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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836.

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zes in sich zu ordnen und abzurunden, und welche Kräfte
und welche ruhige ungestörte Lage im Leben, um es dann
in einem Fluß gehörig auszusprechen. Hat man sich nun
im Ganzen vergriffen, so ist alle Mühe verloren; ist man
ferner, bey einem so umfangreichen Gegenstande, in ein¬
zelnen Theilen nicht völlig Herr seines Stoffes, so wird
das Ganze stellenweise mangelhaft werden und man wird
gescholten; und aus allem entspringt für den Dichter,
statt Belohnung und Freude für so viele Mühe und
Aufopferung, nichts als Unbehagen und Lähmung der
Kräfte. Faßt dagegen der Dichter täglich die Gegenwart
auf, und behandelt er immer gleich in frischer Stimmung
was sich ihm darbietet, so macht er sicher immer etwas
Gutes, und gelingt ihm auch einmal etwas nicht, so ist
nichts daran verloren."

"Da ist der August Hagen in Königsberg, ein
herrliches Talent; haben Sie seine Olfried und Li¬
sena
gelesen? Da sind Stellen darin, wie sie nicht bes¬
ser seyn können; die Zustände an der Ostsee und was
sonst in dortige Localität hineinschlägt, alles meisterhaft.
Aber es sind nur schöne Stellen, als Ganzes will es nie¬
manden behagen. Und welche Mühe und welche Kräfte
hat er daran verwendet! ja er hat sich fast daran er¬
schöpft. Jetzt hat er ein Trauerspiel gemacht!" Dabey
lächelte Goethe und hielt einen Augenblick inne. Ich
nahm das Wort und sagte, daß, wenn ich nicht irre,
er Hagen in Kunst und Alterthum gerathen, nur kleine

zes in ſich zu ordnen und abzurunden, und welche Kraͤfte
und welche ruhige ungeſtoͤrte Lage im Leben, um es dann
in einem Fluß gehoͤrig auszuſprechen. Hat man ſich nun
im Ganzen vergriffen, ſo iſt alle Muͤhe verloren; iſt man
ferner, bey einem ſo umfangreichen Gegenſtande, in ein¬
zelnen Theilen nicht voͤllig Herr ſeines Stoffes, ſo wird
das Ganze ſtellenweiſe mangelhaft werden und man wird
geſcholten; und aus allem entſpringt fuͤr den Dichter,
ſtatt Belohnung und Freude fuͤr ſo viele Muͤhe und
Aufopferung, nichts als Unbehagen und Laͤhmung der
Kraͤfte. Faßt dagegen der Dichter taͤglich die Gegenwart
auf, und behandelt er immer gleich in friſcher Stimmung
was ſich ihm darbietet, ſo macht er ſicher immer etwas
Gutes, und gelingt ihm auch einmal etwas nicht, ſo iſt
nichts daran verloren.“

„Da iſt der Auguſt Hagen in Koͤnigsberg, ein
herrliches Talent; haben Sie ſeine Olfried und Li¬
ſena
geleſen? Da ſind Stellen darin, wie ſie nicht beſ¬
ſer ſeyn koͤnnen; die Zuſtaͤnde an der Oſtſee und was
ſonſt in dortige Localitaͤt hineinſchlaͤgt, alles meiſterhaft.
Aber es ſind nur ſchoͤne Stellen, als Ganzes will es nie¬
manden behagen. Und welche Muͤhe und welche Kraͤfte
hat er daran verwendet! ja er hat ſich faſt daran er¬
ſchoͤpft. Jetzt hat er ein Trauerſpiel gemacht!“ Dabey
laͤchelte Goethe und hielt einen Augenblick inne. Ich
nahm das Wort und ſagte, daß, wenn ich nicht irre,
er Hagen in Kunſt und Alterthum gerathen, nur kleine

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[52/0072] zes in ſich zu ordnen und abzurunden, und welche Kraͤfte und welche ruhige ungeſtoͤrte Lage im Leben, um es dann in einem Fluß gehoͤrig auszuſprechen. Hat man ſich nun im Ganzen vergriffen, ſo iſt alle Muͤhe verloren; iſt man ferner, bey einem ſo umfangreichen Gegenſtande, in ein¬ zelnen Theilen nicht voͤllig Herr ſeines Stoffes, ſo wird das Ganze ſtellenweiſe mangelhaft werden und man wird geſcholten; und aus allem entſpringt fuͤr den Dichter, ſtatt Belohnung und Freude fuͤr ſo viele Muͤhe und Aufopferung, nichts als Unbehagen und Laͤhmung der Kraͤfte. Faßt dagegen der Dichter taͤglich die Gegenwart auf, und behandelt er immer gleich in friſcher Stimmung was ſich ihm darbietet, ſo macht er ſicher immer etwas Gutes, und gelingt ihm auch einmal etwas nicht, ſo iſt nichts daran verloren.“ „Da iſt der Auguſt Hagen in Koͤnigsberg, ein herrliches Talent; haben Sie ſeine Olfried und Li¬ ſena geleſen? Da ſind Stellen darin, wie ſie nicht beſ¬ ſer ſeyn koͤnnen; die Zuſtaͤnde an der Oſtſee und was ſonſt in dortige Localitaͤt hineinſchlaͤgt, alles meiſterhaft. Aber es ſind nur ſchoͤne Stellen, als Ganzes will es nie¬ manden behagen. Und welche Muͤhe und welche Kraͤfte hat er daran verwendet! ja er hat ſich faſt daran er¬ ſchoͤpft. Jetzt hat er ein Trauerſpiel gemacht!“ Dabey laͤchelte Goethe und hielt einen Augenblick inne. Ich nahm das Wort und ſagte, daß, wenn ich nicht irre, er Hagen in Kunſt und Alterthum gerathen, nur kleine

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Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/72>, abgerufen am 30.04.2024.