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Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883.

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Der Schluß des Aristoteles auf die Gottheit.
für Alle das Beste;" derselbe "bewegt wie etwas, das geliebt
wird 1)." -- Dieser Seite der Beweisführung des Monotheismus
gehört die bei Cicero erhaltene erhabene Darstellung an. Der Ge-
danke des Anaxagoras ist hier von Aristoteles zu dem umfassenden
Beweis des Daseins Gottes aus der Zweckmäßigkeit der Welt ent-
faltet, und das ganze System des Aristoteles kann ja schließlich
zu einem solchen Beweis zusammengeordnet werden. "Man denke
sich Menschen von jeher unter der Erde wohnen in guten und
hellen Häusern, welche mit Bildsäulen und Gemälden ausgeziert
und mit allen Dingen versehen wären, an denen die Ueberfluß
haben, welche für glücklich gehalten werden. Aber sie wären
niemals an die Oberfläche der Erde heraufgekommen, hätten nur
durch eine dunkle Sage vernommen, eine Gottheit existire und
Macht der Götter. Thäte sich nun diesen Menschen einmal die
Erde auf, vermöchten sie dann aus ihren verborgenen Sitzen zu den
von uns bewohnten Orten emporzusteigen und nun hinauszu-
treten; sähen sie dann plötzlich die Erde, die Meere und den
Himmel, nähmen die Wolkenmassen wahr und die Gewalt der
Winde; blickten zur Sonne auf, erkännten ihre Größe und Schön-
heit und auch ihre Wirkung, daß sie es ist, welche den Tag schafft,
indem sie ihr Licht über den ganzen Himmel ergießt; erblickten
dann, nachdem Nacht die Erde beschattete, den ganzen Himmel mit
Sternen besetzt und geschmückt und betrachteten das wechselnde
Mondlicht in seinem Wachsen und Schwinden, aller dieser Himmels-
körper Auf- und Untergang und ihre ewigen, unveränderlichen
Bahnen: dann würden sie gewiß überzeugt sein, daß Götter
existiren, und diese gewaltigen Werke von Göttern ausgehen 2)."
Auch diese dichterische Darstellung sucht in der Schönheit und
Gedankenmäßigkeit der Bahnen der Himmelskörper eine Stütze für
den Monotheismus.


Begriffe und des Mittelglieds des astronomischen Thatbestandes giebt Simplic.
zu de caelo Schol. p. 487 a 6 die Beweisführung, welche auf das Vollkommenste
zurückgeht.
1) Arist. de caelo II, 12 p. 292 b 18 Metaph. XII, 7 p. 1072 b 3.
2) Cicero de natura deorum II, 37, 95.

Der Schluß des Ariſtoteles auf die Gottheit.
für Alle das Beſte;“ derſelbe „bewegt wie etwas, das geliebt
wird 1).“ — Dieſer Seite der Beweisführung des Monotheismus
gehört die bei Cicero erhaltene erhabene Darſtellung an. Der Ge-
danke des Anaxagoras iſt hier von Ariſtoteles zu dem umfaſſenden
Beweis des Daſeins Gottes aus der Zweckmäßigkeit der Welt ent-
faltet, und das ganze Syſtem des Ariſtoteles kann ja ſchließlich
zu einem ſolchen Beweis zuſammengeordnet werden. „Man denke
ſich Menſchen von jeher unter der Erde wohnen in guten und
hellen Häuſern, welche mit Bildſäulen und Gemälden ausgeziert
und mit allen Dingen verſehen wären, an denen die Ueberfluß
haben, welche für glücklich gehalten werden. Aber ſie wären
niemals an die Oberfläche der Erde heraufgekommen, hätten nur
durch eine dunkle Sage vernommen, eine Gottheit exiſtire und
Macht der Götter. Thäte ſich nun dieſen Menſchen einmal die
Erde auf, vermöchten ſie dann aus ihren verborgenen Sitzen zu den
von uns bewohnten Orten emporzuſteigen und nun hinauszu-
treten; ſähen ſie dann plötzlich die Erde, die Meere und den
Himmel, nähmen die Wolkenmaſſen wahr und die Gewalt der
Winde; blickten zur Sonne auf, erkännten ihre Größe und Schön-
heit und auch ihre Wirkung, daß ſie es iſt, welche den Tag ſchafft,
indem ſie ihr Licht über den ganzen Himmel ergießt; erblickten
dann, nachdem Nacht die Erde beſchattete, den ganzen Himmel mit
Sternen beſetzt und geſchmückt und betrachteten das wechſelnde
Mondlicht in ſeinem Wachſen und Schwinden, aller dieſer Himmels-
körper Auf- und Untergang und ihre ewigen, unveränderlichen
Bahnen: dann würden ſie gewiß überzeugt ſein, daß Götter
exiſtiren, und dieſe gewaltigen Werke von Göttern ausgehen 2).“
Auch dieſe dichteriſche Darſtellung ſucht in der Schönheit und
Gedankenmäßigkeit der Bahnen der Himmelskörper eine Stütze für
den Monotheismus.


Begriffe und des Mittelglieds des aſtronomiſchen Thatbeſtandes giebt Simplic.
zu de caelo Schol. p. 487 a 6 die Beweisführung, welche auf das Vollkommenſte
zurückgeht.
1) Ariſt. de caelo II, 12 p. 292 b 18 Metaph. XII, 7 p. 1072 b 3.
2) Cicero de natura deorum II, 37, 95.
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[269/0292] Der Schluß des Ariſtoteles auf die Gottheit. für Alle das Beſte;“ derſelbe „bewegt wie etwas, das geliebt wird 1).“ — Dieſer Seite der Beweisführung des Monotheismus gehört die bei Cicero erhaltene erhabene Darſtellung an. Der Ge- danke des Anaxagoras iſt hier von Ariſtoteles zu dem umfaſſenden Beweis des Daſeins Gottes aus der Zweckmäßigkeit der Welt ent- faltet, und das ganze Syſtem des Ariſtoteles kann ja ſchließlich zu einem ſolchen Beweis zuſammengeordnet werden. „Man denke ſich Menſchen von jeher unter der Erde wohnen in guten und hellen Häuſern, welche mit Bildſäulen und Gemälden ausgeziert und mit allen Dingen verſehen wären, an denen die Ueberfluß haben, welche für glücklich gehalten werden. Aber ſie wären niemals an die Oberfläche der Erde heraufgekommen, hätten nur durch eine dunkle Sage vernommen, eine Gottheit exiſtire und Macht der Götter. Thäte ſich nun dieſen Menſchen einmal die Erde auf, vermöchten ſie dann aus ihren verborgenen Sitzen zu den von uns bewohnten Orten emporzuſteigen und nun hinauszu- treten; ſähen ſie dann plötzlich die Erde, die Meere und den Himmel, nähmen die Wolkenmaſſen wahr und die Gewalt der Winde; blickten zur Sonne auf, erkännten ihre Größe und Schön- heit und auch ihre Wirkung, daß ſie es iſt, welche den Tag ſchafft, indem ſie ihr Licht über den ganzen Himmel ergießt; erblickten dann, nachdem Nacht die Erde beſchattete, den ganzen Himmel mit Sternen beſetzt und geſchmückt und betrachteten das wechſelnde Mondlicht in ſeinem Wachſen und Schwinden, aller dieſer Himmels- körper Auf- und Untergang und ihre ewigen, unveränderlichen Bahnen: dann würden ſie gewiß überzeugt ſein, daß Götter exiſtiren, und dieſe gewaltigen Werke von Göttern ausgehen 2).“ Auch dieſe dichteriſche Darſtellung ſucht in der Schönheit und Gedankenmäßigkeit der Bahnen der Himmelskörper eine Stütze für den Monotheismus. 2) 1) Ariſt. de caelo II, 12 p. 292 b 18 Metaph. XII, 7 p. 1072 b 3. 2) Cicero de natura deorum II, 37, 95. 2) Begriffe und des Mittelglieds des aſtronomiſchen Thatbeſtandes giebt Simplic. zu de caelo Schol. p. 487 a 6 die Beweisführung, welche auf das Vollkommenſte zurückgeht.

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Zitationshilfe: Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883, S. 269. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dilthey_geisteswissenschaften_1883/292>, abgerufen am 29.04.2024.