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Dronke, Ernst: Polizei-Geschichten. Leipzig, 1846.

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Die Sünderin.
eben im Verscheiden lag. Sie hatte während ihrem
Krankenlager nichts zu sich genommen, und obwohl sie
vollkommen bewußtlos war, immer mit großer Hartnäckig¬
keit die Zähne zusammengebissen, wenn man ihr Arznei
einflößen wollte. Ihr Aeußeres war zum Erschrecken
eingefallen, ihre Züge kaum mehr zu erkennen. Jetzt
hatte ihre Erlösungsstunde geschlagen, ihr Röcheln wurde
unterbrochner, dann auf einmal war es still. Sie war
todt. Der Arzt sah nach der Uhr, schrieb dann einige
Worte auf einen Zettel und weckte den Wärter.

"Da liegt der Todtenschein," sagte er, indem er
hastig den Mantel umwarf, "Ihr werdet ihn morgen
früh besorgen." --

Der Wärter war aufgestanden und horchte, bis drau¬
ßen auf dem Korridor die schnellen Schritte des forteilen¬
den Arztes verhallt waren. Dann reckte er sich und
sagte gähnend:

"Nicht eine Stunde ruhigen Schlafs gönnen sie
Einem, könnten die Leute nicht ebensowohl am Tag ster¬
ben? -- Ach, es ist das Mädchen, welches sie vor drei
Tagen erst herbrachten," fügte er hinzu, auf den Todten¬
schein blickend. "Nun, es ist gut, daß sie todt ist, sie
hätte doch kein selig Ende genommen. Für der Art

Die Suͤnderin.
eben im Verſcheiden lag. Sie hatte waͤhrend ihrem
Krankenlager nichts zu ſich genommen, und obwohl ſie
vollkommen bewußtlos war, immer mit großer Hartnaͤckig¬
keit die Zaͤhne zuſammengebiſſen, wenn man ihr Arznei
einfloͤßen wollte. Ihr Aeußeres war zum Erſchrecken
eingefallen, ihre Zuͤge kaum mehr zu erkennen. Jetzt
hatte ihre Erloͤſungsſtunde geſchlagen, ihr Roͤcheln wurde
unterbrochner, dann auf einmal war es ſtill. Sie war
todt. Der Arzt ſah nach der Uhr, ſchrieb dann einige
Worte auf einen Zettel und weckte den Waͤrter.

„Da liegt der Todtenſchein,“ ſagte er, indem er
haſtig den Mantel umwarf, „Ihr werdet ihn morgen
fruͤh beſorgen.“ —

Der Waͤrter war aufgeſtanden und horchte, bis drau¬
ßen auf dem Korridor die ſchnellen Schritte des forteilen¬
den Arztes verhallt waren. Dann reckte er ſich und
ſagte gaͤhnend:

„Nicht eine Stunde ruhigen Schlafs goͤnnen ſie
Einem, koͤnnten die Leute nicht ebenſowohl am Tag ſter¬
ben? — Ach, es iſt das Maͤdchen, welches ſie vor drei
Tagen erſt herbrachten,“ fuͤgte er hinzu, auf den Todten¬
ſchein blickend. „Nun, es iſt gut, daß ſie todt iſt, ſie
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[93/0107] Die Suͤnderin. eben im Verſcheiden lag. Sie hatte waͤhrend ihrem Krankenlager nichts zu ſich genommen, und obwohl ſie vollkommen bewußtlos war, immer mit großer Hartnaͤckig¬ keit die Zaͤhne zuſammengebiſſen, wenn man ihr Arznei einfloͤßen wollte. Ihr Aeußeres war zum Erſchrecken eingefallen, ihre Zuͤge kaum mehr zu erkennen. Jetzt hatte ihre Erloͤſungsſtunde geſchlagen, ihr Roͤcheln wurde unterbrochner, dann auf einmal war es ſtill. Sie war todt. Der Arzt ſah nach der Uhr, ſchrieb dann einige Worte auf einen Zettel und weckte den Waͤrter. „Da liegt der Todtenſchein,“ ſagte er, indem er haſtig den Mantel umwarf, „Ihr werdet ihn morgen fruͤh beſorgen.“ — Der Waͤrter war aufgeſtanden und horchte, bis drau¬ ßen auf dem Korridor die ſchnellen Schritte des forteilen¬ den Arztes verhallt waren. Dann reckte er ſich und ſagte gaͤhnend: „Nicht eine Stunde ruhigen Schlafs goͤnnen ſie Einem, koͤnnten die Leute nicht ebenſowohl am Tag ſter¬ ben? — Ach, es iſt das Maͤdchen, welches ſie vor drei Tagen erſt herbrachten,“ fuͤgte er hinzu, auf den Todten¬ ſchein blickend. „Nun, es iſt gut, daß ſie todt iſt, ſie haͤtte doch kein ſelig Ende genommen. Fuͤr der Art

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Zitationshilfe: Dronke, Ernst: Polizei-Geschichten. Leipzig, 1846, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dronke_polizeigeschichten_1846/107>, abgerufen am 29.04.2024.