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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836.

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ich Dienstag den 23. November Abends sechs Uhr das
letzte Chausseehaus vor Weimar. Ich fühlte abermals
in meinem Leben, daß das menschliche Daseyn schwere
Momente habe, durch die man hindurch müsse. Meine
Gedanken verkehrten mit höheren Wesen über mir, als
mich ein Blick des Mondes traf, der auf einige Secun¬
den aus dichtem Gewölk glänzend hervortrat und sich
dann wieder finster verhüllte wie zuvor. War dieses
nun Zufall oder war es etwas mehr, genug ich nahm
es als ein günstiges Zeichen von oben, und gewann
daraus eine unerwartete Stärkung.

Kaum daß ich meine Wirthsleute begrüßt hatte, so
war mein erster Weg in das Goethesche Haus. Ich
ging zuerst zu Frau v. Goethe. Ich fand sie bereis in
tiefer Trauerkleidung, jedoch ruhig und gefaßt, und wir
hatten viel gegen einander auszusprechen.

Ich ging sodann zu Goethe hinunter. Er stand
aufrecht und fest und schloß mich in seine Arme. Ich
fand ihn vollkommen heiter und ruhig; wir setzten uns
und sprachen sogleich von gescheidten Dingen, und ich
war höchst beglückt, wieder bey ihm zu seyn. Er zeigte
mir zwey angefangene Briefe, die er nach Nordheim
an mich geschrieben, aber nicht hatte abgehen lassen.
Wir sprachen sodann über die Frau Großherzogin, über
den Prinzen und manches Andere; seines Sohnes jedoch
ward mit keiner Sylbe gedacht.


ich Dienſtag den 23. November Abends ſechs Uhr das
letzte Chauſſeehaus vor Weimar. Ich fuͤhlte abermals
in meinem Leben, daß das menſchliche Daſeyn ſchwere
Momente habe, durch die man hindurch muͤſſe. Meine
Gedanken verkehrten mit hoͤheren Weſen uͤber mir, als
mich ein Blick des Mondes traf, der auf einige Secun¬
den aus dichtem Gewoͤlk glaͤnzend hervortrat und ſich
dann wieder finſter verhuͤllte wie zuvor. War dieſes
nun Zufall oder war es etwas mehr, genug ich nahm
es als ein guͤnſtiges Zeichen von oben, und gewann
daraus eine unerwartete Staͤrkung.

Kaum daß ich meine Wirthsleute begruͤßt hatte, ſo
war mein erſter Weg in das Goetheſche Haus. Ich
ging zuerſt zu Frau v. Goethe. Ich fand ſie bereis in
tiefer Trauerkleidung, jedoch ruhig und gefaßt, und wir
hatten viel gegen einander auszuſprechen.

Ich ging ſodann zu Goethe hinunter. Er ſtand
aufrecht und feſt und ſchloß mich in ſeine Arme. Ich
fand ihn vollkommen heiter und ruhig; wir ſetzten uns
und ſprachen ſogleich von geſcheidten Dingen, und ich
war hoͤchſt begluͤckt, wieder bey ihm zu ſeyn. Er zeigte
mir zwey angefangene Briefe, die er nach Nordheim
an mich geſchrieben, aber nicht hatte abgehen laſſen.
Wir ſprachen ſodann uͤber die Frau Großherzogin, uͤber
den Prinzen und manches Andere; ſeines Sohnes jedoch
ward mit keiner Sylbe gedacht.


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[247/0257] ich Dienſtag den 23. November Abends ſechs Uhr das letzte Chauſſeehaus vor Weimar. Ich fuͤhlte abermals in meinem Leben, daß das menſchliche Daſeyn ſchwere Momente habe, durch die man hindurch muͤſſe. Meine Gedanken verkehrten mit hoͤheren Weſen uͤber mir, als mich ein Blick des Mondes traf, der auf einige Secun¬ den aus dichtem Gewoͤlk glaͤnzend hervortrat und ſich dann wieder finſter verhuͤllte wie zuvor. War dieſes nun Zufall oder war es etwas mehr, genug ich nahm es als ein guͤnſtiges Zeichen von oben, und gewann daraus eine unerwartete Staͤrkung. Kaum daß ich meine Wirthsleute begruͤßt hatte, ſo war mein erſter Weg in das Goetheſche Haus. Ich ging zuerſt zu Frau v. Goethe. Ich fand ſie bereis in tiefer Trauerkleidung, jedoch ruhig und gefaßt, und wir hatten viel gegen einander auszuſprechen. Ich ging ſodann zu Goethe hinunter. Er ſtand aufrecht und feſt und ſchloß mich in ſeine Arme. Ich fand ihn vollkommen heiter und ruhig; wir ſetzten uns und ſprachen ſogleich von geſcheidten Dingen, und ich war hoͤchſt begluͤckt, wieder bey ihm zu ſeyn. Er zeigte mir zwey angefangene Briefe, die er nach Nordheim an mich geſchrieben, aber nicht hatte abgehen laſſen. Wir ſprachen ſodann uͤber die Frau Großherzogin, uͤber den Prinzen und manches Andere; ſeines Sohnes jedoch ward mit keiner Sylbe gedacht.

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Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 2. Leipzig, 1836, S. 247. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe02_1836/257>, abgerufen am 29.04.2024.