Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Diesterweg, Adolph: Über das Verderben auf den deutschen Universitäten. Essen, 1836.

Bild:
<< vorherige Seite

sich in wilder Kraft zu jenen Thieren, die gemeinschaftlich
kämpften mit Allem, was nicht in dem Walde war, und sich
auch unter einander zerrissen. Mancher blieb in dem Walde;
wer wieder herauskam, war zottiger und wilder geworden.
Aber das wilde Leben hatte seine Kraft gestählt und er war
ein Mann geworden, dem die spätere Politur die Mannhaf-
tigkeit nicht mehr zu rauben vermochte. Jetzt ist der Wald
ausgehauen, alle Höhen sind geebnet, alles Hervorstehende,
Characteristische ist nivellirt, die Quellen und Bäche sind zu
Sümpfen geworden, die Bewohner der sumpfigen Flächen ath-
men erquickende Dünste und nichts mangelt ihnen so sehr als
die Eigenschaften kräftiger Männer.

So waren die Universitäten, so sind sie jetzt.


Bemerkung. Ich habe oben keinmal ausdrücklich mit
einem Worte der Religion gedacht. Gehört nicht auch sie in
die Reihe der unentbehrlichsten, nothwendigsten Bildungsmittel,
ist sie nicht auch das erste für die akademische Jugend?
Sicher und gewiß, so gewiß, als sie die Wurzel und die Blü-
the alles wahren Lebens ist. Dieses ist fürwahr ein schmerz-
licher Gedanke, wenn wir an die Oede und Leere, welche in
dieser Beziehung in der Regel unter den Studenten herrscht,
denken. Sieht es nicht so aus, als wäre die Religion, das
Christenthum, die Kirche gar nicht für sie da? Erkennt man
aus dem Streben und Leben der meisten, daß sie den Geist
wahrer Religiösität in sich empfangen und fortgebildet haben?
-- Doch, wir wollen nicht ungerecht sein; es ist Manches im
Innern verborgen, was nicht äußerlich in Mienen und Ge-
berden erscheint; auch suchen wir nicht die Religiösität in Aeu-
ßerem, und wir wissen es, die Form und die Aeußerung der-

ſich in wilder Kraft zu jenen Thieren, die gemeinſchaftlich
kaͤmpften mit Allem, was nicht in dem Walde war, und ſich
auch unter einander zerriſſen. Mancher blieb in dem Walde;
wer wieder herauskam, war zottiger und wilder geworden.
Aber das wilde Leben hatte ſeine Kraft geſtaͤhlt und er war
ein Mann geworden, dem die ſpaͤtere Politur die Mannhaf-
tigkeit nicht mehr zu rauben vermochte. Jetzt iſt der Wald
ausgehauen, alle Hoͤhen ſind geebnet, alles Hervorſtehende,
Characteriſtiſche iſt nivellirt, die Quellen und Baͤche ſind zu
Suͤmpfen geworden, die Bewohner der ſumpfigen Flaͤchen ath-
men erquickende Duͤnſte und nichts mangelt ihnen ſo ſehr als
die Eigenſchaften kraͤftiger Maͤnner.

So waren die Univerſitaͤten, ſo ſind ſie jetzt.


Bemerkung. Ich habe oben keinmal ausdruͤcklich mit
einem Worte der Religion gedacht. Gehoͤrt nicht auch ſie in
die Reihe der unentbehrlichſten, nothwendigſten Bildungsmittel,
iſt ſie nicht auch das erſte fuͤr die akademiſche Jugend?
Sicher und gewiß, ſo gewiß, als ſie die Wurzel und die Bluͤ-
the alles wahren Lebens iſt. Dieſes iſt fuͤrwahr ein ſchmerz-
licher Gedanke, wenn wir an die Oede und Leere, welche in
dieſer Beziehung in der Regel unter den Studenten herrſcht,
denken. Sieht es nicht ſo aus, als waͤre die Religion, das
Chriſtenthum, die Kirche gar nicht fuͤr ſie da? Erkennt man
aus dem Streben und Leben der meiſten, daß ſie den Geiſt
wahrer Religioͤſitaͤt in ſich empfangen und fortgebildet haben?
— Doch, wir wollen nicht ungerecht ſein; es iſt Manches im
Innern verborgen, was nicht aͤußerlich in Mienen und Ge-
berden erſcheint; auch ſuchen wir nicht die Religioͤſitaͤt in Aeu-
ßerem, und wir wiſſen es, die Form und die Aeußerung der-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0089" n="71"/>
&#x017F;ich in wilder Kraft zu jenen Thieren, die gemein&#x017F;chaftlich<lb/>
ka&#x0364;mpften mit Allem, was nicht in dem Walde war, und &#x017F;ich<lb/>
auch unter einander zerri&#x017F;&#x017F;en. Mancher blieb in dem Walde;<lb/>
wer wieder herauskam, war zottiger und wilder geworden.<lb/>
Aber das wilde Leben hatte &#x017F;eine Kraft ge&#x017F;ta&#x0364;hlt und er war<lb/>
ein Mann geworden, dem die &#x017F;pa&#x0364;tere Politur die Mannhaf-<lb/>
tigkeit nicht mehr zu rauben vermochte. Jetzt i&#x017F;t der Wald<lb/>
ausgehauen, alle Ho&#x0364;hen &#x017F;ind geebnet, alles Hervor&#x017F;tehende,<lb/>
Characteri&#x017F;ti&#x017F;che i&#x017F;t nivellirt, die Quellen und Ba&#x0364;che &#x017F;ind zu<lb/>
Su&#x0364;mpfen geworden, die Bewohner der &#x017F;umpfigen Fla&#x0364;chen ath-<lb/>
men erquickende Du&#x0364;n&#x017F;te und nichts mangelt ihnen &#x017F;o &#x017F;ehr als<lb/>
die Eigen&#x017F;chaften kra&#x0364;ftiger Ma&#x0364;nner.</p><lb/>
          <p>So waren die Univer&#x017F;ita&#x0364;ten, &#x017F;o &#x017F;ind &#x017F;ie jetzt.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <p><hi rendition="#g">Bemerkung</hi>. Ich habe oben keinmal ausdru&#x0364;cklich mit<lb/>
einem Worte der Religion gedacht. Geho&#x0364;rt nicht auch &#x017F;ie in<lb/>
die Reihe der unentbehrlich&#x017F;ten, nothwendig&#x017F;ten Bildungsmittel,<lb/>
i&#x017F;t &#x017F;ie nicht auch das er&#x017F;te fu&#x0364;r die <hi rendition="#g">akademi&#x017F;che</hi> Jugend?<lb/>
Sicher und gewiß, &#x017F;o gewiß, als &#x017F;ie die Wurzel und die Blu&#x0364;-<lb/>
the alles wahren Lebens i&#x017F;t. Die&#x017F;es i&#x017F;t fu&#x0364;rwahr ein &#x017F;chmerz-<lb/>
licher Gedanke, wenn wir an die Oede und Leere, welche in<lb/>
die&#x017F;er Beziehung in der Regel unter den Studenten herr&#x017F;cht,<lb/>
denken. Sieht es nicht &#x017F;o aus, als wa&#x0364;re die Religion, das<lb/>
Chri&#x017F;tenthum, die Kirche gar nicht fu&#x0364;r &#x017F;ie da? Erkennt man<lb/>
aus dem Streben und Leben der mei&#x017F;ten, daß &#x017F;ie den Gei&#x017F;t<lb/>
wahrer Religio&#x0364;&#x017F;ita&#x0364;t in &#x017F;ich empfangen und fortgebildet haben?<lb/>
&#x2014; Doch, wir wollen nicht ungerecht &#x017F;ein; es i&#x017F;t Manches im<lb/>
Innern verborgen, was nicht a&#x0364;ußerlich in Mienen und Ge-<lb/>
berden er&#x017F;cheint; auch &#x017F;uchen wir nicht die Religio&#x0364;&#x017F;ita&#x0364;t in Aeu-<lb/>
ßerem, und wir wi&#x017F;&#x017F;en es, die Form und die Aeußerung der-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[71/0089] ſich in wilder Kraft zu jenen Thieren, die gemeinſchaftlich kaͤmpften mit Allem, was nicht in dem Walde war, und ſich auch unter einander zerriſſen. Mancher blieb in dem Walde; wer wieder herauskam, war zottiger und wilder geworden. Aber das wilde Leben hatte ſeine Kraft geſtaͤhlt und er war ein Mann geworden, dem die ſpaͤtere Politur die Mannhaf- tigkeit nicht mehr zu rauben vermochte. Jetzt iſt der Wald ausgehauen, alle Hoͤhen ſind geebnet, alles Hervorſtehende, Characteriſtiſche iſt nivellirt, die Quellen und Baͤche ſind zu Suͤmpfen geworden, die Bewohner der ſumpfigen Flaͤchen ath- men erquickende Duͤnſte und nichts mangelt ihnen ſo ſehr als die Eigenſchaften kraͤftiger Maͤnner. So waren die Univerſitaͤten, ſo ſind ſie jetzt. Bemerkung. Ich habe oben keinmal ausdruͤcklich mit einem Worte der Religion gedacht. Gehoͤrt nicht auch ſie in die Reihe der unentbehrlichſten, nothwendigſten Bildungsmittel, iſt ſie nicht auch das erſte fuͤr die akademiſche Jugend? Sicher und gewiß, ſo gewiß, als ſie die Wurzel und die Bluͤ- the alles wahren Lebens iſt. Dieſes iſt fuͤrwahr ein ſchmerz- licher Gedanke, wenn wir an die Oede und Leere, welche in dieſer Beziehung in der Regel unter den Studenten herrſcht, denken. Sieht es nicht ſo aus, als waͤre die Religion, das Chriſtenthum, die Kirche gar nicht fuͤr ſie da? Erkennt man aus dem Streben und Leben der meiſten, daß ſie den Geiſt wahrer Religioͤſitaͤt in ſich empfangen und fortgebildet haben? — Doch, wir wollen nicht ungerecht ſein; es iſt Manches im Innern verborgen, was nicht aͤußerlich in Mienen und Ge- berden erſcheint; auch ſuchen wir nicht die Religioͤſitaͤt in Aeu- ßerem, und wir wiſſen es, die Form und die Aeußerung der-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/diesterweg_universitaeten_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/diesterweg_universitaeten_1836/89
Zitationshilfe: Diesterweg, Adolph: Über das Verderben auf den deutschen Universitäten. Essen, 1836, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/diesterweg_universitaeten_1836/89>, abgerufen am 13.05.2024.