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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899.

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Die Entstehung einer neuen Welt.
Licht" verleitet, eine schwere Menge Unsinns für Weisheit auszugeben.
Der mystischen, ahnungsvollen Begeisterung musste eine exaktere Denk-
weise aufgepfropft werden. Und das geschah in der That innerhalb
des von Franz von Assisi beeinflussten Kreises. Zu einer Amalgamierung
der sonst so sorglich voneinander geschiedenen Begriffe, Natur und
Ich, hat nämlich in ihren guten Zeiten die Theologie der Franzis-
kaner ziemlich viel vorgearbeitet -- fast mehr als wünschenswert,
da dadurch manches rein begriffliche Schema sich zum Nachteil eines
naturforschenden Denkens festgesetzt hatte, was selbst einen Kant viel-
fach hemmte. Doch verdient es, erwähnt zu werden, dass schon Duns
Scotus in Bezug auf unsere Wahrnehmung der umgebenden Dinge
energisch gegen das Dogma protestiert hatte, diese sei ein blosses
passives Empfangen, d. h. also ein blosses Aufnehmen von Eindrücken,
von welchen dann ohne weiteres angenommen wurde, sie (unsere sinn-
lichen Eindrücke und die daraus sich ergebenden Vorstellungen) ent-
sprächen den Dingen genau -- etwa, um mich äusserst populär aus-
zudrücken: sie seien eine Photographie der thatsächlichen Wirklichkeit.
Nein, sagte er, der menschliche Geist verhält sich bei der Aufnahme
von Eindrücken (welche dann, verstandesgemäss verbunden u. s. w.,
die Erkenntnis ausmachen) nicht bloss passiv, sondern auch aktiv, d. h.
er steuert das Seinige dazu bei, er färbt und gestaltet, was er von der
Aussenwelt empfängt, er verarbeitet es nach seiner Weise und gestaltet
es zu etwas Neuem um; kurz, der Menschengeist ist von Hause aus
schöpferisch, und was er als ausser sich daseiend erkennt, ist zum
Teil und in der besonderen Form, wie er es erkennt, von ihm selber
erschaffen. Jeder Laie muss das Eine gleich verstehen: wenn der
Menschengeist bei der Aufnahme und Verarbeitung seiner Wahrneh-
mungen selber schöpferisch-thätig ist, so folgt mit Notwendigkeit, dass
er sich selber überall in der Natur wiederfinden muss; diese Natur
(wie er sie erblickt) ist ja in einem gewissen Sinne (und ohne dass
ihre Wirklichkeit in Zweifel gezogen werde) sein Werk. Und so
kommt denn auch Kant zu dem Schlusse: "es klingt zwar anfangs
befremdlich, ist aber nichtsdestoweniger gewiss: der Verstand schöpft
seine Gesetze nicht aus der Natur, sondern schreibt sie dieser vor ...
die oberste Gesetzgebung der Natur liegt in uns selbst, das heisst in
unserem Verstande."1) Durch diese Erkenntnis wurde das Verhältnis
zwischen Natur und Mensch (dieses Verhältnis in seinem nächstliegenden,

1) Prolegomena zu einer jeden künftigen Methaphysik, § 36.

Die Entstehung einer neuen Welt.
Licht« verleitet, eine schwere Menge Unsinns für Weisheit auszugeben.
Der mystischen, ahnungsvollen Begeisterung musste eine exaktere Denk-
weise aufgepfropft werden. Und das geschah in der That innerhalb
des von Franz von Assisi beeinflussten Kreises. Zu einer Amalgamierung
der sonst so sorglich voneinander geschiedenen Begriffe, Natur und
Ich, hat nämlich in ihren guten Zeiten die Theologie der Franzis-
kaner ziemlich viel vorgearbeitet — fast mehr als wünschenswert,
da dadurch manches rein begriffliche Schema sich zum Nachteil eines
naturforschenden Denkens festgesetzt hatte, was selbst einen Kant viel-
fach hemmte. Doch verdient es, erwähnt zu werden, dass schon Duns
Scotus in Bezug auf unsere Wahrnehmung der umgebenden Dinge
energisch gegen das Dogma protestiert hatte, diese sei ein blosses
passives Empfangen, d. h. also ein blosses Aufnehmen von Eindrücken,
von welchen dann ohne weiteres angenommen wurde, sie (unsere sinn-
lichen Eindrücke und die daraus sich ergebenden Vorstellungen) ent-
sprächen den Dingen genau — etwa, um mich äusserst populär aus-
zudrücken: sie seien eine Photographie der thatsächlichen Wirklichkeit.
Nein, sagte er, der menschliche Geist verhält sich bei der Aufnahme
von Eindrücken (welche dann, verstandesgemäss verbunden u. s. w.,
die Erkenntnis ausmachen) nicht bloss passiv, sondern auch aktiv, d. h.
er steuert das Seinige dazu bei, er färbt und gestaltet, was er von der
Aussenwelt empfängt, er verarbeitet es nach seiner Weise und gestaltet
es zu etwas Neuem um; kurz, der Menschengeist ist von Hause aus
schöpferisch, und was er als ausser sich daseiend erkennt, ist zum
Teil und in der besonderen Form, wie er es erkennt, von ihm selber
erschaffen. Jeder Laie muss das Eine gleich verstehen: wenn der
Menschengeist bei der Aufnahme und Verarbeitung seiner Wahrneh-
mungen selber schöpferisch-thätig ist, so folgt mit Notwendigkeit, dass
er sich selber überall in der Natur wiederfinden muss; diese Natur
(wie er sie erblickt) ist ja in einem gewissen Sinne (und ohne dass
ihre Wirklichkeit in Zweifel gezogen werde) sein Werk. Und so
kommt denn auch Kant zu dem Schlusse: »es klingt zwar anfangs
befremdlich, ist aber nichtsdestoweniger gewiss: der Verstand schöpft
seine Gesetze nicht aus der Natur, sondern schreibt sie dieser vor …
die oberste Gesetzgebung der Natur liegt in uns selbst, das heisst in
unserem Verstande.«1) Durch diese Erkenntnis wurde das Verhältnis
zwischen Natur und Mensch (dieses Verhältnis in seinem nächstliegenden,

1) Prolegomena zu einer jeden künftigen Methaphysik, § 36.
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[928/0407] Die Entstehung einer neuen Welt. Licht« verleitet, eine schwere Menge Unsinns für Weisheit auszugeben. Der mystischen, ahnungsvollen Begeisterung musste eine exaktere Denk- weise aufgepfropft werden. Und das geschah in der That innerhalb des von Franz von Assisi beeinflussten Kreises. Zu einer Amalgamierung der sonst so sorglich voneinander geschiedenen Begriffe, Natur und Ich, hat nämlich in ihren guten Zeiten die Theologie der Franzis- kaner ziemlich viel vorgearbeitet — fast mehr als wünschenswert, da dadurch manches rein begriffliche Schema sich zum Nachteil eines naturforschenden Denkens festgesetzt hatte, was selbst einen Kant viel- fach hemmte. Doch verdient es, erwähnt zu werden, dass schon Duns Scotus in Bezug auf unsere Wahrnehmung der umgebenden Dinge energisch gegen das Dogma protestiert hatte, diese sei ein blosses passives Empfangen, d. h. also ein blosses Aufnehmen von Eindrücken, von welchen dann ohne weiteres angenommen wurde, sie (unsere sinn- lichen Eindrücke und die daraus sich ergebenden Vorstellungen) ent- sprächen den Dingen genau — etwa, um mich äusserst populär aus- zudrücken: sie seien eine Photographie der thatsächlichen Wirklichkeit. Nein, sagte er, der menschliche Geist verhält sich bei der Aufnahme von Eindrücken (welche dann, verstandesgemäss verbunden u. s. w., die Erkenntnis ausmachen) nicht bloss passiv, sondern auch aktiv, d. h. er steuert das Seinige dazu bei, er färbt und gestaltet, was er von der Aussenwelt empfängt, er verarbeitet es nach seiner Weise und gestaltet es zu etwas Neuem um; kurz, der Menschengeist ist von Hause aus schöpferisch, und was er als ausser sich daseiend erkennt, ist zum Teil und in der besonderen Form, wie er es erkennt, von ihm selber erschaffen. Jeder Laie muss das Eine gleich verstehen: wenn der Menschengeist bei der Aufnahme und Verarbeitung seiner Wahrneh- mungen selber schöpferisch-thätig ist, so folgt mit Notwendigkeit, dass er sich selber überall in der Natur wiederfinden muss; diese Natur (wie er sie erblickt) ist ja in einem gewissen Sinne (und ohne dass ihre Wirklichkeit in Zweifel gezogen werde) sein Werk. Und so kommt denn auch Kant zu dem Schlusse: »es klingt zwar anfangs befremdlich, ist aber nichtsdestoweniger gewiss: der Verstand schöpft seine Gesetze nicht aus der Natur, sondern schreibt sie dieser vor … die oberste Gesetzgebung der Natur liegt in uns selbst, das heisst in unserem Verstande.« 1) Durch diese Erkenntnis wurde das Verhältnis zwischen Natur und Mensch (dieses Verhältnis in seinem nächstliegenden, 1) Prolegomena zu einer jeden künftigen Methaphysik, § 36.

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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899, S. 928. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen02_1899/407>, abgerufen am 27.04.2024.