Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752.

Bild:
<< vorherige Seite

Achtes Capitel,
erhalten fürsetzt, welches zwar besondere und nicht
täglich in der Welt vorkommende Umstände
voraus setzt, aber doch, wenn diese einmahl
vorhanden sind, schon nach der gemeinen Ge-
denckart der Menschen und dem gemeinen
Masse menschlicher Fähigkeit, kan abgesehen
werden, daß es ihm habe einfallen, und Beyfall
bey nahe finden müssen. Auch hier hat die Er-
kentniß der Ursach, wenn uns nur die Umstände
selbst bekannt sind, noch keine grosse Schwierig-
keit. Man wundert sich nicht, daß die Livia ih-
ren Sohn vor den Anverwandten des Augustus
zum Erben des Reichs zu machen gesucht hat.
Jeder andern Gemahlin würde es, zumahl unter
den Umständen, darinnen sich des Augustus männ-
licher Stamm befunden, eingefallen seyn: Und
die Grösse der mütterlichen Liebe, nebst dem da-
bey habenden eigenen Jnteresse, macht leicht be-
greiflich, wie man die etwa dabey zu begehenden
Unbilligkeiten und Ungerechtigkeiten hat übers
Hertz bringen können. Auf geringere Sachen
zu kommen, so ist der Anschlag, in Vorrath einzu-
kauffen, wenn die Waaren wohlfeil seyn, und sie bis
zu Erhöhung des Preisses aufzuheben, gantz be-
greifflich, obgleich besondere Umstände darzu ge-
hören, daß man einen Vortheil ziemlich zuver-
läßig dabey absehen kan. Es kommt iemand an
einen Ort, gar nicht in der Absicht, eine Heyrath
zu thun, oder einen Dienst zu bekommen: Er fin-
det aber darzu einigen Anschein, entweder zu ei-
nem von beyden, oder auch zu beydes; er macht
den Anschlag, davon zu profitiren. So beson-

ders

Achtes Capitel,
erhalten fuͤrſetzt, welches zwar beſondere und nicht
taͤglich in der Welt vorkommende Umſtaͤnde
voraus ſetzt, aber doch, wenn dieſe einmahl
vorhanden ſind, ſchon nach der gemeinen Ge-
denckart der Menſchen und dem gemeinen
Maſſe menſchlicher Faͤhigkeit, kan abgeſehen
werden, daß es ihm habe einfallen, und Beyfall
bey nahe finden muͤſſen. Auch hier hat die Er-
kentniß der Urſach, wenn uns nur die Umſtaͤnde
ſelbſt bekannt ſind, noch keine groſſe Schwierig-
keit. Man wundert ſich nicht, daß die Livia ih-
ren Sohn vor den Anverwandten des Auguſtus
zum Erben des Reichs zu machen geſucht hat.
Jeder andern Gemahlin wuͤrde es, zumahl unter
den Umſtaͤnden, darinnen ſich des Auguſtus maͤnn-
licher Stamm befunden, eingefallen ſeyn: Und
die Groͤſſe der muͤtterlichen Liebe, nebſt dem da-
bey habenden eigenen Jntereſſe, macht leicht be-
greiflich, wie man die etwa dabey zu begehenden
Unbilligkeiten und Ungerechtigkeiten hat uͤbers
Hertz bringen koͤnnen. Auf geringere Sachen
zu kommen, ſo iſt der Anſchlag, in Vorrath einzu-
kauffen, wenn die Waaren wohlfeil ſeyn, und ſie bis
zu Erhoͤhung des Preiſſes aufzuheben, gantz be-
greifflich, obgleich beſondere Umſtaͤnde darzu ge-
hoͤren, daß man einen Vortheil ziemlich zuver-
laͤßig dabey abſehen kan. Es kommt iemand an
einen Ort, gar nicht in der Abſicht, eine Heyrath
zu thun, oder einen Dienſt zu bekommen: Er fin-
det aber darzu einigen Anſchein, entweder zu ei-
nem von beyden, oder auch zu beydes; er macht
den Anſchlag, davon zu profitiren. So beſon-

ders
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0246" n="210"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Achtes Capitel,</hi></fw><lb/>
erhalten fu&#x0364;r&#x017F;etzt, welches zwar be&#x017F;ondere und nicht<lb/>
ta&#x0364;glich in der Welt vorkommende Um&#x017F;ta&#x0364;nde<lb/>
voraus &#x017F;etzt, aber doch, wenn die&#x017F;e einmahl<lb/>
vorhanden &#x017F;ind, &#x017F;chon nach der gemeinen Ge-<lb/>
denckart der Men&#x017F;chen und dem gemeinen<lb/>
Ma&#x017F;&#x017F;e men&#x017F;chlicher Fa&#x0364;higkeit, kan abge&#x017F;ehen<lb/>
werden, daß es ihm habe einfallen, und Beyfall<lb/>
bey nahe finden <hi rendition="#fr">mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en.</hi> Auch hier hat die Er-<lb/>
kentniß der Ur&#x017F;ach, wenn uns nur die Um&#x017F;ta&#x0364;nde<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t bekannt &#x017F;ind, noch keine gro&#x017F;&#x017F;e Schwierig-<lb/>
keit. Man wundert &#x017F;ich nicht, daß die Livia ih-<lb/>
ren Sohn vor den Anverwandten des Augu&#x017F;tus<lb/>
zum Erben des Reichs zu machen ge&#x017F;ucht hat.<lb/>
Jeder andern Gemahlin wu&#x0364;rde es, zumahl unter<lb/>
den Um&#x017F;ta&#x0364;nden, darinnen &#x017F;ich des Augu&#x017F;tus ma&#x0364;nn-<lb/>
licher Stamm befunden, eingefallen &#x017F;eyn: Und<lb/>
die Gro&#x0364;&#x017F;&#x017F;e der mu&#x0364;tterlichen Liebe, neb&#x017F;t dem da-<lb/>
bey habenden eigenen Jntere&#x017F;&#x017F;e, macht leicht be-<lb/>
greiflich, wie man die etwa dabey zu begehenden<lb/>
Unbilligkeiten und Ungerechtigkeiten hat u&#x0364;bers<lb/>
Hertz bringen ko&#x0364;nnen. Auf geringere Sachen<lb/>
zu kommen, &#x017F;o i&#x017F;t der An&#x017F;chlag, in <hi rendition="#fr">Vorrath</hi> einzu-<lb/>
kauffen, wenn die Waaren wohlfeil &#x017F;eyn, und &#x017F;ie bis<lb/>
zu Erho&#x0364;hung des Prei&#x017F;&#x017F;es aufzuheben, gantz be-<lb/>
greifflich, obgleich be&#x017F;ondere Um&#x017F;ta&#x0364;nde darzu ge-<lb/>
ho&#x0364;ren, daß man einen Vortheil ziemlich zuver-<lb/>
la&#x0364;ßig dabey ab&#x017F;ehen kan. Es kommt iemand an<lb/>
einen Ort, gar nicht in der Ab&#x017F;icht, eine Heyrath<lb/>
zu thun, oder einen Dien&#x017F;t zu bekommen: Er fin-<lb/>
det aber darzu einigen An&#x017F;chein, entweder zu ei-<lb/>
nem von beyden, oder auch zu beydes; er macht<lb/>
den An&#x017F;chlag, davon zu profitiren. So be&#x017F;on-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">ders</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[210/0246] Achtes Capitel, erhalten fuͤrſetzt, welches zwar beſondere und nicht taͤglich in der Welt vorkommende Umſtaͤnde voraus ſetzt, aber doch, wenn dieſe einmahl vorhanden ſind, ſchon nach der gemeinen Ge- denckart der Menſchen und dem gemeinen Maſſe menſchlicher Faͤhigkeit, kan abgeſehen werden, daß es ihm habe einfallen, und Beyfall bey nahe finden muͤſſen. Auch hier hat die Er- kentniß der Urſach, wenn uns nur die Umſtaͤnde ſelbſt bekannt ſind, noch keine groſſe Schwierig- keit. Man wundert ſich nicht, daß die Livia ih- ren Sohn vor den Anverwandten des Auguſtus zum Erben des Reichs zu machen geſucht hat. Jeder andern Gemahlin wuͤrde es, zumahl unter den Umſtaͤnden, darinnen ſich des Auguſtus maͤnn- licher Stamm befunden, eingefallen ſeyn: Und die Groͤſſe der muͤtterlichen Liebe, nebſt dem da- bey habenden eigenen Jntereſſe, macht leicht be- greiflich, wie man die etwa dabey zu begehenden Unbilligkeiten und Ungerechtigkeiten hat uͤbers Hertz bringen koͤnnen. Auf geringere Sachen zu kommen, ſo iſt der Anſchlag, in Vorrath einzu- kauffen, wenn die Waaren wohlfeil ſeyn, und ſie bis zu Erhoͤhung des Preiſſes aufzuheben, gantz be- greifflich, obgleich beſondere Umſtaͤnde darzu ge- hoͤren, daß man einen Vortheil ziemlich zuver- laͤßig dabey abſehen kan. Es kommt iemand an einen Ort, gar nicht in der Abſicht, eine Heyrath zu thun, oder einen Dienſt zu bekommen: Er fin- det aber darzu einigen Anſchein, entweder zu ei- nem von beyden, oder auch zu beydes; er macht den Anſchlag, davon zu profitiren. So beſon- ders

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/246
Zitationshilfe: Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752. , S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/246>, abgerufen am 30.04.2024.