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Dronke, Ernst: Polizei-Geschichten. Leipzig, 1846.

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Die Sünderin.
die Spottreden und gemeinen Späße derselben über sich
ergehn. Sie betete im Stillen heiß um ihren baldigen
Tod. Zu welchem Leben war sie auch jetzt berufen ?
Der Tod war ihre einzige Rettung.

Nach sechs Wochen wurde sie aus der Anstalt ent¬
lassen, nachdem man ihr bemerkt, daß sie sich binnen
drei Tagen aus der Stadt zu entfernen habe.

Sie nahm ihr Kind in den Arm und rannte hinaus,
ohne zu wissen wohin. Draußen vor der Thür standen
mehrere Weiber, die sie anredeten und ihr Anerbietungen
machten, aber sie stieß sie zurück und eilte, wie von
Furien gepeitscht, von dannen. Den Tag über durchirrte
sie so, ruhelos, ohne Zweck die Stadt, bis sie am Abend
endlich erschöpft und ermattet an einer Hausschwelle nie¬
dersank.

Die Nacht war bitterlich kalt, die Sterne zitterten
in der scharfen Luft, und ein schneidender Wind fegte
über die öden Gassen. Das Mädchen saß zusammen¬
gekauert auf den kalten Steinen, ohne sich zu rühren.
Auch das Kind war merkwürdig still. Sie hielt es auf
dem Schooß und hatte wie zum Schutz ihre Arme dar¬
über gebreitet, in die Arme wieder hatte sie ihren Kopf
vergraben. Mehrere Vorübergehende, dicht in ihre Män¬

Die Suͤnderin.
die Spottreden und gemeinen Spaͤße derſelben uͤber ſich
ergehn. Sie betete im Stillen heiß um ihren baldigen
Tod. Zu welchem Leben war ſie auch jetzt berufen ?
Der Tod war ihre einzige Rettung.

Nach ſechs Wochen wurde ſie aus der Anſtalt ent¬
laſſen, nachdem man ihr bemerkt, daß ſie ſich binnen
drei Tagen aus der Stadt zu entfernen habe.

Sie nahm ihr Kind in den Arm und rannte hinaus,
ohne zu wiſſen wohin. Draußen vor der Thuͤr ſtanden
mehrere Weiber, die ſie anredeten und ihr Anerbietungen
machten, aber ſie ſtieß ſie zuruͤck und eilte, wie von
Furien gepeitſcht, von dannen. Den Tag uͤber durchirrte
ſie ſo, ruhelos, ohne Zweck die Stadt, bis ſie am Abend
endlich erſchoͤpft und ermattet an einer Hausſchwelle nie¬
derſank.

Die Nacht war bitterlich kalt, die Sterne zitterten
in der ſcharfen Luft, und ein ſchneidender Wind fegte
uͤber die oͤden Gaſſen. Das Maͤdchen ſaß zuſammen¬
gekauert auf den kalten Steinen, ohne ſich zu ruͤhren.
Auch das Kind war merkwuͤrdig ſtill. Sie hielt es auf
dem Schooß und hatte wie zum Schutz ihre Arme dar¬
uͤber gebreitet, in die Arme wieder hatte ſie ihren Kopf
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[91/0105] Die Suͤnderin. die Spottreden und gemeinen Spaͤße derſelben uͤber ſich ergehn. Sie betete im Stillen heiß um ihren baldigen Tod. Zu welchem Leben war ſie auch jetzt berufen ? Der Tod war ihre einzige Rettung. Nach ſechs Wochen wurde ſie aus der Anſtalt ent¬ laſſen, nachdem man ihr bemerkt, daß ſie ſich binnen drei Tagen aus der Stadt zu entfernen habe. Sie nahm ihr Kind in den Arm und rannte hinaus, ohne zu wiſſen wohin. Draußen vor der Thuͤr ſtanden mehrere Weiber, die ſie anredeten und ihr Anerbietungen machten, aber ſie ſtieß ſie zuruͤck und eilte, wie von Furien gepeitſcht, von dannen. Den Tag uͤber durchirrte ſie ſo, ruhelos, ohne Zweck die Stadt, bis ſie am Abend endlich erſchoͤpft und ermattet an einer Hausſchwelle nie¬ derſank. Die Nacht war bitterlich kalt, die Sterne zitterten in der ſcharfen Luft, und ein ſchneidender Wind fegte uͤber die oͤden Gaſſen. Das Maͤdchen ſaß zuſammen¬ gekauert auf den kalten Steinen, ohne ſich zu ruͤhren. Auch das Kind war merkwuͤrdig ſtill. Sie hielt es auf dem Schooß und hatte wie zum Schutz ihre Arme dar¬ uͤber gebreitet, in die Arme wieder hatte ſie ihren Kopf vergraben. Mehrere Voruͤbergehende, dicht in ihre Maͤn¬

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Zitationshilfe: Dronke, Ernst: Polizei-Geschichten. Leipzig, 1846, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dronke_polizeigeschichten_1846/105>, abgerufen am 29.04.2024.