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Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875.

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Arbeit und Muße.

Kyros sah nur die Schattenseite, und es ist unläugbar,
daß die Erwerbslust, welche keinen regelmäßigen Wechsel von
Arbeit und Muße, keine festen Ziele und Zeiten hat wie der
Landbau, die sittliche Gesundheit der Griechen frühzeitig an¬
gegriffen und ihren Stammcharakter wesentlich verändert hat.
Andererseits beruht aber die ganze Vielseitigkeit und Frucht¬
barkeit des Griechenthums darauf, daß es zwei verschiedenen
Culturkreisen angehört, und wir erkennen in ihm deutlich einen
doppelten Zug, den arischen Stolz, der jeden kaufmännischen
und industriellen Erwerb verachtete, und die den Phöniziern
abgelernte Betriebsamkeit, die in rastloser Geschäftigkeit Alles
zu verwerthen suchte, was die Natur darbot oder ihr Fleiß
hervorbrachte.

Dieser Gegensatz hat eine wohlthätige Gährung erzeugt;
er hat Nachdenken und Anstrengung hervorgerufen, und in
dem Bestreben ihn richtig zu vermitteln sind die Griechen über
die Einseitigkeit der älteren Völker hinausgegangen, haben die
verschiedenen Richtungen des Menschenlebens zuerst klar über¬
blickt und eine ihnen durchaus eigenthümliche Lebensordnung
aufgestellt.

Merkwürdig ist, wie sie dazu das Ausländische benutzten.

Von den Phöniziern haben sie Menschenraub und Menschen¬
handel kennen gelernt. Dadurch wurde die Möglichkeit gege¬
ben, einen Stand heimathloser Leute zusammen zu bringen,
auf welchen die Landeskinder die Last der Tagesarbeit wälzen
konnten. Nun theilt sich das Geschlecht der Menschen dar¬
nach, ob sie Muße haben oder nicht. Der Unfreie, sagt Aristo¬
teles, hat keine Muße; für ihn giebt es nur Arbeitszeit und
Arbeitspause. Auch für das unreife Alter ist sie nicht vor¬
handen. Erst der voll Entwickelte tritt in ihren Genuß ein,
wie der erwachsene Haussohn in den Besitz des Erbes. Sie
ist das höchste aller Güter, das wahre Leben, weil sie allein
freie Verfügung über Zeit und Kraft gestattet. Aber dieser
Schatz will verwaltet sein und dazu bedarf es einer Vorbil¬
dung. Der Muße muß ein würdiger Inhalt gegeben werden,
sonst geht der Mensch an ihrem Genuß zu Grunde. Das

Arbeit und Muße.

Kyros ſah nur die Schattenſeite, und es iſt unläugbar,
daß die Erwerbsluſt, welche keinen regelmäßigen Wechſel von
Arbeit und Muße, keine feſten Ziele und Zeiten hat wie der
Landbau, die ſittliche Geſundheit der Griechen frühzeitig an¬
gegriffen und ihren Stammcharakter weſentlich verändert hat.
Andererſeits beruht aber die ganze Vielſeitigkeit und Frucht¬
barkeit des Griechenthums darauf, daß es zwei verſchiedenen
Culturkreiſen angehört, und wir erkennen in ihm deutlich einen
doppelten Zug, den ariſchen Stolz, der jeden kaufmänniſchen
und induſtriellen Erwerb verachtete, und die den Phöniziern
abgelernte Betriebſamkeit, die in raſtloſer Geſchäftigkeit Alles
zu verwerthen ſuchte, was die Natur darbot oder ihr Fleiß
hervorbrachte.

Dieſer Gegenſatz hat eine wohlthätige Gährung erzeugt;
er hat Nachdenken und Anſtrengung hervorgerufen, und in
dem Beſtreben ihn richtig zu vermitteln ſind die Griechen über
die Einſeitigkeit der älteren Völker hinausgegangen, haben die
verſchiedenen Richtungen des Menſchenlebens zuerſt klar über¬
blickt und eine ihnen durchaus eigenthümliche Lebensordnung
aufgeſtellt.

Merkwürdig iſt, wie ſie dazu das Ausländiſche benutzten.

Von den Phöniziern haben ſie Menſchenraub und Menſchen¬
handel kennen gelernt. Dadurch wurde die Möglichkeit gege¬
ben, einen Stand heimathloſer Leute zuſammen zu bringen,
auf welchen die Landeskinder die Laſt der Tagesarbeit wälzen
konnten. Nun theilt ſich das Geſchlecht der Menſchen dar¬
nach, ob ſie Muße haben oder nicht. Der Unfreie, ſagt Ariſto¬
teles, hat keine Muße; für ihn giebt es nur Arbeitszeit und
Arbeitspauſe. Auch für das unreife Alter iſt ſie nicht vor¬
handen. Erſt der voll Entwickelte tritt in ihren Genuß ein,
wie der erwachſene Hausſohn in den Beſitz des Erbes. Sie
iſt das höchſte aller Güter, das wahre Leben, weil ſie allein
freie Verfügung über Zeit und Kraft geſtattet. Aber dieſer
Schatz will verwaltet ſein und dazu bedarf es einer Vorbil¬
dung. Der Muße muß ein würdiger Inhalt gegeben werden,
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[151/0167] Arbeit und Muße. Kyros ſah nur die Schattenſeite, und es iſt unläugbar, daß die Erwerbsluſt, welche keinen regelmäßigen Wechſel von Arbeit und Muße, keine feſten Ziele und Zeiten hat wie der Landbau, die ſittliche Geſundheit der Griechen frühzeitig an¬ gegriffen und ihren Stammcharakter weſentlich verändert hat. Andererſeits beruht aber die ganze Vielſeitigkeit und Frucht¬ barkeit des Griechenthums darauf, daß es zwei verſchiedenen Culturkreiſen angehört, und wir erkennen in ihm deutlich einen doppelten Zug, den ariſchen Stolz, der jeden kaufmänniſchen und induſtriellen Erwerb verachtete, und die den Phöniziern abgelernte Betriebſamkeit, die in raſtloſer Geſchäftigkeit Alles zu verwerthen ſuchte, was die Natur darbot oder ihr Fleiß hervorbrachte. Dieſer Gegenſatz hat eine wohlthätige Gährung erzeugt; er hat Nachdenken und Anſtrengung hervorgerufen, und in dem Beſtreben ihn richtig zu vermitteln ſind die Griechen über die Einſeitigkeit der älteren Völker hinausgegangen, haben die verſchiedenen Richtungen des Menſchenlebens zuerſt klar über¬ blickt und eine ihnen durchaus eigenthümliche Lebensordnung aufgeſtellt. Merkwürdig iſt, wie ſie dazu das Ausländiſche benutzten. Von den Phöniziern haben ſie Menſchenraub und Menſchen¬ handel kennen gelernt. Dadurch wurde die Möglichkeit gege¬ ben, einen Stand heimathloſer Leute zuſammen zu bringen, auf welchen die Landeskinder die Laſt der Tagesarbeit wälzen konnten. Nun theilt ſich das Geſchlecht der Menſchen dar¬ nach, ob ſie Muße haben oder nicht. Der Unfreie, ſagt Ariſto¬ teles, hat keine Muße; für ihn giebt es nur Arbeitszeit und Arbeitspauſe. Auch für das unreife Alter iſt ſie nicht vor¬ handen. Erſt der voll Entwickelte tritt in ihren Genuß ein, wie der erwachſene Hausſohn in den Beſitz des Erbes. Sie iſt das höchſte aller Güter, das wahre Leben, weil ſie allein freie Verfügung über Zeit und Kraft geſtattet. Aber dieſer Schatz will verwaltet ſein und dazu bedarf es einer Vorbil¬ dung. Der Muße muß ein würdiger Inhalt gegeben werden, ſonſt geht der Menſch an ihrem Genuß zu Grunde. Das

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Zitationshilfe: Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 151. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/167>, abgerufen am 15.05.2024.