Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Dronke, Ernst: Polizei-Geschichten. Leipzig, 1846.

Bild:
<< vorherige Seite

Die vorgesetzte Dienstbehörde.
gen Urtheilssinn, wie ich ihn selten unter solchen Leuten
gefunden habe. Ich bin überzeugt, daß der Mensch zu
höchst Bedeutendem berufen war, aber seine Armuth
fesselte ihn in den Koth der Gesellschaft und ließ seine
Gaben unbenutzt verderben.

Eines Morgens trat Schwind, so hieß der Schuster,
mit sehr verlegener Miene in mein Zimmer, nachdem er
den Tag vorher ausgeblieben war. Statt wie sonst mir
sogleich seine Neuigkeiten aufzutischen, nahm er nach kur¬
zem Gruß die Kleider, und begab sich mit auffallender
Schweigsamkeit auf den Korridor, von wo ich bald das
Geräusch seiner eifrigen Bürste vernahm. Als er wieder
hereinkam, hing er die Sachen an ihren gewöhnlichen
Ort, und machte sich, da ich von meiner Arbeit nicht
aufblickte, noch einen Vorwand der Beschäftigung.

"Der Herr Doktor haben sich wohl gewundert,"
sagte er endlich, daß ich gestern morgen nicht zur Auf¬
wartung gekommen bin. Aber wahrhaftig, ich war nicht
Schuld daran, daß ich die Nacht auf der Polizei gesessen
habe." --

Diese Einleitung setzte mich in neugierige Verwunde¬
rung, denn ich kannte Schwind als einen ordentlichen
ruhigen Menschen. Ich schob meine Akten zur Seite

Die vorgeſetzte Dienſtbehoͤrde.
gen Urtheilsſinn, wie ich ihn ſelten unter ſolchen Leuten
gefunden habe. Ich bin uͤberzeugt, daß der Menſch zu
hoͤchſt Bedeutendem berufen war, aber ſeine Armuth
feſſelte ihn in den Koth der Geſellſchaft und ließ ſeine
Gaben unbenutzt verderben.

Eines Morgens trat Schwind, ſo hieß der Schuſter,
mit ſehr verlegener Miene in mein Zimmer, nachdem er
den Tag vorher ausgeblieben war. Statt wie ſonſt mir
ſogleich ſeine Neuigkeiten aufzutiſchen, nahm er nach kur¬
zem Gruß die Kleider, und begab ſich mit auffallender
Schweigſamkeit auf den Korridor, von wo ich bald das
Geraͤuſch ſeiner eifrigen Buͤrſte vernahm. Als er wieder
hereinkam, hing er die Sachen an ihren gewoͤhnlichen
Ort, und machte ſich, da ich von meiner Arbeit nicht
aufblickte, noch einen Vorwand der Beſchaͤftigung.

„Der Herr Doktor haben ſich wohl gewundert,“
ſagte er endlich, daß ich geſtern morgen nicht zur Auf¬
wartung gekommen bin. Aber wahrhaftig, ich war nicht
Schuld daran, daß ich die Nacht auf der Polizei geſeſſen
habe.“ —

Dieſe Einleitung ſetzte mich in neugierige Verwunde¬
rung, denn ich kannte Schwind als einen ordentlichen
ruhigen Menſchen. Ich ſchob meine Akten zur Seite

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0140" n="126"/><fw place="top" type="header">Die vorge&#x017F;etzte Dien&#x017F;tbeho&#x0364;rde.<lb/></fw>gen Urtheils&#x017F;inn, wie ich ihn &#x017F;elten unter &#x017F;olchen Leuten<lb/>
gefunden habe. Ich bin u&#x0364;berzeugt, daß der Men&#x017F;ch zu<lb/>
ho&#x0364;ch&#x017F;t Bedeutendem berufen war, aber &#x017F;eine Armuth<lb/>
fe&#x017F;&#x017F;elte ihn in den Koth der Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft und ließ &#x017F;eine<lb/>
Gaben unbenutzt verderben.</p><lb/>
        <p>Eines Morgens trat Schwind, &#x017F;o hieß der Schu&#x017F;ter,<lb/>
mit &#x017F;ehr verlegener Miene in mein Zimmer, nachdem er<lb/>
den Tag vorher ausgeblieben war. Statt wie &#x017F;on&#x017F;t mir<lb/>
&#x017F;ogleich &#x017F;eine Neuigkeiten aufzuti&#x017F;chen, nahm er nach kur¬<lb/>
zem Gruß die Kleider, und begab &#x017F;ich mit auffallender<lb/>
Schweig&#x017F;amkeit auf den Korridor, von wo ich bald das<lb/>
Gera&#x0364;u&#x017F;ch &#x017F;einer eifrigen Bu&#x0364;r&#x017F;te vernahm. Als er wieder<lb/>
hereinkam, hing er die Sachen an ihren gewo&#x0364;hnlichen<lb/>
Ort, und machte &#x017F;ich, da ich von meiner Arbeit nicht<lb/>
aufblickte, noch einen Vorwand der Be&#x017F;cha&#x0364;ftigung.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Der Herr Doktor haben &#x017F;ich wohl gewundert,&#x201C;<lb/>
&#x017F;agte er endlich, daß ich ge&#x017F;tern morgen nicht zur Auf¬<lb/>
wartung gekommen bin. Aber wahrhaftig, ich war nicht<lb/>
Schuld daran, daß ich die Nacht auf der Polizei ge&#x017F;e&#x017F;&#x017F;en<lb/>
habe.&#x201C; &#x2014;</p><lb/>
        <p>Die&#x017F;e Einleitung &#x017F;etzte mich in neugierige Verwunde¬<lb/>
rung, denn ich kannte Schwind als einen ordentlichen<lb/>
ruhigen Men&#x017F;chen. Ich &#x017F;chob meine Akten zur Seite<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[126/0140] Die vorgeſetzte Dienſtbehoͤrde. gen Urtheilsſinn, wie ich ihn ſelten unter ſolchen Leuten gefunden habe. Ich bin uͤberzeugt, daß der Menſch zu hoͤchſt Bedeutendem berufen war, aber ſeine Armuth feſſelte ihn in den Koth der Geſellſchaft und ließ ſeine Gaben unbenutzt verderben. Eines Morgens trat Schwind, ſo hieß der Schuſter, mit ſehr verlegener Miene in mein Zimmer, nachdem er den Tag vorher ausgeblieben war. Statt wie ſonſt mir ſogleich ſeine Neuigkeiten aufzutiſchen, nahm er nach kur¬ zem Gruß die Kleider, und begab ſich mit auffallender Schweigſamkeit auf den Korridor, von wo ich bald das Geraͤuſch ſeiner eifrigen Buͤrſte vernahm. Als er wieder hereinkam, hing er die Sachen an ihren gewoͤhnlichen Ort, und machte ſich, da ich von meiner Arbeit nicht aufblickte, noch einen Vorwand der Beſchaͤftigung. „Der Herr Doktor haben ſich wohl gewundert,“ ſagte er endlich, daß ich geſtern morgen nicht zur Auf¬ wartung gekommen bin. Aber wahrhaftig, ich war nicht Schuld daran, daß ich die Nacht auf der Polizei geſeſſen habe.“ — Dieſe Einleitung ſetzte mich in neugierige Verwunde¬ rung, denn ich kannte Schwind als einen ordentlichen ruhigen Menſchen. Ich ſchob meine Akten zur Seite

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/dronke_polizeigeschichten_1846
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/dronke_polizeigeschichten_1846/140
Zitationshilfe: Dronke, Ernst: Polizei-Geschichten. Leipzig, 1846, S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dronke_polizeigeschichten_1846/140>, abgerufen am 29.04.2024.