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Cohn, Gustav: Die deutsche Frauenbewegung. Berlin, 1896.

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ankomme, diesen Vorsprung der männlichen Bildung für die
weibliche einzuholen. Will man von einem solchen Vorsprunge
und der Aufgabe seiner Ausgleichung reden - immerhin. Aber
mit nichten handelt es sich hierbei um eine Erscheinung der
neuesten Zeit im Unterschiede von früheren Zeiten. Die Er-
scheinung ist eine sehr alte, sie reicht weit in die vergangenen
Jahrhunderte zurück. Das im Sinne jener Ansicht voraus-
gesetzte Gleichgewicht der Bildung beider Geschlechter, das an-
geblich neuerdings erst zerstört sein sollte, hat niemals bisher
bestanden, außer für einen gewählten, engen Kreis und ein
erlesenes Zeitalter, wie das der Renaissance in Jtalien.

Von diesem*) ist es wahr, daß die Bildung des Weibes
in den höchsten Ständen wesentlich dieselbe war wie beim
Manne. Es erregt den Jtalienern der Renaissance nicht das
geringste Bedenken, den literarischen und selbst den philologischen
Unterricht auf Söhne und Töchter gleichmäßig wirken zu lassen;
da man ja in dieser neu-antiken Cultur den höchsten Besitz
des Lebens erblickte, so gönnte man sie gerne auch den Mädchen.
Selbst Fürstentöchter gelangten zu hoher Virtuosität im latei-
nischen Reden und Schreiben... Weiter schloß sich daran die
thätige Theilnahme an der italienischen Poesie, womit seit der
Venezianerin Cassandra Fedele eine Anzahl von Damen be-
rühmt wurde. Vittoria Colonna kann sogar unsterblich heißen.
Wenn irgend etwas, fährt Jacob Burckhardt fort, unsere obige
Behauptung beweist, so ist es diese Frauenpoesie mit ihrem
völlig männlichen Ton. Liebessonette wie religiöse Gedichte
zeigen eine so entschiedene Fassung, sind von dem zarten Halb-
dunkel der Schwärmerei und von allem Dilettantischen, was

*) Jacob Burckhardt, Die Cultur der Renaissance in Jtalien.
(Basel 1860.) S. 392 ff.

ankomme, diesen Vorsprung der männlichen Bildung für die
weibliche einzuholen. Will man von einem solchen Vorsprunge
und der Aufgabe seiner Ausgleichung reden – immerhin. Aber
mit nichten handelt es sich hierbei um eine Erscheinung der
neuesten Zeit im Unterschiede von früheren Zeiten. Die Er-
scheinung ist eine sehr alte, sie reicht weit in die vergangenen
Jahrhunderte zurück. Das im Sinne jener Ansicht voraus-
gesetzte Gleichgewicht der Bildung beider Geschlechter, das an-
geblich neuerdings erst zerstört sein sollte, hat niemals bisher
bestanden, außer für einen gewählten, engen Kreis und ein
erlesenes Zeitalter, wie das der Renaissance in Jtalien.

Von diesem*) ist es wahr, daß die Bildung des Weibes
in den höchsten Ständen wesentlich dieselbe war wie beim
Manne. Es erregt den Jtalienern der Renaissance nicht das
geringste Bedenken, den literarischen und selbst den philologischen
Unterricht auf Söhne und Töchter gleichmäßig wirken zu lassen;
da man ja in dieser neu-antiken Cultur den höchsten Besitz
des Lebens erblickte, so gönnte man sie gerne auch den Mädchen.
Selbst Fürstentöchter gelangten zu hoher Virtuosität im latei-
nischen Reden und Schreiben… Weiter schloß sich daran die
thätige Theilnahme an der italienischen Poesie, womit seit der
Venezianerin Cassandra Fedele eine Anzahl von Damen be-
rühmt wurde. Vittoria Colonna kann sogar unsterblich heißen.
Wenn irgend etwas, fährt Jacob Burckhardt fort, unsere obige
Behauptung beweist, so ist es diese Frauenpoesie mit ihrem
völlig männlichen Ton. Liebessonette wie religiöse Gedichte
zeigen eine so entschiedene Fassung, sind von dem zarten Halb-
dunkel der Schwärmerei und von allem Dilettantischen, was

*) Jacob Burckhardt, Die Cultur der Renaissance in Jtalien.
(Basel 1860.) S. 392 ff.
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[76/0092] ankomme, diesen Vorsprung der männlichen Bildung für die weibliche einzuholen. Will man von einem solchen Vorsprunge und der Aufgabe seiner Ausgleichung reden – immerhin. Aber mit nichten handelt es sich hierbei um eine Erscheinung der neuesten Zeit im Unterschiede von früheren Zeiten. Die Er- scheinung ist eine sehr alte, sie reicht weit in die vergangenen Jahrhunderte zurück. Das im Sinne jener Ansicht voraus- gesetzte Gleichgewicht der Bildung beider Geschlechter, das an- geblich neuerdings erst zerstört sein sollte, hat niemals bisher bestanden, außer für einen gewählten, engen Kreis und ein erlesenes Zeitalter, wie das der Renaissance in Jtalien. Von diesem *) ist es wahr, daß die Bildung des Weibes in den höchsten Ständen wesentlich dieselbe war wie beim Manne. Es erregt den Jtalienern der Renaissance nicht das geringste Bedenken, den literarischen und selbst den philologischen Unterricht auf Söhne und Töchter gleichmäßig wirken zu lassen; da man ja in dieser neu-antiken Cultur den höchsten Besitz des Lebens erblickte, so gönnte man sie gerne auch den Mädchen. Selbst Fürstentöchter gelangten zu hoher Virtuosität im latei- nischen Reden und Schreiben… Weiter schloß sich daran die thätige Theilnahme an der italienischen Poesie, womit seit der Venezianerin Cassandra Fedele eine Anzahl von Damen be- rühmt wurde. Vittoria Colonna kann sogar unsterblich heißen. Wenn irgend etwas, fährt Jacob Burckhardt fort, unsere obige Behauptung beweist, so ist es diese Frauenpoesie mit ihrem völlig männlichen Ton. Liebessonette wie religiöse Gedichte zeigen eine so entschiedene Fassung, sind von dem zarten Halb- dunkel der Schwärmerei und von allem Dilettantischen, was *) Jacob Burckhardt, Die Cultur der Renaissance in Jtalien. (Basel 1860.) S. 392 ff.

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Zitationshilfe: Cohn, Gustav: Die deutsche Frauenbewegung. Berlin, 1896, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cohn_frauenbewegung_1896/92>, abgerufen am 29.04.2024.