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Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804.

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man kunstmäßig scandiren, so müßte man folgendermaßen p1c_446.002
lesen: | ganz die | volle Ge | walt u. s. w. Aber der bessere p1c_446.003
Deklamator wird lesen: | volle Gewalt |. Hieraus entsteht p1c_446.004
ein Wortfuß, der von dem herrschenden künstlichen p1c_446.005
Fuße unterschieden ist, ein Choriambus, und dieser p1c_446.006
drückt den Sinn am besten aus. d) Endlich muß der Deklamator p1c_446.007
sowohl durch die Qualität des Tons, als auch p1c_446.008
durch die Art und Geschwindigkeit, wie er die Stimme bewegt, p1c_446.009
eine gewisse Harmonie des Klanges mit den Empfindungen, p1c_446.010
die der Jnhalt des Gedichts sind, zu erreichen p1c_446.011
suchen. Es ist eine ausgemachte Sache, daß die einzelnen p1c_446.012
Töne an sich der Empfindung nach verschieden sind, der eine p1c_446.013
fröhlicher klingt, der andere trauriger. Die Zärtlichkeit p1c_446.014
hat ihren Ton, wie der Abscheu. Diese Qualität des Tons p1c_446.015
muß der Deklamator dem Jnhalte des Gedichts anpassen, p1c_446.016
einen gewissen Hauptton annehmen, und innerhalb desselben p1c_446.017
die Stimme besonders modificiren, da er eine plötzliche Erhöhung p1c_446.018
und Vertiefung der Töne, und den Uebergang aus p1c_446.019
einem in den andern völlig in seiner Gewalt hat. Aber auch p1c_446.020
auf die harmonische Bewegung der Stimme kommt viel an, p1c_446.021
um die jedesmalige Gemüthsstimmung auszudrücken. Die p1c_446.022
Stimme bewegt sich bey heftigen Empfindungen schneller, p1c_446.023
beym Scherz, bey Empfindungen der Grazie leichter, nachlässiger, p1c_446.024
beym Großen langsam, schwer. Beym Starken p1c_446.025
wird mit Nachdruck accentuirt. Auch kommt die Schwäche p1c_446.026
und Stärke des Tons in Anschlag. Alles dieses lernt sich

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man kunstmäßig scandiren, so müßte man folgendermaßen p1c_446.002
lesen: | gānz dīe | vōllĕ Gĕ | walt u. s. w. Aber der bessere p1c_446.003
Deklamator wird lesen: | vōllĕ Gĕwālt |. Hieraus entsteht p1c_446.004
ein Wortfuß, der von dem herrschenden künstlichen p1c_446.005
Fuße unterschieden ist, ein Choriambus, und dieser p1c_446.006
drückt den Sinn am besten aus. d) Endlich muß der Deklamator p1c_446.007
sowohl durch die Qualität des Tons, als auch p1c_446.008
durch die Art und Geschwindigkeit, wie er die Stimme bewegt, p1c_446.009
eine gewisse Harmonie des Klanges mit den Empfindungen, p1c_446.010
die der Jnhalt des Gedichts sind, zu erreichen p1c_446.011
suchen. Es ist eine ausgemachte Sache, daß die einzelnen p1c_446.012
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um die jedesmalige Gemüthsstimmung auszudrücken. Die p1c_446.022
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Zitationshilfe: Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804, S. 446. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804/504>, abgerufen am 27.04.2024.