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Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804.

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So weit Hiob nach Luthers Uebersetzung. Neuere mögen p1c_089.002
mitunter richtiger übersetzen, aber die alte nationale Urkraft p1c_089.003
von Luthers poetischem Deutsch sollte man nicht verdrängen p1c_089.004
wollen. Das religiöse Gefühl und die Liebe des Volkes zur p1c_089.005
Bibel muß sinken, wenn unsere Schriftforscher fortfahren, p1c_089.006
in frostiger Geistesarmuth die Bibel nur philosophisch und p1c_089.007
kritisch zu behandeln, und Gedanken und Ausdruck zu verwässern. p1c_089.008
Wie wenig zeigt sich von Herders Geist bey den p1c_089.009
Theologen. - Etwas schwächer ist der Fluch des Jeremias. p1c_089.010
"Verflucht sey der Tag, welcher mich aus dem Nichts p1c_089.011
nahm. Der Tag müsse ungesegnet seyn, da mich meine p1c_089.012
Mutter gebar. Verflucht sey der, so meinem Vater gute p1c_089.013
Botschaft brachte und sprach, daß er ihn fröhlich machen p1c_089.014
wollte: es ist dir ein Sohn geboren!" - Bey den Deutschen p1c_089.015
ist ein hoher Grad des Heftigschönen nur in p1c_089.016
Klopstocks Oden und Bardenchören zu finden. Hier schallt p1c_089.017
unterweilen wahrer Prophetengesang. - Mit wahrem Urfeuer p1c_089.018
gerüstet erhebt er sich oft zur Anschauung der ewigen p1c_089.019
Jdeen - "Nein, wenn sie nur bewundert, hebt sich die p1c_089.020
Seele zu schwach! - Erstaunen, himmelfliegendes Erstaunen, p1c_089.021
über den, der unendlich ist (zuweilen schaden aber p1c_089.022
hier zu abstrakte Gedanken der Empfindung). "Meine p1c_089.023
Seele dürstet, wie nach der Auferstehung verdorrtes Gebein, p1c_089.024
so dürstet meine Seele nach diesen Augenblicken deiner Erbarmungen. p1c_089.025
Jch liege vor dir auf meinem Angesichte. O! p1c_089.026
läg' ich Vater noch tiefer vor dir, gebückt in den Staub p1c_089.027
der untersten der Welten! (Es kann die Anbetung des Heiligen p1c_089.028
nicht kräftiger ausgedrückt werden) - "Jn die Wunden

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So weit Hiob nach Luthers Uebersetzung. Neuere mögen p1c_089.002
mitunter richtiger übersetzen, aber die alte nationale Urkraft p1c_089.003
von Luthers poetischem Deutsch sollte man nicht verdrängen p1c_089.004
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Bibel muß sinken, wenn unsere Schriftforscher fortfahren, p1c_089.006
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kritisch zu behandeln, und Gedanken und Ausdruck zu verwässern. p1c_089.008
Wie wenig zeigt sich von Herders Geist bey den p1c_089.009
Theologen. ─ Etwas schwächer ist der Fluch des Jeremias. p1c_089.010
„Verflucht sey der Tag, welcher mich aus dem Nichts p1c_089.011
nahm. Der Tag müsse ungesegnet seyn, da mich meine p1c_089.012
Mutter gebar. Verflucht sey der, so meinem Vater gute p1c_089.013
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wollte: es ist dir ein Sohn geboren!“ ─ Bey den Deutschen p1c_089.015
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unterweilen wahrer Prophetengesang. ─ Mit wahrem Urfeuer p1c_089.018
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Zitationshilfe: Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804/147>, abgerufen am 01.05.2024.