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Dronke, Ernst: Polizei-Geschichten. Leipzig, 1846.

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Die Sünderin.
tel gehüllt, blieben vor ihr stehen. Da sie aber auf ihre
Anrede keine Antwort erhielten, gingen sie wieder weiter.
Endlich gegen Morgen wurde die Nachtwache auf die
stille, zusammengekauerte Gestalt aufmerksam und richtete
sie empor. Die Mutter lag halberstarrt, in einer tiefen
Ohnmacht, und wurde sogleich ins Krankenhaus geschafft.
Das Kind war todt.


Am Abend des dritten Tages stand der Oberarzt
vor einem Bett in dem großen Krankensaal. In einem
Lehnsessel saß ein Wärter, der in dem Augenblick, wo der
Arzt nicht mehr zu ihm sprach, eingeschlafen war. Es
war unheimlich still in dieser Wohnung des Jammers.
Von der Decke verbreitete eine Ampel ihr düsteres Licht
über die lange Reihe von Krankenbetten, die sich an bei¬
den Seiten des Saals hinzogen, die Uhr pickte einförmig
wie ein Todtenvogel die Minuten der Lebenden ab, und
dazwischen tönte zuweilen ein dumpfer Schmerzenslaut
oder ein ängstliches Röcheln von den Lagerstätten.

Der Arzt stand noch vor Mathildens Bett, die hier

Die Suͤnderin.
tel gehuͤllt, blieben vor ihr ſtehen. Da ſie aber auf ihre
Anrede keine Antwort erhielten, gingen ſie wieder weiter.
Endlich gegen Morgen wurde die Nachtwache auf die
ſtille, zuſammengekauerte Geſtalt aufmerkſam und richtete
ſie empor. Die Mutter lag halberſtarrt, in einer tiefen
Ohnmacht, und wurde ſogleich ins Krankenhaus geſchafft.
Das Kind war todt.


Am Abend des dritten Tages ſtand der Oberarzt
vor einem Bett in dem großen Krankenſaal. In einem
Lehnſeſſel ſaß ein Waͤrter, der in dem Augenblick, wo der
Arzt nicht mehr zu ihm ſprach, eingeſchlafen war. Es
war unheimlich ſtill in dieſer Wohnung des Jammers.
Von der Decke verbreitete eine Ampel ihr duͤſteres Licht
uͤber die lange Reihe von Krankenbetten, die ſich an bei¬
den Seiten des Saals hinzogen, die Uhr pickte einfoͤrmig
wie ein Todtenvogel die Minuten der Lebenden ab, und
dazwiſchen toͤnte zuweilen ein dumpfer Schmerzenslaut
oder ein aͤngſtliches Roͤcheln von den Lagerſtaͤtten.

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[92/0106] Die Suͤnderin. tel gehuͤllt, blieben vor ihr ſtehen. Da ſie aber auf ihre Anrede keine Antwort erhielten, gingen ſie wieder weiter. Endlich gegen Morgen wurde die Nachtwache auf die ſtille, zuſammengekauerte Geſtalt aufmerkſam und richtete ſie empor. Die Mutter lag halberſtarrt, in einer tiefen Ohnmacht, und wurde ſogleich ins Krankenhaus geſchafft. Das Kind war todt. Am Abend des dritten Tages ſtand der Oberarzt vor einem Bett in dem großen Krankenſaal. In einem Lehnſeſſel ſaß ein Waͤrter, der in dem Augenblick, wo der Arzt nicht mehr zu ihm ſprach, eingeſchlafen war. Es war unheimlich ſtill in dieſer Wohnung des Jammers. Von der Decke verbreitete eine Ampel ihr duͤſteres Licht uͤber die lange Reihe von Krankenbetten, die ſich an bei¬ den Seiten des Saals hinzogen, die Uhr pickte einfoͤrmig wie ein Todtenvogel die Minuten der Lebenden ab, und dazwiſchen toͤnte zuweilen ein dumpfer Schmerzenslaut oder ein aͤngſtliches Roͤcheln von den Lagerſtaͤtten. Der Arzt ſtand noch vor Mathildens Bett, die hier

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Zitationshilfe: Dronke, Ernst: Polizei-Geschichten. Leipzig, 1846, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dronke_polizeigeschichten_1846/106>, abgerufen am 29.04.2024.