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Consentius, Ernst: Meister Johann Dietz erzählt sein Leben. Nach der alten Handschrift in der Königlichen Bibliothek zu Berlin. Ebenhausen, 1915.

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geleitet, mit einer güldenen Kette umb den Hals. Hinter und vor ihm sprangen allerhand verkleidete, nackete mit Leinwand bemalete Indianer, Mohren, Türken und Courtisanen her, welche vor dem großen Getümmel des Volks Platz machten, hinter ihm zog die Schützenkompagnie und sechs Stück mit ihren Konstables. War schön anzusehen. Das beste vor mich war, daß ich etliche, große Butterpretzeln, welche sie ohn Zweifel verschüttet hatten, fand. Ich war ihr' bedürftig, weil ich hungrig geworden. Ich satzte mich hin, ließ mir Bier geben, sahe lange zu und konnte die Mahlzeit ersparen bis abends.

Ich legte mich in ein Wirtshaus an'n Markt, ließ mir eine eigene Stube geben und speisete da. Drei Tage besahe ich die Stadt und den Schiffhafen, die Häuser wohl und das Frauenszimmer, welches schön und Tücher überm Kopf träget, wie in Hamburg, so sie noch schöner machet und artig stellet, sonderlich wann ihr lispelnde, artige Rede dazukombt. Summa: es gefiel mir sehr wohl. - Ich kaufte alles zum neuen Kleide und ließ mir's ordentlich einpacken.

Damit machte ich mich wieder auf die pedes, ohne daß ich Fuhrn genug haben konnte. Aber ich wollte das Geld sparen und war schier umb alles, etliche dreißig Thaller, und umbs Leben gekommen. So gehts, wenn man so gar genau will sein!

Ich hatte im Ausgehen des rechten Weges gefehlet und war zu weit auf die rechte Hand in'n Plönischen Wald gekommen. Und weil ich keinen Menschen auf diesem öden Weg antraf, den ich fragen konnte, ging ich immer so fort den ganzen Tag. Vermeinete, ein Dorf anzutreffen. Aber nein. Es wurd finster. Ich war müde und erschröcklich durstig, konnte aber kein Wasser erlangen. (NB. Da habe ich auch erfahren, was Durst vor eine erschröckliche Pein ist.) Ich aß das Laub von'n Bäumen - aber es wollte nicht helfen. Bald fiel ich dahin vor

geleitet, mit einer güldenen Kette umb den Hals. Hinter und vor ihm sprangen allerhand verkleidete, nackete mit Leinwand bemalete Indianer, Mohren, Türken und Courtisanen her, welche vor dem großen Getümmel des Volks Platz machten, hinter ihm zog die Schützenkompagnie und sechs Stück mit ihren Konstables. War schön anzusehen. Das beste vor mich war, daß ich etliche, große Butterpretzeln, welche sie ohn Zweifel verschüttet hatten, fand. Ich war ihr’ bedürftig, weil ich hungrig geworden. Ich satzte mich hin, ließ mir Bier geben, sahe lange zu und konnte die Mahlzeit ersparen bis abends.

Ich legte mich in ein Wirtshaus an’n Markt, ließ mir eine eigene Stube geben und speisete da. Drei Tage besahe ich die Stadt und den Schiffhafen, die Häuser wohl und das Frauenszimmer, welches schön und Tücher überm Kopf träget, wie in Hamburg, so sie noch schöner machet und artig stellet, sonderlich wann ihr lispelnde, artige Rede dazukombt. Summa: es gefiel mir sehr wohl. – Ich kaufte alles zum neuen Kleide und ließ mir’s ordentlich einpacken.

Damit machte ich mich wieder auf die pedes, ohne daß ich Fuhrn genug haben konnte. Aber ich wollte das Geld sparen und war schier umb alles, etliche dreißig Thaller, und umbs Leben gekommen. So gehts, wenn man so gar genau will sein!

Ich hatte im Ausgehen des rechten Weges gefehlet und war zu weit auf die rechte Hand in’n Plönischen Wald gekommen. Und weil ich keinen Menschen auf diesem öden Weg antraf, den ich fragen konnte, ging ich immer so fort den ganzen Tag. Vermeinete, ein Dorf anzutreffen. Aber nein. Es wurd finster. Ich war müde und erschröcklich durstig, konnte aber kein Wasser erlangen. (NB. Da habe ich auch erfahren, was Durst vor eine erschröckliche Pein ist.) Ich aß das Laub von’n Bäumen – aber es wollte nicht helfen. Bald fiel ich dahin vor

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[0115] geleitet, mit einer güldenen Kette umb den Hals. Hinter und vor ihm sprangen allerhand verkleidete, nackete mit Leinwand bemalete Indianer, Mohren, Türken und Courtisanen her, welche vor dem großen Getümmel des Volks Platz machten, hinter ihm zog die Schützenkompagnie und sechs Stück mit ihren Konstables. War schön anzusehen. Das beste vor mich war, daß ich etliche, große Butterpretzeln, welche sie ohn Zweifel verschüttet hatten, fand. Ich war ihr’ bedürftig, weil ich hungrig geworden. Ich satzte mich hin, ließ mir Bier geben, sahe lange zu und konnte die Mahlzeit ersparen bis abends. Ich legte mich in ein Wirtshaus an’n Markt, ließ mir eine eigene Stube geben und speisete da. Drei Tage besahe ich die Stadt und den Schiffhafen, die Häuser wohl und das Frauenszimmer, welches schön und Tücher überm Kopf träget, wie in Hamburg, so sie noch schöner machet und artig stellet, sonderlich wann ihr lispelnde, artige Rede dazukombt. Summa: es gefiel mir sehr wohl. – Ich kaufte alles zum neuen Kleide und ließ mir’s ordentlich einpacken. Damit machte ich mich wieder auf die pedes, ohne daß ich Fuhrn genug haben konnte. Aber ich wollte das Geld sparen und war schier umb alles, etliche dreißig Thaller, und umbs Leben gekommen. So gehts, wenn man so gar genau will sein! Ich hatte im Ausgehen des rechten Weges gefehlet und war zu weit auf die rechte Hand in’n Plönischen Wald gekommen. Und weil ich keinen Menschen auf diesem öden Weg antraf, den ich fragen konnte, ging ich immer so fort den ganzen Tag. Vermeinete, ein Dorf anzutreffen. Aber nein. Es wurd finster. Ich war müde und erschröcklich durstig, konnte aber kein Wasser erlangen. (NB. Da habe ich auch erfahren, was Durst vor eine erschröckliche Pein ist.) Ich aß das Laub von’n Bäumen – aber es wollte nicht helfen. Bald fiel ich dahin vor

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Zitationshilfe: Consentius, Ernst: Meister Johann Dietz erzählt sein Leben. Nach der alten Handschrift in der Königlichen Bibliothek zu Berlin. Ebenhausen, 1915, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dietz_leben_1915/115>, abgerufen am 26.04.2024.