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Daumer, Georg Friedrich: Die dreifache Krone Rom's. Münster, 1859.

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Menschen geht auch endlich das besänftigende und beseli-
gende Verständniß des Positiven im Geistprincip auf, wel-
ches die Natur nicht bloß verneint, sondern in sich erhebt
und auf diese Weise zugleich auch bewahrt und bejaht; und
in dem Grade, daß der Mensch gebildet ist, hört der Geist
auf, ein Schreckniß und Ungeheuer, ein Sivas und Ly-
keios, ein fürchterlicher Feuer- und Wolfgott zu sein, und
fängt er an, die holdselige Gestalt des Gottes anzunehmen,
der sich an unblutigen Opfern erfreut, durch sein liebliches
Saitenspiel Mauern baut und Sitten bildet und auf der
Hand die Symbole der Anmuth, die Grazien trägt. Die
reine, vollendete Herausbildung dieser Seite jedoch ist das
Schwierigste und Letzte im Reiche menschlicher Entwick-
lungen, die Krone und der Abschluß der Cultur, wozu
es nur nach unendlichen Mühen und Kämpfen mit theils
sinnlichen Rohheiten, theils spirituellen Barbarismen kommt,
was denn auch der griechische Mythus besagt, wenn er die
Geburt des schönen, hellenischen Gottes als eine so sehr
erschwerte und gefährdete beschreibt. *) Die Griechen wa-
ren das Volk, das in dieser Hinsicht das Höchste erreicht
hat, was in vorchristlicher Zeit und Welt zu erreichen
war -- das ist ihre große Stellung, ihr ewiger Ruhm
und Glanz in der Weltgeschichte.


*) "Mit der Zeit ward Apollon geboren" sagt Pindar, auf die vielen Hinder-
nisse und Verzögerungen deutend, die sich seiner Geburt entgegenstellten. Die
Mutter Leto irrt in qualvoller Geburtsangst lange über Erde und Meer,
bis sie auf die steinige Insel gelangt, welche, wie Pindar sagt, die
Sterblichen Delos, die Seligen im Olymp aber "das weitberühmte
Gestirn der dunklen Erde
" nennen. Auch diese Insel ward der
Sage nach erst von Winden und Wellen unstät umhergetrieben, bis sie
festen Bestand erlangte. Damit ist wohl ausgedrückt, daß auch der helle-
nische Apollocult, wie er sich in Delos gestaltete, lange schwankte, bis er
zu definitiver Anerkennung und Festigkeit gedieh.

Menſchen geht auch endlich das beſänftigende und beſeli-
gende Verſtändniß des Poſitiven im Geiſtprincip auf, wel-
ches die Natur nicht bloß verneint, ſondern in ſich erhebt
und auf dieſe Weiſe zugleich auch bewahrt und bejaht; und
in dem Grade, daß der Menſch gebildet iſt, hört der Geiſt
auf, ein Schreckniß und Ungeheuer, ein Sivas und Ly-
keios, ein fürchterlicher Feuer- und Wolfgott zu ſein, und
fängt er an, die holdſelige Geſtalt des Gottes anzunehmen,
der ſich an unblutigen Opfern erfreut, durch ſein liebliches
Saitenſpiel Mauern baut und Sitten bildet und auf der
Hand die Symbole der Anmuth, die Grazien trägt. Die
reine, vollendete Herausbildung dieſer Seite jedoch iſt das
Schwierigſte und Letzte im Reiche menſchlicher Entwick-
lungen, die Krone und der Abſchluß der Cultur, wozu
es nur nach unendlichen Mühen und Kämpfen mit theils
ſinnlichen Rohheiten, theils ſpirituellen Barbarismen kommt,
was denn auch der griechiſche Mythus beſagt, wenn er die
Geburt des ſchönen, helleniſchen Gottes als eine ſo ſehr
erſchwerte und gefährdete beſchreibt. *) Die Griechen wa-
ren das Volk, das in dieſer Hinſicht das Höchſte erreicht
hat, was in vorchriſtlicher Zeit und Welt zu erreichen
war — das iſt ihre große Stellung, ihr ewiger Ruhm
und Glanz in der Weltgeſchichte.


*) „Mit der Zeit ward Apollon geboren“ ſagt Pindar, auf die vielen Hinder-
niſſe und Verzögerungen deutend, die ſich ſeiner Geburt entgegenſtellten. Die
Mutter Leto irrt in qualvoller Geburtsangſt lange über Erde und Meer,
bis ſie auf die ſteinige Inſel gelangt, welche, wie Pindar ſagt, die
Sterblichen Delos, die Seligen im Olymp aber „das weitberühmte
Geſtirn der dunklen Erde
“ nennen. Auch dieſe Inſel ward der
Sage nach erſt von Winden und Wellen unſtät umhergetrieben, bis ſie
feſten Beſtand erlangte. Damit iſt wohl ausgedrückt, daß auch der helle-
niſche Apollocult, wie er ſich in Delos geſtaltete, lange ſchwankte, bis er
zu definitiver Anerkennung und Feſtigkeit gedieh.
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[100/0122] Menſchen geht auch endlich das beſänftigende und beſeli- gende Verſtändniß des Poſitiven im Geiſtprincip auf, wel- ches die Natur nicht bloß verneint, ſondern in ſich erhebt und auf dieſe Weiſe zugleich auch bewahrt und bejaht; und in dem Grade, daß der Menſch gebildet iſt, hört der Geiſt auf, ein Schreckniß und Ungeheuer, ein Sivas und Ly- keios, ein fürchterlicher Feuer- und Wolfgott zu ſein, und fängt er an, die holdſelige Geſtalt des Gottes anzunehmen, der ſich an unblutigen Opfern erfreut, durch ſein liebliches Saitenſpiel Mauern baut und Sitten bildet und auf der Hand die Symbole der Anmuth, die Grazien trägt. Die reine, vollendete Herausbildung dieſer Seite jedoch iſt das Schwierigſte und Letzte im Reiche menſchlicher Entwick- lungen, die Krone und der Abſchluß der Cultur, wozu es nur nach unendlichen Mühen und Kämpfen mit theils ſinnlichen Rohheiten, theils ſpirituellen Barbarismen kommt, was denn auch der griechiſche Mythus beſagt, wenn er die Geburt des ſchönen, helleniſchen Gottes als eine ſo ſehr erſchwerte und gefährdete beſchreibt. *) Die Griechen wa- ren das Volk, das in dieſer Hinſicht das Höchſte erreicht hat, was in vorchriſtlicher Zeit und Welt zu erreichen war — das iſt ihre große Stellung, ihr ewiger Ruhm und Glanz in der Weltgeſchichte. *) „Mit der Zeit ward Apollon geboren“ ſagt Pindar, auf die vielen Hinder- niſſe und Verzögerungen deutend, die ſich ſeiner Geburt entgegenſtellten. Die Mutter Leto irrt in qualvoller Geburtsangſt lange über Erde und Meer, bis ſie auf die ſteinige Inſel gelangt, welche, wie Pindar ſagt, die Sterblichen Delos, die Seligen im Olymp aber „das weitberühmte Geſtirn der dunklen Erde“ nennen. Auch dieſe Inſel ward der Sage nach erſt von Winden und Wellen unſtät umhergetrieben, bis ſie feſten Beſtand erlangte. Damit iſt wohl ausgedrückt, daß auch der helle- niſche Apollocult, wie er ſich in Delos geſtaltete, lange ſchwankte, bis er zu definitiver Anerkennung und Feſtigkeit gedieh.

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Zitationshilfe: Daumer, Georg Friedrich: Die dreifache Krone Rom's. Münster, 1859, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/daumer_krone_1859/122>, abgerufen am 26.04.2024.