Nich[t] reizt es ihn mehr, individuelle Entdeckungen zu machen. Damit hat er abgeschlossen. Ob er auch schon über die Tendenz der Selbsterkenntniß hina[u]sgekommen? Kaum. Er wird auch noch nicht wisse[n], wer er ist.
[H]edwig hat keine Neigung, sich über ihren Vater zu w[u]ndern. Sie hat eben überhaupt keine Nei- gung[e]n mehr. Liebt sie ihren Vater? Er erhält sie, s[i]e darf bei ihm wohnen, zusammenwohnen mit ihm [i]n den wenigen, engen Räumen, für die er den Miet[h]szins nothdürftig zusammenarbeitet. Ein paar Helle[r] sind ihnen noch aus früheren, volleren, runderen Zeite[n] geblieben. Die beiden Leute kommen einiger- maße[n] aus. Hedwig kann sich sogar noch ein "Die[n]stmädchen" halten.
E[s] ist ein farbloses, eintöniges Leben, das sie lebt. Wird es ihr öfter nicht doch zu Sinn, als müßte sie aufsp[r]ingen, einmal laut .. laut aufschreien -- aufsch[r]eien, wie Jesus, ehe er am Kreuze verreckte -- und d[a]nn hinausstürzen aus dieser lähmenden Enge -- irgen[d]wohin -- irgend Etwas, von dem sie sich be- ängst[i]gend-unklar bezwungen fühlt, befriedigen --? In d[i]eser dämonischen Oscillation sich ausleben? .. Wird es ihr also nicht öfter doch zu Sinn? Nein! Sie [k]ann sich nicht erinnern, von solchen elemen- taren Erschütterungen heimgesucht zu sein. Vielleicht dann und wann einmal ein jähes Aufzucken -- mehr [w]ar's nicht -- nein! mehr nicht. Manchmal sagt sie sic[h] ganz klar und vernunftsmäßig: dies und das im Le[b]en müßte doch eigentlich auch für mich noch
Nich[t] reizt es ihn mehr, individuelle Entdeckungen zu machen. Damit hat er abgeſchloſſen. Ob er auch ſchon über die Tendenz der Selbſterkenntniß hina[u]sgekommen? Kaum. Er wird auch noch nicht wiſſe[n], wer er iſt.
[H]edwig hat keine Neigung, ſich über ihren Vater zu w[u]ndern. Sie hat eben überhaupt keine Nei- gung[e]n mehr. Liebt ſie ihren Vater? Er erhält ſie, ſ[i]e darf bei ihm wohnen, zuſammenwohnen mit ihm [i]n den wenigen, engen Räumen, für die er den Miet[h]szins nothdürftig zuſammenarbeitet. Ein paar Helle[r] ſind ihnen noch aus früheren, volleren, runderen Zeite[n] geblieben. Die beiden Leute kommen einiger- maße[n] aus. Hedwig kann ſich ſogar noch ein „Die[n]ſtmädchen“ halten.
E[s] iſt ein farbloſes, eintöniges Leben, das ſie lebt. Wird es ihr öfter nicht doch zu Sinn, als müßte ſie aufſp[r]ingen, einmal laut .. laut aufſchreien — aufſch[r]eien, wie Jeſus, ehe er am Kreuze verreckte — und d[a]nn hinausſtürzen aus dieſer lähmenden Enge — irgen[d]wohin — irgend Etwas, von dem ſie ſich be- ängſt[i]gend-unklar bezwungen fühlt, befriedigen —? In d[i]eſer dämoniſchen Oscillation ſich ausleben? .. Wird es ihr alſo nicht öfter doch zu Sinn? Nein! Sie [k]ann ſich nicht erinnern, von ſolchen elemen- taren Erſchütterungen heimgeſucht zu ſein. Vielleicht dann und wann einmal ein jähes Aufzucken — mehr [w]ar's nicht — nein! mehr nicht. Manchmal ſagt ſie ſic[h] ganz klar und vernunftsmäßig: dies und das im Le[b]en müßte doch eigentlich auch für mich noch
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Nicht reizt es ihn mehr, individuelle Entdeckungen
zu machen. Damit hat er abgeſchloſſen. Ob er
auch ſchon über die Tendenz der Selbſterkenntniß
hinausgekommen? Kaum. Er wird auch noch nicht
wiſſen, wer er iſt.
Hedwig hat keine Neigung, ſich über ihren Vater
zu wundern. Sie hat eben überhaupt keine Nei-
gungen mehr. Liebt ſie ihren Vater? Er erhält
ſie, ſie darf bei ihm wohnen, zuſammenwohnen mit
ihm in den wenigen, engen Räumen, für die er den
Miethszins nothdürftig zuſammenarbeitet. Ein paar
Heller ſind ihnen noch aus früheren, volleren, runderen
Zeiten geblieben. Die beiden Leute kommen einiger-
maßen aus. Hedwig kann ſich ſogar noch ein
„Dienſtmädchen“ halten.
Es iſt ein farbloſes, eintöniges Leben, das ſie lebt.
Wird es ihr öfter nicht doch zu Sinn, als müßte ſie
aufſpringen, einmal laut .. laut aufſchreien —
aufſchreien, wie Jeſus, ehe er am Kreuze verreckte —
und dann hinausſtürzen aus dieſer lähmenden Enge —
irgendwohin — irgend Etwas, von dem ſie ſich be-
ängſtigend-unklar bezwungen fühlt, befriedigen —?
In dieſer dämoniſchen Oscillation ſich ausleben? ..
Wird es ihr alſo nicht öfter doch zu Sinn? Nein!
Sie kann ſich nicht erinnern, von ſolchen elemen-
taren Erſchütterungen heimgeſucht zu ſein. Vielleicht
dann und wann einmal ein jähes Aufzucken —
mehr war's nicht — nein! mehr nicht. Manchmal ſagt
ſie ſich ganz klar und vernunftsmäßig: dies und das
im Leben müßte doch eigentlich auch für mich noch
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Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889], S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/35>, abgerufen am 05.10.2024.
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