es m[i]t seiner mehr krankhaft weißen, denn verschossen an- geröt[h]elten Farbe. Stirn gefurcht, um Nase und Mund point[i]rte Schmerzensfalten. Hinter dieser hohen Stirn ist v[i]el gedacht worden, diese Unterpartie des Ge- sichts hat sich wohl oft genug für ein bitteres, ironisches Läche[l]n hergeben müssen. Ein gestutzter, weißgrauer Bart liegt um Kinn und Wangen. Das spärliche Kopf[h]aar vertheilt sich in einigen dünnen, sprödfasrigen Strä[h]nen über die Platte.
"Guten Abend, lieber Papa!" Hedwig begrüßt ihren Vater mit angenommener Munterkeit.
"Guten Abend, mein Kind! Du bist recht lange heute .." Herr Doctor Irmer spricht langsam, schlep- pend, halblaut, undeutlich. Mehr mit den Lippen, denn mit dem inneren Munde.
"[F]indest Du, Papa? Ich bin etwas langsam gegan[g]en -- mag sein! Hier ist die Volkszeitung. Soll [i]ch Dir jetzt vorlesen oder nach Tisch? Das Buch von Dühring war nicht vorräthig. Ich habe es be[s]tellt. In acht Tagen werden wir's haben. Brauc[h]st Du's zu irgend einer Arbeit? .."
[D]er Vater schüttelt den Kopf.
"[N]a! dann schadet's ja nichts! Dann können wir j[a] warten. Emma holt wohl ein zum Abend- brot? Schmerzt der Kopf noch so, Papa? Wenn Du [D]ich nur entschließen könntest, wieder einmal eine [S]traße zu gehen -- die ewige Stubenluft thut [D]ir nicht gut --"
"[M]orgen vielleicht .. morgen, Hedwig .. Ich möchte Dir eigentlich noch vor Tisch ... vor Tisch
es m[i]t ſeiner mehr krankhaft weißen, denn verſchoſſen an- geröt[h]elten Farbe. Stirn gefurcht, um Naſe und Mund point[i]rte Schmerzensfalten. Hinter dieſer hohen Stirn iſt v[i]el gedacht worden, dieſe Unterpartie des Ge- ſichts hat ſich wohl oft genug für ein bitteres, ironiſches Läche[l]n hergeben müſſen. Ein geſtutzter, weißgrauer Bart liegt um Kinn und Wangen. Das ſpärliche Kopf[h]aar vertheilt ſich in einigen dünnen, ſprödfaſrigen Strä[h]nen über die Platte.
„Guten Abend, lieber Papa!“ Hedwig begrüßt ihren Vater mit angenommener Munterkeit.
„Guten Abend, mein Kind! Du biſt recht lange heute ..“ Herr Doctor Irmer ſpricht langſam, ſchlep- pend, halblaut, undeutlich. Mehr mit den Lippen, denn mit dem inneren Munde.
„[F]indeſt Du, Papa? Ich bin etwas langſam gegan[g]en — mag ſein! Hier iſt die Volkszeitung. Soll [i]ch Dir jetzt vorleſen oder nach Tiſch? Das Buch von Dühring war nicht vorräthig. Ich habe es be[ſ]tellt. In acht Tagen werden wir's haben. Brauc[h]ſt Du's zu irgend einer Arbeit? ..“
[D]er Vater ſchüttelt den Kopf.
„[N]a! dann ſchadet's ja nichts! Dann können wir j[a] warten. Emma holt wohl ein zum Abend- brot? Schmerzt der Kopf noch ſo, Papa? Wenn Du [D]ich nur entſchließen könnteſt, wieder einmal eine [S]traße zu gehen — die ewige Stubenluft thut [D]ir nicht gut —“
„[M]orgen vielleicht .. morgen, Hedwig .. Ich möchte Dir eigentlich noch vor Tiſch … vor Tiſch
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es mit ſeiner mehr krankhaft weißen, denn verſchoſſen an-
geröthelten Farbe. Stirn gefurcht, um Naſe und Mund
pointirte Schmerzensfalten. Hinter dieſer hohen Stirn
iſt viel gedacht worden, dieſe Unterpartie des Ge-
ſichts hat ſich wohl oft genug für ein bitteres, ironiſches
Lächeln hergeben müſſen. Ein geſtutzter, weißgrauer
Bart liegt um Kinn und Wangen. Das ſpärliche
Kopfhaar vertheilt ſich in einigen dünnen, ſprödfaſrigen
Strähnen über die Platte.
„Guten Abend, lieber Papa!“ Hedwig begrüßt
ihren Vater mit angenommener Munterkeit.
„Guten Abend, mein Kind! Du biſt recht lange
heute ..“ Herr Doctor Irmer ſpricht langſam, ſchlep-
pend, halblaut, undeutlich. Mehr mit den Lippen,
denn mit dem inneren Munde.
„Findeſt Du, Papa? Ich bin etwas langſam
gegangen — mag ſein! Hier iſt die Volkszeitung.
Soll ich Dir jetzt vorleſen oder nach Tiſch? Das
Buch von Dühring war nicht vorräthig. Ich habe
es beſtellt. In acht Tagen werden wir's haben.
Brauchſt Du's zu irgend einer Arbeit? ..“
Der Vater ſchüttelt den Kopf.
„Na! dann ſchadet's ja nichts! Dann können
wir ja warten. Emma holt wohl ein zum Abend-
brot? Schmerzt der Kopf noch ſo, Papa? Wenn
Du Dich nur entſchließen könnteſt, wieder einmal
eine Straße zu gehen — die ewige Stubenluft
thut Dir nicht gut —“
„Morgen vielleicht .. morgen, Hedwig .. Ich
möchte Dir eigentlich noch vor Tiſch … vor Tiſch
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Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889], S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/33>, abgerufen am 10.10.2024.
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