Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804.

Bild:
<< vorherige Seite

p1c_456.001
schichte,
sondern eine göttliche. Man hat also p1c_456.002
bisher ganz geirrt, wenn man eine sogenannte Universalhistorie p1c_456.003
mit der menschlichen Geschichte zusammen p1c_456.004
warf. Beyde müssen nach verschiedenen p1c_456.005
Prinzipien betrachtet werden. Die menschliche Geschichte p1c_456.006
ist ein äußerst beschränktes Wissen a posteriori. p1c_456.007
Die Weltgeschichte, welcher jene unterworfen p1c_456.008
seyn muß, ist ein Gegenstand des religiösen p1c_456.009
Glaubens.

p1c_456.010
Der Mensch pflanzt auf die folgenden Generationen p1c_456.011
seine Jdeen durch die Sprache, durch mündliche p1c_456.012
und schriftliche Ueberlieferungen fort. Es p1c_456.013
wird also, wenn es eine religiöse Weltgeschichte p1c_456.014
giebt, dieselbe durch die Sprache, als das einzige p1c_456.015
Mittel der Ueberlieferung, erhalten werden. Da p1c_456.016
diese Weltgeschichte ideal, d. h. wunderbar und für p1c_456.017
den Verstand unbegreiflich ist, die Darstellung des p1c_456.018
Jdealen durch die Sprache aber von uns Poesie p1c_456.019
im höchsten heiligsten Sinne des Worts genannt wurde, p1c_456.020
so postulirt der religiöse Glaube eine ideale Weltgeschichte, p1c_456.021
die uns durch höhere Begeisterung p1c_456.022
überliefert wird, eine Darstellung der Zeitbegebenheiten p1c_456.023
mittest der Sprache nach einer religiösen Ansicht, p1c_456.024
mithin eine göttliche Poesie.

p1c_456.001
schichte,
sondern eine göttliche. Man hat also p1c_456.002
bisher ganz geirrt, wenn man eine sogenannte Universalhistorie p1c_456.003
mit der menschlichen Geschichte zusammen p1c_456.004
warf. Beyde müssen nach verschiedenen p1c_456.005
Prinzipien betrachtet werden. Die menschliche Geschichte p1c_456.006
ist ein äußerst beschränktes Wissen a posteriori. p1c_456.007
Die Weltgeschichte, welcher jene unterworfen p1c_456.008
seyn muß, ist ein Gegenstand des religiösen p1c_456.009
Glaubens.

p1c_456.010
Der Mensch pflanzt auf die folgenden Generationen p1c_456.011
seine Jdeen durch die Sprache, durch mündliche p1c_456.012
und schriftliche Ueberlieferungen fort. Es p1c_456.013
wird also, wenn es eine religiöse Weltgeschichte p1c_456.014
giebt, dieselbe durch die Sprache, als das einzige p1c_456.015
Mittel der Ueberlieferung, erhalten werden. Da p1c_456.016
diese Weltgeschichte ideal, d. h. wunderbar und für p1c_456.017
den Verstand unbegreiflich ist, die Darstellung des p1c_456.018
Jdealen durch die Sprache aber von uns Poesie p1c_456.019
im höchsten heiligsten Sinne des Worts genannt wurde, p1c_456.020
so postulirt der religiöse Glaube eine ideale Weltgeschichte, p1c_456.021
die uns durch höhere Begeisterung p1c_456.022
überliefert wird, eine Darstellung der Zeitbegebenheiten p1c_456.023
mittest der Sprache nach einer religiösen Ansicht, p1c_456.024
mithin eine göttliche Poesie.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><hi rendition="#g"><pb facs="#f0514" n="456"/><lb n="p1c_456.001"/>
schichte,</hi> sondern eine <hi rendition="#g">göttliche.</hi> Man hat also <lb n="p1c_456.002"/>
bisher ganz geirrt, wenn man eine sogenannte <hi rendition="#g">Universalhistorie</hi> <lb n="p1c_456.003"/>
mit der menschlichen Geschichte zusammen <lb n="p1c_456.004"/>
warf. Beyde müssen nach verschiedenen <lb n="p1c_456.005"/>
Prinzipien betrachtet werden. Die <hi rendition="#g">menschliche</hi> Geschichte <lb n="p1c_456.006"/>
ist ein äußerst beschränktes Wissen <hi rendition="#aq">a posteriori</hi>. <lb n="p1c_456.007"/>
Die <hi rendition="#g">Weltgeschichte,</hi> welcher jene unterworfen <lb n="p1c_456.008"/>
seyn muß, ist ein Gegenstand des <hi rendition="#g">religiösen</hi> <lb n="p1c_456.009"/>
Glaubens.</p>
          <p><lb n="p1c_456.010"/>
Der Mensch pflanzt auf die folgenden Generationen <lb n="p1c_456.011"/>
seine <hi rendition="#g">Jdeen</hi> durch die <hi rendition="#g">Sprache,</hi> durch <hi rendition="#g">mündliche</hi> <lb n="p1c_456.012"/>
und <hi rendition="#g">schriftliche</hi> Ueberlieferungen fort. Es <lb n="p1c_456.013"/>
wird also, wenn es eine <hi rendition="#g">religiöse</hi> Weltgeschichte <lb n="p1c_456.014"/>
giebt, dieselbe durch die Sprache, als das einzige <lb n="p1c_456.015"/>
Mittel der Ueberlieferung, erhalten werden. Da <lb n="p1c_456.016"/>
diese Weltgeschichte <hi rendition="#g">ideal,</hi> d. h. wunderbar und für <lb n="p1c_456.017"/>
den Verstand unbegreiflich ist, die Darstellung des <lb n="p1c_456.018"/> <hi rendition="#g">Jdealen</hi> durch die <hi rendition="#g">Sprache</hi> aber von uns <hi rendition="#g">Poesie</hi> <lb n="p1c_456.019"/>
im höchsten heiligsten Sinne des Worts genannt wurde, <lb n="p1c_456.020"/>
so postulirt der <hi rendition="#g">religiöse</hi> Glaube eine <hi rendition="#g">ideale Weltgeschichte,</hi> <lb n="p1c_456.021"/>
die uns durch <hi rendition="#g">höhere Begeisterung</hi> <lb n="p1c_456.022"/>
überliefert wird, eine Darstellung der Zeitbegebenheiten <lb n="p1c_456.023"/>
mittest der Sprache nach einer religiösen Ansicht, <lb n="p1c_456.024"/>
mithin eine <hi rendition="#g">göttliche Poesie.</hi></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[456/0514] p1c_456.001 schichte, sondern eine göttliche. Man hat also p1c_456.002 bisher ganz geirrt, wenn man eine sogenannte Universalhistorie p1c_456.003 mit der menschlichen Geschichte zusammen p1c_456.004 warf. Beyde müssen nach verschiedenen p1c_456.005 Prinzipien betrachtet werden. Die menschliche Geschichte p1c_456.006 ist ein äußerst beschränktes Wissen a posteriori. p1c_456.007 Die Weltgeschichte, welcher jene unterworfen p1c_456.008 seyn muß, ist ein Gegenstand des religiösen p1c_456.009 Glaubens. p1c_456.010 Der Mensch pflanzt auf die folgenden Generationen p1c_456.011 seine Jdeen durch die Sprache, durch mündliche p1c_456.012 und schriftliche Ueberlieferungen fort. Es p1c_456.013 wird also, wenn es eine religiöse Weltgeschichte p1c_456.014 giebt, dieselbe durch die Sprache, als das einzige p1c_456.015 Mittel der Ueberlieferung, erhalten werden. Da p1c_456.016 diese Weltgeschichte ideal, d. h. wunderbar und für p1c_456.017 den Verstand unbegreiflich ist, die Darstellung des p1c_456.018 Jdealen durch die Sprache aber von uns Poesie p1c_456.019 im höchsten heiligsten Sinne des Worts genannt wurde, p1c_456.020 so postulirt der religiöse Glaube eine ideale Weltgeschichte, p1c_456.021 die uns durch höhere Begeisterung p1c_456.022 überliefert wird, eine Darstellung der Zeitbegebenheiten p1c_456.023 mittest der Sprache nach einer religiösen Ansicht, p1c_456.024 mithin eine göttliche Poesie.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription. (2015-09-30T09:54:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804/514
Zitationshilfe: Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804, S. 456. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804/514>, abgerufen am 27.04.2024.