche physische Ausscheidung aus der übrigen
israelitischen Familie, sowie durch progressive Ausbildung
einzelner Geistesanlagen und systematische Verkümmerung
anderer; er ist nicht das Ergebnis eines normalen nationalen
Lebens, sondern gewissermassen ein künstliches Produkt, er-
zeugt durch eine Priesterkaste, welche dem widerstrebenden
Volke mit Hilfe fremder Herrscher eine priesterliche Gesetz-
gebung und einen priesterlichen Glauben aufzwang.

Hierdurch ist die Gliederung für die folgende Darstellung ge-
geben. Ich werde zunächst die Geschichte und die Anthropologie

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[347/0370] Der Eintritt der Juden in die abendländische Geschichte. in Folge göttlicher Satzung bestanden. Dies hat das Verständnis des allmählichen und durchaus menschlich-historischen Werdeganges des jüdischen Nationalcharakters lange verdunkelt. Nun endlich ist es auf diesem Gebiete ebenfalls hell geworden. Und auch hier können wir sagen: wir halten eine dauernde Errungenschaft wissenschaftlicher Forschung in der Hand. Ob spätere Untersuchungen diesen und jenen Satz des Hexateuchs, den man heute der »jahvistischen« Abfassung zuschreibt, als der »elohistischen« oder dem spätesten »Redaktor« an- gehörig nachweist, ob ein bestimmter Spruch von dem wirklichen Jesaia oder von dem sogenannten Deuterojesaia herrührt, das hat alles seine Wichtigkeit, wird aber niemals etwas an der Erkenntnis ändern, dass das eigentliche Judentum mit seinem besonderen Jahveglauben und seiner ausschliesslichen Herrschaft des priesterlichen Gesetzes das Ergebnis einer nachweisbaren und höchst eigentümlichen, historischen Verkettung und des Eingreifens einzelner zielbewusster Männer ist. Diese drei Thatsachen sind zunächst für jede Erkenntnis jüdischen Wesens grundlegend; sie dürfen nicht der Besitz einer gelehrten Minderheit bleiben, sondern müssen dem Bewusstsein aller Gebildeten einverleibt werden. Ich wiederhole sie in präciserer Fassung: 1. Das israelitische Volk ist aus der Bastardierung durchaus ver- schiedener Menschentypen hervorgegangen; 2. das semitische Element mag wohl moralisch das kräftigere gewesen sein, physisch jedoch trug es kaum die Hälfte zur Zusammensetzung der neuen ethnologischen Individualität bei; es geht also nicht an, die Israeliten kurzweg »Semiten« zu nennen, sondern die Beteiligung der verschiedenen Menschen- typen an der Bildung der israelitischen Rasse erfordert eine besondere quantitative und qualitative Analyse; 3. der eigentliche Jude entstand erst im Laufe der Jahrhunderte durch allmähliche physische Ausscheidung aus der übrigen israelitischen Familie, sowie durch progressive Ausbildung einzelner Geistesanlagen und systematische Verkümmerung anderer; er ist nicht das Ergebnis eines normalen nationalen Lebens, sondern gewissermassen ein künstliches Produkt, er- zeugt durch eine Priesterkaste, welche dem widerstrebenden Volke mit Hilfe fremder Herrscher eine priesterliche Gesetz- gebung und einen priesterlichen Glauben aufzwang. Hierdurch ist die Gliederung für die folgende Darstellung ge- geben. Ich werde zunächst die Geschichte und die Anthropologie

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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899, S. 347. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen01_1899/370>, abgerufen am 11.05.2024.