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Darwin, Charles: Insectenfressende Pflanzen. Übers. v. Julius Victor Carus. Stuttgart, 1876.

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Dionaea muscipula. Cap. 13
Seiten gegen das Fleisch oder das Insect angedrückt werden, so ist
die Absonderung von Anfang an zweimal so bedeutend, als wenn ein
bischen Fleisch auf die Oberfläche eines Lappens gelegt wird; und
da die Lappen in beinahe ganz dichte Berührung kommen, so ver-
breitet sich die aufgelöste animale Substanz enthaltende Absonderung
durch Capillarattraction und veranlasst frische Drüsen auf beiden
Seiten in sich beständig erweiternden Kreisen zur Absonderung; das
Secret ist beinahe farblos, leicht schleimig, und nach der Art und
Weise, wie es Lackmuspapier färbte, zu urtheilen, stärker sauer als
das der Drosera. Es ist so reichlich, dasz bei einer Gelegenheit, wo
ein Blatt aufgeschnitten wurde, auf welches vor 45 Stunden ein
kleines Eiweiszwürfelchen gelegt worden war, Tropfen vom Blatt
herunterrollten. Bei einer andern Gelegenheit, wo ein Blatt, welches
ein Stückchen gerösteten Fleisches eingeschlossen hatte, sich nach
acht Tagen von selbst wieder öffnete, war so viel Secret in der
Furche über der Mittelrippe, dasz es herabtröpfelte. Eine grosze
zerdrückte Fliege (Tipula) wurde auf ein Blatt gelegt, aus welchem
ein kleines Stück an der Basis des einen Lappens vorher heraus-
geschnitten worden war, so dasz eine Öffnung blieb; und durch diese
lief das Secret neun Tage lang fortwährend den Blattstiel hinab, --
d. i. während der ganzen Zeit, so lange überhaupt das Blatt beob-
achtet wurde. Dadurch, dasz ich den einen Lappen gewaltsam auf-
hob, konnte ich eine Strecke weit zwischen ihnen hinsehn; und alle
Drüsen, die ich sehen konnte, sonderten reichlich ab.

Wir haben gesehen, dasz unorganische und nicht stickstoffhaltige
Körper auf die Blätter gelegt keine Bewegung anregen; aber stick-
stoffhaltige Körper, wenn sie nur im allergeringsten Grade feucht
sind, bewirken, dasz sich die Lappen nach mehreren Stunden lang-
sam schlieszen. So wurden Stückchen von vollständig trockenem
Fleisch und Gelatine auf die entgegengesetzten Ende eines und dessel-
ben Blattes gelegt und regten in 24 Stunden weder Absonderung
noch Bewegung an. Sie wurden dann in Wasser getaucht, ihre Ober-
fläche mit Löschpapier abgetrocknet, und sie dann auf dasselbe Blatt
zurückgebracht, während die Pflanze nun mit einer Glasglocke be-
deckt wurde. Nach 24 Stunden hatte das feuchte Fleisch etwas
saure Absonderung erregt und die Lappen waren an diesem Ende des
Blattes beinahe geschlossen. Am andern Ende, wo die feuchte Gela-
tine lag, war das Blatt noch immer vollständig offen, auch war keine

Dionaea muscipula. Cap. 13
Seiten gegen das Fleisch oder das Insect angedrückt werden, so ist
die Absonderung von Anfang an zweimal so bedeutend, als wenn ein
bischen Fleisch auf die Oberfläche eines Lappens gelegt wird; und
da die Lappen in beinahe ganz dichte Berührung kommen, so ver-
breitet sich die aufgelöste animale Substanz enthaltende Absonderung
durch Capillarattraction und veranlasst frische Drüsen auf beiden
Seiten in sich beständig erweiternden Kreisen zur Absonderung; das
Secret ist beinahe farblos, leicht schleimig, und nach der Art und
Weise, wie es Lackmuspapier färbte, zu urtheilen, stärker sauer als
das der Drosera. Es ist so reichlich, dasz bei einer Gelegenheit, wo
ein Blatt aufgeschnitten wurde, auf welches vor 45 Stunden ein
kleines Eiweiszwürfelchen gelegt worden war, Tropfen vom Blatt
herunterrollten. Bei einer andern Gelegenheit, wo ein Blatt, welches
ein Stückchen gerösteten Fleisches eingeschlossen hatte, sich nach
acht Tagen von selbst wieder öffnete, war so viel Secret in der
Furche über der Mittelrippe, dasz es herabtröpfelte. Eine grosze
zerdrückte Fliege (Tipula) wurde auf ein Blatt gelegt, aus welchem
ein kleines Stück an der Basis des einen Lappens vorher heraus-
geschnitten worden war, so dasz eine Öffnung blieb; und durch diese
lief das Secret neun Tage lang fortwährend den Blattstiel hinab, —
d. i. während der ganzen Zeit, so lange überhaupt das Blatt beob-
achtet wurde. Dadurch, dasz ich den einen Lappen gewaltsam auf-
hob, konnte ich eine Strecke weit zwischen ihnen hinsehn; und alle
Drüsen, die ich sehen konnte, sonderten reichlich ab.

Wir haben gesehen, dasz unorganische und nicht stickstoffhaltige
Körper auf die Blätter gelegt keine Bewegung anregen; aber stick-
stoffhaltige Körper, wenn sie nur im allergeringsten Grade feucht
sind, bewirken, dasz sich die Lappen nach mehreren Stunden lang-
sam schlieszen. So wurden Stückchen von vollständig trockenem
Fleisch und Gelatine auf die entgegengesetzten Ende eines und dessel-
ben Blattes gelegt und regten in 24 Stunden weder Absonderung
noch Bewegung an. Sie wurden dann in Wasser getaucht, ihre Ober-
fläche mit Löschpapier abgetrocknet, und sie dann auf dasselbe Blatt
zurückgebracht, während die Pflanze nun mit einer Glasglocke be-
deckt wurde. Nach 24 Stunden hatte das feuchte Fleisch etwas
saure Absonderung erregt und die Lappen waren an diesem Ende des
Blattes beinahe geschlossen. Am andern Ende, wo die feuchte Gela-
tine lag, war das Blatt noch immer vollständig offen, auch war keine

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[268/0282] Dionaea muscipula. Cap. 13 Seiten gegen das Fleisch oder das Insect angedrückt werden, so ist die Absonderung von Anfang an zweimal so bedeutend, als wenn ein bischen Fleisch auf die Oberfläche eines Lappens gelegt wird; und da die Lappen in beinahe ganz dichte Berührung kommen, so ver- breitet sich die aufgelöste animale Substanz enthaltende Absonderung durch Capillarattraction und veranlasst frische Drüsen auf beiden Seiten in sich beständig erweiternden Kreisen zur Absonderung; das Secret ist beinahe farblos, leicht schleimig, und nach der Art und Weise, wie es Lackmuspapier färbte, zu urtheilen, stärker sauer als das der Drosera. Es ist so reichlich, dasz bei einer Gelegenheit, wo ein Blatt aufgeschnitten wurde, auf welches vor 45 Stunden ein kleines Eiweiszwürfelchen gelegt worden war, Tropfen vom Blatt herunterrollten. Bei einer andern Gelegenheit, wo ein Blatt, welches ein Stückchen gerösteten Fleisches eingeschlossen hatte, sich nach acht Tagen von selbst wieder öffnete, war so viel Secret in der Furche über der Mittelrippe, dasz es herabtröpfelte. Eine grosze zerdrückte Fliege (Tipula) wurde auf ein Blatt gelegt, aus welchem ein kleines Stück an der Basis des einen Lappens vorher heraus- geschnitten worden war, so dasz eine Öffnung blieb; und durch diese lief das Secret neun Tage lang fortwährend den Blattstiel hinab, — d. i. während der ganzen Zeit, so lange überhaupt das Blatt beob- achtet wurde. Dadurch, dasz ich den einen Lappen gewaltsam auf- hob, konnte ich eine Strecke weit zwischen ihnen hinsehn; und alle Drüsen, die ich sehen konnte, sonderten reichlich ab. Wir haben gesehen, dasz unorganische und nicht stickstoffhaltige Körper auf die Blätter gelegt keine Bewegung anregen; aber stick- stoffhaltige Körper, wenn sie nur im allergeringsten Grade feucht sind, bewirken, dasz sich die Lappen nach mehreren Stunden lang- sam schlieszen. So wurden Stückchen von vollständig trockenem Fleisch und Gelatine auf die entgegengesetzten Ende eines und dessel- ben Blattes gelegt und regten in 24 Stunden weder Absonderung noch Bewegung an. Sie wurden dann in Wasser getaucht, ihre Ober- fläche mit Löschpapier abgetrocknet, und sie dann auf dasselbe Blatt zurückgebracht, während die Pflanze nun mit einer Glasglocke be- deckt wurde. Nach 24 Stunden hatte das feuchte Fleisch etwas saure Absonderung erregt und die Lappen waren an diesem Ende des Blattes beinahe geschlossen. Am andern Ende, wo die feuchte Gela- tine lag, war das Blatt noch immer vollständig offen, auch war keine

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Zitationshilfe: Darwin, Charles: Insectenfressende Pflanzen. Übers. v. Julius Victor Carus. Stuttgart, 1876, S. 268. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/darwin_pflanzen_1876/282>, abgerufen am 14.05.2024.