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Cohn, Gustav: Die deutsche Frauenbewegung. Berlin, 1896.

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jene schreckliche Plage aller Hausfrauen verschwinden zu machen,
nämlich Dienstboten, die niemals selbständig denken, die un-
fähig sind, Neues zu lernen. Gehört ein so erzogenes Mädchen
den wohlhabenderen Schichten an, so wird es die Leitung der
Haushaltung mit Leichtigkeit in die Hand nehmen, oder es
hätte für jeden anderen Beruf eine tüchtige Grundlage, um
fürs Leben weiter darauf zu bauen. Alle aber hätten in den
Jahren des erwachenden Dranges zur Thätigkeit ein Feld für
ihre Energie und nicht am Ende der Schulzeit das öde Nichts
des Zuwartens, ob das Schicksal in Gestalt eines Mannes zu
ihnen hernieder steige, und jene verderbliche Zeit, der die
liebenswürdigen und tüchtigen Eigenschaften so häufig zum Opfer
fallen, wäre in eine fruchtbringende verwandelt."

So spricht jene Frau. Conservative Geister beiderlei Ge-
schlechts werden - zum Theil wohl mit Recht - manche
Uebertreibungen an ihren Betrachtungen von Altem und Neuem
tadeln. Aber Eines ist mir nicht zweifelhaft: sie hat Recht
gegenüber jener Art von Vertheidigung des Bestehenden, welche
noch kürzlich in einem romantisch gestimmten Gelehrten ihren
Anwalt gefunden, der da meinte, für die häusliche Thätigkeit
bedeute die Theorie sehr wenig; chemische Kenntnisse seien für
die Hausfrau nicht nothwendig (zumal da die Ansichten der
Chemiker über die Fragen des Nährwerths gewisser Stoffe
häufig wechseln), es komme für die Hauswirthschaft darauf an,
"den im Laufe der Geschlechter angesammelten Erfahrungs-
schatz" zu verwerthen u. dergl. mehr. Wir fragen: Was ist
dieser Erfahrungsschatz im Gegensatze zur Theorie anders als die
selbstgerechte Routine, die im Zeitalter der großen naturwissen-
schaftlichen und technischen Fortschritte keinen Fortschritt kennt?
Und welch ein Jnteresse hat wohl ein Vertreter der Wissen-
schaft, gleichviel welcher, irgend einem Fache die Schwankungen

jene schreckliche Plage aller Hausfrauen verschwinden zu machen,
nämlich Dienstboten, die niemals selbständig denken, die un-
fähig sind, Neues zu lernen. Gehört ein so erzogenes Mädchen
den wohlhabenderen Schichten an, so wird es die Leitung der
Haushaltung mit Leichtigkeit in die Hand nehmen, oder es
hätte für jeden anderen Beruf eine tüchtige Grundlage, um
fürs Leben weiter darauf zu bauen. Alle aber hätten in den
Jahren des erwachenden Dranges zur Thätigkeit ein Feld für
ihre Energie und nicht am Ende der Schulzeit das öde Nichts
des Zuwartens, ob das Schicksal in Gestalt eines Mannes zu
ihnen hernieder steige, und jene verderbliche Zeit, der die
liebenswürdigen und tüchtigen Eigenschaften so häufig zum Opfer
fallen, wäre in eine fruchtbringende verwandelt.“

So spricht jene Frau. Conservative Geister beiderlei Ge-
schlechts werden – zum Theil wohl mit Recht – manche
Uebertreibungen an ihren Betrachtungen von Altem und Neuem
tadeln. Aber Eines ist mir nicht zweifelhaft: sie hat Recht
gegenüber jener Art von Vertheidigung des Bestehenden, welche
noch kürzlich in einem romantisch gestimmten Gelehrten ihren
Anwalt gefunden, der da meinte, für die häusliche Thätigkeit
bedeute die Theorie sehr wenig; chemische Kenntnisse seien für
die Hausfrau nicht nothwendig (zumal da die Ansichten der
Chemiker über die Fragen des Nährwerths gewisser Stoffe
häufig wechseln), es komme für die Hauswirthschaft darauf an,
„den im Laufe der Geschlechter angesammelten Erfahrungs-
schatz“ zu verwerthen u. dergl. mehr. Wir fragen: Was ist
dieser Erfahrungsschatz im Gegensatze zur Theorie anders als die
selbstgerechte Routine, die im Zeitalter der großen naturwissen-
schaftlichen und technischen Fortschritte keinen Fortschritt kennt?
Und welch ein Jnteresse hat wohl ein Vertreter der Wissen-
schaft, gleichviel welcher, irgend einem Fache die Schwankungen

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[128/0144] jene schreckliche Plage aller Hausfrauen verschwinden zu machen, nämlich Dienstboten, die niemals selbständig denken, die un- fähig sind, Neues zu lernen. Gehört ein so erzogenes Mädchen den wohlhabenderen Schichten an, so wird es die Leitung der Haushaltung mit Leichtigkeit in die Hand nehmen, oder es hätte für jeden anderen Beruf eine tüchtige Grundlage, um fürs Leben weiter darauf zu bauen. Alle aber hätten in den Jahren des erwachenden Dranges zur Thätigkeit ein Feld für ihre Energie und nicht am Ende der Schulzeit das öde Nichts des Zuwartens, ob das Schicksal in Gestalt eines Mannes zu ihnen hernieder steige, und jene verderbliche Zeit, der die liebenswürdigen und tüchtigen Eigenschaften so häufig zum Opfer fallen, wäre in eine fruchtbringende verwandelt.“ So spricht jene Frau. Conservative Geister beiderlei Ge- schlechts werden – zum Theil wohl mit Recht – manche Uebertreibungen an ihren Betrachtungen von Altem und Neuem tadeln. Aber Eines ist mir nicht zweifelhaft: sie hat Recht gegenüber jener Art von Vertheidigung des Bestehenden, welche noch kürzlich in einem romantisch gestimmten Gelehrten ihren Anwalt gefunden, der da meinte, für die häusliche Thätigkeit bedeute die Theorie sehr wenig; chemische Kenntnisse seien für die Hausfrau nicht nothwendig (zumal da die Ansichten der Chemiker über die Fragen des Nährwerths gewisser Stoffe häufig wechseln), es komme für die Hauswirthschaft darauf an, „den im Laufe der Geschlechter angesammelten Erfahrungs- schatz“ zu verwerthen u. dergl. mehr. Wir fragen: Was ist dieser Erfahrungsschatz im Gegensatze zur Theorie anders als die selbstgerechte Routine, die im Zeitalter der großen naturwissen- schaftlichen und technischen Fortschritte keinen Fortschritt kennt? Und welch ein Jnteresse hat wohl ein Vertreter der Wissen- schaft, gleichviel welcher, irgend einem Fache die Schwankungen

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Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2021-02-18T15:54:56Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Cohn, Gustav: Die deutsche Frauenbewegung. Berlin, 1896, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cohn_frauenbewegung_1896/144>, abgerufen am 26.04.2024.