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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836.

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Gegenstände zu behandeln. "Freilich habe ich das, er¬
wiederte Goethe; aber thut man denn, was wir Alten
sagen? Jeder glaubt, er müsse es doch selber am besten
wissen, und dabey geht mancher verloren und mancher
hat lange daran zu irren. Es ist aber jetzt keine Zeit
mehr zum Irren, dazu sind wir Alten gewesen, und
was hätte uns alle unser Suchen und Irren geholfen,
wenn Ihr jüngeren Leute wieder dieselbigen Wege lau¬
fen wolltet. Da kämen wir ja nie weiter! Uns Alten
rechnet man den Irrthum zu Gute, weil wir die Wege
nicht gebahnt fanden; wer aber später in die Welt ein¬
tritt, von dem verlangt man mehr, der soll nicht aber¬
mals irren und suchen, sondern er soll den Rath der
Alten nutzen und gleich auf gutem Wege fortschreiten.
Es soll nicht genügen, daß man Schritte thue, die einst
zum Ziele führen, sondern jeder Schritt soll Ziel seyn
und als Schritt gelten."

"Tragen Sie diese Worte bey sich herum und sehen
Sie zu, was Sie davon mit sich vereinigen können. Es
ist mir eigentlich um Sie nicht bange, aber ich helfe
Sie durch mein Zureden vielleicht schnell über eine Pe¬
riode hinweg, die Ihrer jetzigen Lage nicht gemäß ist.
Machen Sie vor der Hand, wie gesagt, immer nur
kleine Gegenstände, immer alles frisch weg was sich
Ihnen täglich darbietet, so werden Sie in der Regel
immer etwas Gutes leisten und jeder Tag wird Ihnen
Freude bringen. Geben Sie es zunächst in die Taschen¬

Gegenſtaͤnde zu behandeln. „Freilich habe ich das, er¬
wiederte Goethe; aber thut man denn, was wir Alten
ſagen? Jeder glaubt, er muͤſſe es doch ſelber am beſten
wiſſen, und dabey geht mancher verloren und mancher
hat lange daran zu irren. Es iſt aber jetzt keine Zeit
mehr zum Irren, dazu ſind wir Alten geweſen, und
was haͤtte uns alle unſer Suchen und Irren geholfen,
wenn Ihr juͤngeren Leute wieder dieſelbigen Wege lau¬
fen wolltet. Da kaͤmen wir ja nie weiter! Uns Alten
rechnet man den Irrthum zu Gute, weil wir die Wege
nicht gebahnt fanden; wer aber ſpaͤter in die Welt ein¬
tritt, von dem verlangt man mehr, der ſoll nicht aber¬
mals irren und ſuchen, ſondern er ſoll den Rath der
Alten nutzen und gleich auf gutem Wege fortſchreiten.
Es ſoll nicht genuͤgen, daß man Schritte thue, die einſt
zum Ziele fuͤhren, ſondern jeder Schritt ſoll Ziel ſeyn
und als Schritt gelten.“

„Tragen Sie dieſe Worte bey ſich herum und ſehen
Sie zu, was Sie davon mit ſich vereinigen koͤnnen. Es
iſt mir eigentlich um Sie nicht bange, aber ich helfe
Sie durch mein Zureden vielleicht ſchnell uͤber eine Pe¬
riode hinweg, die Ihrer jetzigen Lage nicht gemaͤß iſt.
Machen Sie vor der Hand, wie geſagt, immer nur
kleine Gegenſtaͤnde, immer alles friſch weg was ſich
Ihnen taͤglich darbietet, ſo werden Sie in der Regel
immer etwas Gutes leiſten und jeder Tag wird Ihnen
Freude bringen. Geben Sie es zunaͤchſt in die Taſchen¬

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[53/0073] Gegenſtaͤnde zu behandeln. „Freilich habe ich das, er¬ wiederte Goethe; aber thut man denn, was wir Alten ſagen? Jeder glaubt, er muͤſſe es doch ſelber am beſten wiſſen, und dabey geht mancher verloren und mancher hat lange daran zu irren. Es iſt aber jetzt keine Zeit mehr zum Irren, dazu ſind wir Alten geweſen, und was haͤtte uns alle unſer Suchen und Irren geholfen, wenn Ihr juͤngeren Leute wieder dieſelbigen Wege lau¬ fen wolltet. Da kaͤmen wir ja nie weiter! Uns Alten rechnet man den Irrthum zu Gute, weil wir die Wege nicht gebahnt fanden; wer aber ſpaͤter in die Welt ein¬ tritt, von dem verlangt man mehr, der ſoll nicht aber¬ mals irren und ſuchen, ſondern er ſoll den Rath der Alten nutzen und gleich auf gutem Wege fortſchreiten. Es ſoll nicht genuͤgen, daß man Schritte thue, die einſt zum Ziele fuͤhren, ſondern jeder Schritt ſoll Ziel ſeyn und als Schritt gelten.“ „Tragen Sie dieſe Worte bey ſich herum und ſehen Sie zu, was Sie davon mit ſich vereinigen koͤnnen. Es iſt mir eigentlich um Sie nicht bange, aber ich helfe Sie durch mein Zureden vielleicht ſchnell uͤber eine Pe¬ riode hinweg, die Ihrer jetzigen Lage nicht gemaͤß iſt. Machen Sie vor der Hand, wie geſagt, immer nur kleine Gegenſtaͤnde, immer alles friſch weg was ſich Ihnen taͤglich darbietet, ſo werden Sie in der Regel immer etwas Gutes leiſten und jeder Tag wird Ihnen Freude bringen. Geben Sie es zunaͤchſt in die Taſchen¬

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Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe01_1836/73>, abgerufen am 30.04.2024.