Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804.

Bild:
<< vorherige Seite

p1c_129.001
Leben erwachse. Saat, dich säet der Herr, dem großen p1c_129.002
Tage der Aernte, wenn die Schnitter rufen und die Posaunen p1c_129.003
erschallen, wenn die Erd' und das Meer mit lauterem p1c_129.004
Wehen gebähren, als einst Eden gebahr, wenn oben und p1c_129.005
unten die Himmel aller Himmel vom Preise des einen, der p1c_129.006
richtet, ertönen" - so weit das Große, nun das Erhabene: p1c_129.007
"Chebar (Mariens Engel) sah den siegenden Tod p1c_129.008
in der Sterbenden wüthen, und erbebte vor Wonne so laut, p1c_129.009
daß lispelndes Säuseln, wie aus besserer Ferne von seinen p1c_129.010
Flügeln wehte" u. s. w. und der Gedanke der Verklärten: p1c_129.011
"Traum, der mit Weinen begann, und schloß mit dem p1c_129.012
Weinen des Todes. Traum des Lebens, nun bist du geträumt, p1c_129.013
und ich bin erwachet." - Sehr oft findet man p1c_129.014
auch das Erhabene bey den Dichtern ohne alle vorhergehende p1c_129.015
andere Empfindung rein dargestellt. Es giebt ein p1c_129.016
gewisses stilles heiteres Erhabenes, das von allem p1c_129.017
Kampf entfernt ist, das alles Unangenehme, oder Traurige, p1c_129.018
oder Angreifende tief unter sich erblickt. Hierhin p1c_129.019
gehört die Beschreibung, die Wieland im achten Gesang des p1c_129.020
Oberon vom alten Alphonso macht. "Jn seinem Ansehn p1c_129.021
war die angeborne Würde, die unverhüllbar, auch durch p1c_129.022
eine Kutte scheint, sein offner Blick war aller Wesen p1c_129.023
Freund, und schien gewohnt, wiewohl der Jahre Bürde p1c_129.024
den Nacken sanft gekrümmt, stets himmelwärts zu schaun. p1c_129.025
Der inn're Friede ruht auf seinen Augenbrau'n, und wie p1c_129.026
ein Fels, zu dem sich Wolken nie erheben, scheint über'm p1c_129.027
Erdenland die reine Stirn' zu schweben. Den Rost der p1c_129.028
Welt, der Leidenschaften Spur hat längst die Zeit von ihr

p1c_129.001
Leben erwachse. Saat, dich säet der Herr, dem großen p1c_129.002
Tage der Aernte, wenn die Schnitter rufen und die Posaunen p1c_129.003
erschallen, wenn die Erd' und das Meer mit lauterem p1c_129.004
Wehen gebähren, als einst Eden gebahr, wenn oben und p1c_129.005
unten die Himmel aller Himmel vom Preise des einen, der p1c_129.006
richtet, ertönen“ ─ so weit das Große, nun das Erhabene: p1c_129.007
„Chebar (Mariens Engel) sah den siegenden Tod p1c_129.008
in der Sterbenden wüthen, und erbebte vor Wonne so laut, p1c_129.009
daß lispelndes Säuseln, wie aus besserer Ferne von seinen p1c_129.010
Flügeln wehte“ u. s. w. und der Gedanke der Verklärten: p1c_129.011
„Traum, der mit Weinen begann, und schloß mit dem p1c_129.012
Weinen des Todes. Traum des Lebens, nun bist du geträumt, p1c_129.013
und ich bin erwachet.“ ─ Sehr oft findet man p1c_129.014
auch das Erhabene bey den Dichtern ohne alle vorhergehende p1c_129.015
andere Empfindung rein dargestellt. Es giebt ein p1c_129.016
gewisses stilles heiteres Erhabenes, das von allem p1c_129.017
Kampf entfernt ist, das alles Unangenehme, oder Traurige, p1c_129.018
oder Angreifende tief unter sich erblickt. Hierhin p1c_129.019
gehört die Beschreibung, die Wieland im achten Gesang des p1c_129.020
Oberon vom alten Alphonso macht. „Jn seinem Ansehn p1c_129.021
war die angeborne Würde, die unverhüllbar, auch durch p1c_129.022
eine Kutte scheint, sein offner Blick war aller Wesen p1c_129.023
Freund, und schien gewohnt, wiewohl der Jahre Bürde p1c_129.024
den Nacken sanft gekrümmt, stets himmelwärts zu schaun. p1c_129.025
Der inn're Friede ruht auf seinen Augenbrau'n, und wie p1c_129.026
ein Fels, zu dem sich Wolken nie erheben, scheint über'm p1c_129.027
Erdenland die reine Stirn' zu schweben. Den Rost der p1c_129.028
Welt, der Leidenschaften Spur hat längst die Zeit von ihr

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0187" n="129"/><lb n="p1c_129.001"/>
Leben erwachse. Saat, dich säet der Herr, dem großen <lb n="p1c_129.002"/>
Tage der Aernte, wenn die Schnitter rufen und die Posaunen <lb n="p1c_129.003"/>
erschallen, wenn die Erd' und das Meer mit lauterem <lb n="p1c_129.004"/>
Wehen gebähren, als einst Eden gebahr, wenn oben und <lb n="p1c_129.005"/>
unten die Himmel aller Himmel vom Preise des einen, der <lb n="p1c_129.006"/>
richtet, ertönen&#x201C; &#x2500; so weit das Große, nun das Erhabene: <lb n="p1c_129.007"/>
&#x201E;Chebar (Mariens Engel) sah den siegenden Tod <lb n="p1c_129.008"/>
in der Sterbenden wüthen, und erbebte vor Wonne so laut, <lb n="p1c_129.009"/>
daß lispelndes Säuseln, wie aus besserer Ferne von seinen <lb n="p1c_129.010"/>
Flügeln wehte&#x201C; u. s. w. und der Gedanke der Verklärten: <lb n="p1c_129.011"/>
&#x201E;Traum, der mit Weinen begann, und schloß mit dem <lb n="p1c_129.012"/>
Weinen des Todes. Traum des Lebens, nun bist du geträumt, <lb n="p1c_129.013"/>
und ich bin erwachet.&#x201C; &#x2500; Sehr oft findet man <lb n="p1c_129.014"/>
auch das <hi rendition="#g">Erhabene</hi> bey den Dichtern ohne alle vorhergehende <lb n="p1c_129.015"/>
andere Empfindung rein dargestellt. Es giebt ein <lb n="p1c_129.016"/>
gewisses <hi rendition="#g">stilles heiteres Erhabenes,</hi> das von allem <lb n="p1c_129.017"/>
Kampf entfernt ist, das alles Unangenehme, oder Traurige, <lb n="p1c_129.018"/>
oder Angreifende tief unter sich erblickt. Hierhin <lb n="p1c_129.019"/>
gehört die Beschreibung, die Wieland im achten Gesang des <lb n="p1c_129.020"/>
Oberon vom alten Alphonso macht. &#x201E;Jn seinem Ansehn <lb n="p1c_129.021"/>
war die angeborne Würde, die unverhüllbar, auch durch <lb n="p1c_129.022"/>
eine Kutte scheint, sein offner Blick war aller Wesen <lb n="p1c_129.023"/>
Freund, und schien gewohnt, wiewohl der Jahre Bürde <lb n="p1c_129.024"/>
den Nacken sanft gekrümmt, stets himmelwärts zu schaun. <lb n="p1c_129.025"/>
Der inn're Friede ruht auf seinen Augenbrau'n, und wie <lb n="p1c_129.026"/>
ein Fels, zu dem sich Wolken nie erheben, scheint über'm <lb n="p1c_129.027"/>
Erdenland die reine Stirn' zu schweben. Den Rost der <lb n="p1c_129.028"/>
Welt, der Leidenschaften Spur hat längst die Zeit von ihr
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[129/0187] p1c_129.001 Leben erwachse. Saat, dich säet der Herr, dem großen p1c_129.002 Tage der Aernte, wenn die Schnitter rufen und die Posaunen p1c_129.003 erschallen, wenn die Erd' und das Meer mit lauterem p1c_129.004 Wehen gebähren, als einst Eden gebahr, wenn oben und p1c_129.005 unten die Himmel aller Himmel vom Preise des einen, der p1c_129.006 richtet, ertönen“ ─ so weit das Große, nun das Erhabene: p1c_129.007 „Chebar (Mariens Engel) sah den siegenden Tod p1c_129.008 in der Sterbenden wüthen, und erbebte vor Wonne so laut, p1c_129.009 daß lispelndes Säuseln, wie aus besserer Ferne von seinen p1c_129.010 Flügeln wehte“ u. s. w. und der Gedanke der Verklärten: p1c_129.011 „Traum, der mit Weinen begann, und schloß mit dem p1c_129.012 Weinen des Todes. Traum des Lebens, nun bist du geträumt, p1c_129.013 und ich bin erwachet.“ ─ Sehr oft findet man p1c_129.014 auch das Erhabene bey den Dichtern ohne alle vorhergehende p1c_129.015 andere Empfindung rein dargestellt. Es giebt ein p1c_129.016 gewisses stilles heiteres Erhabenes, das von allem p1c_129.017 Kampf entfernt ist, das alles Unangenehme, oder Traurige, p1c_129.018 oder Angreifende tief unter sich erblickt. Hierhin p1c_129.019 gehört die Beschreibung, die Wieland im achten Gesang des p1c_129.020 Oberon vom alten Alphonso macht. „Jn seinem Ansehn p1c_129.021 war die angeborne Würde, die unverhüllbar, auch durch p1c_129.022 eine Kutte scheint, sein offner Blick war aller Wesen p1c_129.023 Freund, und schien gewohnt, wiewohl der Jahre Bürde p1c_129.024 den Nacken sanft gekrümmt, stets himmelwärts zu schaun. p1c_129.025 Der inn're Friede ruht auf seinen Augenbrau'n, und wie p1c_129.026 ein Fels, zu dem sich Wolken nie erheben, scheint über'm p1c_129.027 Erdenland die reine Stirn' zu schweben. Den Rost der p1c_129.028 Welt, der Leidenschaften Spur hat längst die Zeit von ihr

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription. (2015-09-30T09:54:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804/187
Zitationshilfe: Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804/187>, abgerufen am 05.05.2024.