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Chamisso, Adelbert von: Peter Schlemihl's wundersame Geschichte. Nürnberg, 1814.

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verlieren?" -- "Wie es kam," erwiederte ich,
"mag nun sehr gleichgültig seyn, doch so viel,"
log ich ihm unverschämt vor: "In Rußland, wo
er im vorigen Winter eine Reise that, fror ihm
einmal, bei einer außerordentlichen Kälte, sein
Schatten dergestalt am Boden fest, daß er ihn
nicht wieder loß bekommen konnte."

"Der falsche Schlagschatten, den ich ihm ma¬
len könnte," erwiederte der Professor, "würde
doch nur ein solcher seyn, den er bei der leisesten
Bewegung wieder verlieren müßte, -- zumal wer
an dem eignen angebornen Schatten so wenig fest
hing, als aus Ihrer Erzählung selbst sich abneh¬
men läßt; wer keinen Schatten hat, gehe nicht
in die Sonne, das ist das Vernünftigste und Si¬
cherste." Er stand auf und entfernte sich, indem
er auf mich einen durchbohrenden Blick warf, den
der meine nicht ertragen konnte. Ich sank in
meinen Sessel zurück, und verhüllte mein Gesicht
in meine Hände.

So fand mich noch Bendel, als er herein
trat. Er sah den Schmerz seines Herrn, und

verlieren?„ — “Wie es kam,„ erwiederte ich,
“mag nun ſehr gleichguͤltig ſeyn, doch ſo viel,„
log ich ihm unverſchaͤmt vor: “In Rußland, wo
er im vorigen Winter eine Reiſe that, fror ihm
einmal, bei einer außerordentlichen Kaͤlte, ſein
Schatten dergeſtalt am Boden feſt, daß er ihn
nicht wieder loß bekommen konnte.„

“Der falſche Schlagſchatten, den ich ihm ma¬
len koͤnnte,„ erwiederte der Profeſſor, “wuͤrde
doch nur ein ſolcher ſeyn, den er bei der leiſeſten
Bewegung wieder verlieren muͤßte, — zumal wer
an dem eignen angebornen Schatten ſo wenig feſt
hing, als aus Ihrer Erzaͤhlung ſelbſt ſich abneh¬
men laͤßt; wer keinen Schatten hat, gehe nicht
in die Sonne, das iſt das Vernuͤnftigſte und Si¬
cherſte.„ Er ſtand auf und entfernte ſich, indem
er auf mich einen durchbohrenden Blick warf, den
der meine nicht ertragen konnte. Ich ſank in
meinen Seſſel zuruͤck, und verhuͤllte mein Geſicht
in meine Haͤnde.

So fand mich noch Bendel, als er herein
trat. Er ſah den Schmerz ſeines Herrn, und

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[29/0049] verlieren?„ — “Wie es kam,„ erwiederte ich, “mag nun ſehr gleichguͤltig ſeyn, doch ſo viel,„ log ich ihm unverſchaͤmt vor: “In Rußland, wo er im vorigen Winter eine Reiſe that, fror ihm einmal, bei einer außerordentlichen Kaͤlte, ſein Schatten dergeſtalt am Boden feſt, daß er ihn nicht wieder loß bekommen konnte.„ “Der falſche Schlagſchatten, den ich ihm ma¬ len koͤnnte,„ erwiederte der Profeſſor, “wuͤrde doch nur ein ſolcher ſeyn, den er bei der leiſeſten Bewegung wieder verlieren muͤßte, — zumal wer an dem eignen angebornen Schatten ſo wenig feſt hing, als aus Ihrer Erzaͤhlung ſelbſt ſich abneh¬ men laͤßt; wer keinen Schatten hat, gehe nicht in die Sonne, das iſt das Vernuͤnftigſte und Si¬ cherſte.„ Er ſtand auf und entfernte ſich, indem er auf mich einen durchbohrenden Blick warf, den der meine nicht ertragen konnte. Ich ſank in meinen Seſſel zuruͤck, und verhuͤllte mein Geſicht in meine Haͤnde. So fand mich noch Bendel, als er herein trat. Er ſah den Schmerz ſeines Herrn, und

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Zitationshilfe: Chamisso, Adelbert von: Peter Schlemihl's wundersame Geschichte. Nürnberg, 1814, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamisso_schlemihl_1814/49>, abgerufen am 26.04.2024.