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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899.

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Der Kampf.
liche menschliche Wesen ohne Ausnahme unterworfen1), und die
Gewalt der Kirche erstreckt sich nicht allein über die Lebendigen,
sondern auch über die Toten, welche sie noch nach Jahrhunderten
mit Bann und Höllenqualen bestrafen oder aus dem Fegfeuer zur
himmlischen Seligkeit befördern kann. Dass dieser Vorstellung Gross-
artigkeit innewohnt, bestreite ich nicht; ich diskutiere sie hier nicht,
sondern mir liegt daran, zu zeigen, dass jedes Hinzielen auf derartig
äusserlich Unbegrenztes die innerliche Begrenzung des Individuums vor-
aussetzt und bedingt. Von Konstantin an, dem ersten, der die Imperiums-
idee konsequent neurömisch erfasste, bis zu Friedrich II., dem Hohen-
staufen, dem letzten Herrscher, den der wahrhafte Universalgedanke be-
seelte, hat kein Kaiser ein Atom persönlicher oder auch Landesfreiheit
geduldet (ausser insofern Schwäche ihn dazu zwang, den Einen Zugeständ-
nisse zu machen, um die Anderen matt zu setzen). Quod principi placuit,
legis habet vigorem
, liess sich der Rotbart von den Juristen byzan-
tinischer Schulung belehren, ging hin und zerstörte die in trotziger
Freiheit und bürgerlichem Fleisse aufblühenden Städte der Lombardei
und streute Salz auf die rauchenden Trümmer Mailand's. Minder ge-
waltthätig, doch von derselben Grundanschauung getragen, vernichtete
der zweite Friedrich die unter den Landesfürsten aufkeimenden Frei-
heiten des deutschen Bürgerthums. Wie unverrückbar eng der Pontifex
die "inneren Grenzen" zieht, braucht nicht erst dargethan zu werden.
Das Wort Dogma hatte bei den alten Griechen eine Meinung, ein
Dafürhalten, eine philosophische Lehre bezeichnet, im römischen Reich
bezeichnet es eine kaiserliche Verordnung, jetzt aber, in der römischen
Kirche, hiess es ein göttliches Gesetz des Glaubens, dem sämtliche
menschliche Wesen bei ewiger Strafe sich bedingungslos zu unter-
werfen hatten. Man mache sich keine Illusion hierüber, man lasse
sich nicht durch Trugschlüsse irreführen: dem Individuum kann dieses
System kein Tüttelchen freier Selbstbestimmung lassen, es ist unmög-
lich, und zwar aus dem einfachen Grund -- gegen den keine Ka-
suistik und keine noch so gute Absicht etwas vermag -- weil, wer
"äusserlich grenzenlos" sagt, "innerlich begrenzt" hinzufügen muss,
er mag wollen oder nicht. Nach aussen wird das Opfer der Per-
sönlichkeit, nach innen das Opfer der Freiheit gefordert. Ebenso-
wenig kann dieses System nationale Individuen in ihrer Eigenart und
als Grundlage geschichtlichen Geschehens anerkennen; sie sind ihm

1) Siehe die Bulle Unam sanctam.

Der Kampf.
liche menschliche Wesen ohne Ausnahme unterworfen1), und die
Gewalt der Kirche erstreckt sich nicht allein über die Lebendigen,
sondern auch über die Toten, welche sie noch nach Jahrhunderten
mit Bann und Höllenqualen bestrafen oder aus dem Fegfeuer zur
himmlischen Seligkeit befördern kann. Dass dieser Vorstellung Gross-
artigkeit innewohnt, bestreite ich nicht; ich diskutiere sie hier nicht,
sondern mir liegt daran, zu zeigen, dass jedes Hinzielen auf derartig
äusserlich Unbegrenztes die innerliche Begrenzung des Individuums vor-
aussetzt und bedingt. Von Konstantin an, dem ersten, der die Imperiums-
idee konsequent neurömisch erfasste, bis zu Friedrich II., dem Hohen-
staufen, dem letzten Herrscher, den der wahrhafte Universalgedanke be-
seelte, hat kein Kaiser ein Atom persönlicher oder auch Landesfreiheit
geduldet (ausser insofern Schwäche ihn dazu zwang, den Einen Zugeständ-
nisse zu machen, um die Anderen matt zu setzen). Quod principi placuit,
legis habet vigorem
, liess sich der Rotbart von den Juristen byzan-
tinischer Schulung belehren, ging hin und zerstörte die in trotziger
Freiheit und bürgerlichem Fleisse aufblühenden Städte der Lombardei
und streute Salz auf die rauchenden Trümmer Mailand’s. Minder ge-
waltthätig, doch von derselben Grundanschauung getragen, vernichtete
der zweite Friedrich die unter den Landesfürsten aufkeimenden Frei-
heiten des deutschen Bürgerthums. Wie unverrückbar eng der Pontifex
die »inneren Grenzen« zieht, braucht nicht erst dargethan zu werden.
Das Wort Dogma hatte bei den alten Griechen eine Meinung, ein
Dafürhalten, eine philosophische Lehre bezeichnet, im römischen Reich
bezeichnet es eine kaiserliche Verordnung, jetzt aber, in der römischen
Kirche, hiess es ein göttliches Gesetz des Glaubens, dem sämtliche
menschliche Wesen bei ewiger Strafe sich bedingungslos zu unter-
werfen hatten. Man mache sich keine Illusion hierüber, man lasse
sich nicht durch Trugschlüsse irreführen: dem Individuum kann dieses
System kein Tüttelchen freier Selbstbestimmung lassen, es ist unmög-
lich, und zwar aus dem einfachen Grund — gegen den keine Ka-
suistik und keine noch so gute Absicht etwas vermag — weil, wer
»äusserlich grenzenlos« sagt, »innerlich begrenzt« hinzufügen muss,
er mag wollen oder nicht. Nach aussen wird das Opfer der Per-
sönlichkeit, nach innen das Opfer der Freiheit gefordert. Ebenso-
wenig kann dieses System nationale Individuen in ihrer Eigenart und
als Grundlage geschichtlichen Geschehens anerkennen; sie sind ihm

1) Siehe die Bulle Unam sanctam.
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[664/0143] Der Kampf. liche menschliche Wesen ohne Ausnahme unterworfen 1), und die Gewalt der Kirche erstreckt sich nicht allein über die Lebendigen, sondern auch über die Toten, welche sie noch nach Jahrhunderten mit Bann und Höllenqualen bestrafen oder aus dem Fegfeuer zur himmlischen Seligkeit befördern kann. Dass dieser Vorstellung Gross- artigkeit innewohnt, bestreite ich nicht; ich diskutiere sie hier nicht, sondern mir liegt daran, zu zeigen, dass jedes Hinzielen auf derartig äusserlich Unbegrenztes die innerliche Begrenzung des Individuums vor- aussetzt und bedingt. Von Konstantin an, dem ersten, der die Imperiums- idee konsequent neurömisch erfasste, bis zu Friedrich II., dem Hohen- staufen, dem letzten Herrscher, den der wahrhafte Universalgedanke be- seelte, hat kein Kaiser ein Atom persönlicher oder auch Landesfreiheit geduldet (ausser insofern Schwäche ihn dazu zwang, den Einen Zugeständ- nisse zu machen, um die Anderen matt zu setzen). Quod principi placuit, legis habet vigorem, liess sich der Rotbart von den Juristen byzan- tinischer Schulung belehren, ging hin und zerstörte die in trotziger Freiheit und bürgerlichem Fleisse aufblühenden Städte der Lombardei und streute Salz auf die rauchenden Trümmer Mailand’s. Minder ge- waltthätig, doch von derselben Grundanschauung getragen, vernichtete der zweite Friedrich die unter den Landesfürsten aufkeimenden Frei- heiten des deutschen Bürgerthums. Wie unverrückbar eng der Pontifex die »inneren Grenzen« zieht, braucht nicht erst dargethan zu werden. Das Wort Dogma hatte bei den alten Griechen eine Meinung, ein Dafürhalten, eine philosophische Lehre bezeichnet, im römischen Reich bezeichnet es eine kaiserliche Verordnung, jetzt aber, in der römischen Kirche, hiess es ein göttliches Gesetz des Glaubens, dem sämtliche menschliche Wesen bei ewiger Strafe sich bedingungslos zu unter- werfen hatten. Man mache sich keine Illusion hierüber, man lasse sich nicht durch Trugschlüsse irreführen: dem Individuum kann dieses System kein Tüttelchen freier Selbstbestimmung lassen, es ist unmög- lich, und zwar aus dem einfachen Grund — gegen den keine Ka- suistik und keine noch so gute Absicht etwas vermag — weil, wer »äusserlich grenzenlos« sagt, »innerlich begrenzt« hinzufügen muss, er mag wollen oder nicht. Nach aussen wird das Opfer der Per- sönlichkeit, nach innen das Opfer der Freiheit gefordert. Ebenso- wenig kann dieses System nationale Individuen in ihrer Eigenart und als Grundlage geschichtlichen Geschehens anerkennen; sie sind ihm 1) Siehe die Bulle Unam sanctam.

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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899, S. 664. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen02_1899/143>, abgerufen am 27.04.2024.