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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899.

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Die Entstehung einer neuen Welt.
Entdeckungreisen, wie bei den Versuchen, Stoffe umzuwandeln, konnte
freilich die Hoffnung auf Gewinn aneifern, doch auf keinem andern
Gebiete ausser höchstens auf dem der Medizin traf das zu. Hier
waltete also der leidenschaftliche Trieb -- zwar ebenfalls nach Besitz,
aber nach dem Besitz des Wissens, rein als Wissen. Es ist dies eine
eigentümliche und besonders verehrungswürdige Erscheinung des rein
idealischen Triebes; ich halte sie für nahe verwandt dem künstlerischen
und dem religiösen Triebe; darin findet jener innige Zusammenhang
zwischen Kultur und Wissen, der uns vornhin öfters an praktischen
Beispielen rätselhaft auffiel,1) seine Erklärung. Zu glauben, Wissen
erzeuge Kultur (wie heute vielfach gelehrt wird) ist blöde und wider-
spricht der Erfahrung; lebendiges Wissen kann aber nur in einem zu
hoher Kultur prädisponierten Geiste Aufnahme finden; sonst bleibt das.
Wissen wie Dünger auf einem Steinfeld auf der Oberfläche liegen --
es verpestet die Luft und nützt nichts. Ueber diese geniale Leiden-
schaftlichkeit als Grundbedingung unseres Siegeslaufes der Entdeckungen
hat einer der grossen Entdecker dieses Jahrhunderts, Justus Liebig,
geschrieben: "Die grosse Masse der Menschen hat keinen Begriff davon,
mit welchen Schwierigkeiten Arbeiten verknüpft sind, die das Gebiet
des Wissens
thatsächlich erweitern; ja, man kann sagen, dass der
in dem Menschen liegende Trieb nach Wahrheit nicht ausreichen
würde, die Hindernisse zu bewältigen, die sich dem Erwerbe eines
jeden grossen Resultates entgegenstellen, wenn dieser Trieb sich nicht
in Einzelnen zur mächtigen Leidenschaft, die ihre Kräfte
spannt und vervielfältigt, steigerte. Alle diese Arbeiten werden unter-
nommen ohne Aussicht auf Gewinn und ohne Anspruch auf Dank;
der, welcher sie vollbringt, hat nur selten das Glück, ihre nützliche
Anwendung zu erleben; er kann das, was er errungen hat, auf dem
Markte des Lebens nicht verwerten; es hat keinen Preis und kann
nicht bestellt und nicht erkauft werden."2)

Diese gänzlich uninteressierte Leidenschaftlichkeit finden wir in
der That in der Geschichte unserer Entdeckungen überall wieder.3)

1) Siehe S. 741 und 744.
2) Wissenschaft und Landwirtschaft II, am Schlusse.
3) Ein vortreffliches Beispiel der dem unverfälschten Germanen eigenen
"uninteressierten Leidenschaftlichkeit" liefert der im Jahre 1898 gestorbene englische
Bauer Tyson, der als Taglöhner nach Australien ausgewandert war und als grösster
Gutsbesitzer der Welt endete, mit einem Vermögen, das auf fünf Millionen Pfund
Sterling geschätzt wurde. Dieser Mann blieb bis zum Tode so einfach, dass er

Die Entstehung einer neuen Welt.
Entdeckungreisen, wie bei den Versuchen, Stoffe umzuwandeln, konnte
freilich die Hoffnung auf Gewinn aneifern, doch auf keinem andern
Gebiete ausser höchstens auf dem der Medizin traf das zu. Hier
waltete also der leidenschaftliche Trieb — zwar ebenfalls nach Besitz,
aber nach dem Besitz des Wissens, rein als Wissen. Es ist dies eine
eigentümliche und besonders verehrungswürdige Erscheinung des rein
idealischen Triebes; ich halte sie für nahe verwandt dem künstlerischen
und dem religiösen Triebe; darin findet jener innige Zusammenhang
zwischen Kultur und Wissen, der uns vornhin öfters an praktischen
Beispielen rätselhaft auffiel,1) seine Erklärung. Zu glauben, Wissen
erzeuge Kultur (wie heute vielfach gelehrt wird) ist blöde und wider-
spricht der Erfahrung; lebendiges Wissen kann aber nur in einem zu
hoher Kultur prädisponierten Geiste Aufnahme finden; sonst bleibt das.
Wissen wie Dünger auf einem Steinfeld auf der Oberfläche liegen —
es verpestet die Luft und nützt nichts. Ueber diese geniale Leiden-
schaftlichkeit als Grundbedingung unseres Siegeslaufes der Entdeckungen
hat einer der grossen Entdecker dieses Jahrhunderts, Justus Liebig,
geschrieben: »Die grosse Masse der Menschen hat keinen Begriff davon,
mit welchen Schwierigkeiten Arbeiten verknüpft sind, die das Gebiet
des Wissens
thatsächlich erweitern; ja, man kann sagen, dass der
in dem Menschen liegende Trieb nach Wahrheit nicht ausreichen
würde, die Hindernisse zu bewältigen, die sich dem Erwerbe eines
jeden grossen Resultates entgegenstellen, wenn dieser Trieb sich nicht
in Einzelnen zur mächtigen Leidenschaft, die ihre Kräfte
spannt und vervielfältigt, steigerte. Alle diese Arbeiten werden unter-
nommen ohne Aussicht auf Gewinn und ohne Anspruch auf Dank;
der, welcher sie vollbringt, hat nur selten das Glück, ihre nützliche
Anwendung zu erleben; er kann das, was er errungen hat, auf dem
Markte des Lebens nicht verwerten; es hat keinen Preis und kann
nicht bestellt und nicht erkauft werden.«2)

Diese gänzlich uninteressierte Leidenschaftlichkeit finden wir in
der That in der Geschichte unserer Entdeckungen überall wieder.3)

1) Siehe S. 741 und 744.
2) Wissenschaft und Landwirtschaft II, am Schlusse.
3) Ein vortreffliches Beispiel der dem unverfälschten Germanen eigenen
»uninteressierten Leidenschaftlichkeit« liefert der im Jahre 1898 gestorbene englische
Bauer Tyson, der als Taglöhner nach Australien ausgewandert war und als grösster
Gutsbesitzer der Welt endete, mit einem Vermögen, das auf fünf Millionen Pfund
Sterling geschätzt wurde. Dieser Mann blieb bis zum Tode so einfach, dass er
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[758/0237] Die Entstehung einer neuen Welt. Entdeckungreisen, wie bei den Versuchen, Stoffe umzuwandeln, konnte freilich die Hoffnung auf Gewinn aneifern, doch auf keinem andern Gebiete ausser höchstens auf dem der Medizin traf das zu. Hier waltete also der leidenschaftliche Trieb — zwar ebenfalls nach Besitz, aber nach dem Besitz des Wissens, rein als Wissen. Es ist dies eine eigentümliche und besonders verehrungswürdige Erscheinung des rein idealischen Triebes; ich halte sie für nahe verwandt dem künstlerischen und dem religiösen Triebe; darin findet jener innige Zusammenhang zwischen Kultur und Wissen, der uns vornhin öfters an praktischen Beispielen rätselhaft auffiel, 1) seine Erklärung. Zu glauben, Wissen erzeuge Kultur (wie heute vielfach gelehrt wird) ist blöde und wider- spricht der Erfahrung; lebendiges Wissen kann aber nur in einem zu hoher Kultur prädisponierten Geiste Aufnahme finden; sonst bleibt das. Wissen wie Dünger auf einem Steinfeld auf der Oberfläche liegen — es verpestet die Luft und nützt nichts. Ueber diese geniale Leiden- schaftlichkeit als Grundbedingung unseres Siegeslaufes der Entdeckungen hat einer der grossen Entdecker dieses Jahrhunderts, Justus Liebig, geschrieben: »Die grosse Masse der Menschen hat keinen Begriff davon, mit welchen Schwierigkeiten Arbeiten verknüpft sind, die das Gebiet des Wissens thatsächlich erweitern; ja, man kann sagen, dass der in dem Menschen liegende Trieb nach Wahrheit nicht ausreichen würde, die Hindernisse zu bewältigen, die sich dem Erwerbe eines jeden grossen Resultates entgegenstellen, wenn dieser Trieb sich nicht in Einzelnen zur mächtigen Leidenschaft, die ihre Kräfte spannt und vervielfältigt, steigerte. Alle diese Arbeiten werden unter- nommen ohne Aussicht auf Gewinn und ohne Anspruch auf Dank; der, welcher sie vollbringt, hat nur selten das Glück, ihre nützliche Anwendung zu erleben; er kann das, was er errungen hat, auf dem Markte des Lebens nicht verwerten; es hat keinen Preis und kann nicht bestellt und nicht erkauft werden.« 2) Diese gänzlich uninteressierte Leidenschaftlichkeit finden wir in der That in der Geschichte unserer Entdeckungen überall wieder. 3) 1) Siehe S. 741 und 744. 2) Wissenschaft und Landwirtschaft II, am Schlusse. 3) Ein vortreffliches Beispiel der dem unverfälschten Germanen eigenen »uninteressierten Leidenschaftlichkeit« liefert der im Jahre 1898 gestorbene englische Bauer Tyson, der als Taglöhner nach Australien ausgewandert war und als grösster Gutsbesitzer der Welt endete, mit einem Vermögen, das auf fünf Millionen Pfund Sterling geschätzt wurde. Dieser Mann blieb bis zum Tode so einfach, dass er

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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899, S. 758. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen02_1899/237>, abgerufen am 26.04.2024.