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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848.

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wodurch ich mich zum Ziele getragen fühlte wie
auf Flügeln.

Jetzt aber, wo jene Stimme schon seit vielen
Jahren verstummt ist, und das Glück jener per¬
sönlichen Berührungen so weit hinter mir liegt,
konnte ich die so nöthige Begeisterung nur in sol¬
chen Stunden erlangen, wo es mir vergönnt war,
in mein eigenes Inneres zu gehen und in unge¬
störter Vertiefung das Vergangene wieder zu fri¬
schen Farben zu beleben, wo es denn anfing, sich
zu regen, und ich große Gedanken und große Cha¬
rakterzüge vor mir liegen sah, gleich Gebirgen,
fernen zwar, aber deutlich und wie von der Sonne
des wirklichen Tages beschienen.

So kam mir denn die Begeisterung aus der
Freude am Großen; das Einzelne des Ideengan¬
ges und mündlichen Ausdruckes ward wieder frisch,
als ob ich es gestern erlebt hätte. Der lebendige
Goethe war wieder da; ich hörte wieder den be¬
sondern lieben Klang seiner Stimme, die mit keines
Anderen zu vergleichen. Ich sah ihn wieder Abends
in schwarzem Frack und Stern bei heller Erleuchtung
seiner Zimmer im geselligen Kreise scherzen und

wodurch ich mich zum Ziele getragen fühlte wie
auf Flügeln.

Jetzt aber, wo jene Stimme ſchon ſeit vielen
Jahren verſtummt iſt, und das Glück jener per¬
ſönlichen Berührungen ſo weit hinter mir liegt,
konnte ich die ſo nöthige Begeiſterung nur in ſol¬
chen Stunden erlangen, wo es mir vergönnt war,
in mein eigenes Inneres zu gehen und in unge¬
ſtörter Vertiefung das Vergangene wieder zu fri¬
ſchen Farben zu beleben, wo es denn anfing, ſich
zu regen, und ich große Gedanken und große Cha¬
rakterzüge vor mir liegen ſah, gleich Gebirgen,
fernen zwar, aber deutlich und wie von der Sonne
des wirklichen Tages beſchienen.

So kam mir denn die Begeiſterung aus der
Freude am Großen; das Einzelne des Ideengan¬
ges und mündlichen Ausdruckes ward wieder friſch,
als ob ich es geſtern erlebt hätte. Der lebendige
Goethe war wieder da; ich hörte wieder den be¬
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[VIII/0014] wodurch ich mich zum Ziele getragen fühlte wie auf Flügeln. Jetzt aber, wo jene Stimme ſchon ſeit vielen Jahren verſtummt iſt, und das Glück jener per¬ ſönlichen Berührungen ſo weit hinter mir liegt, konnte ich die ſo nöthige Begeiſterung nur in ſol¬ chen Stunden erlangen, wo es mir vergönnt war, in mein eigenes Inneres zu gehen und in unge¬ ſtörter Vertiefung das Vergangene wieder zu fri¬ ſchen Farben zu beleben, wo es denn anfing, ſich zu regen, und ich große Gedanken und große Cha¬ rakterzüge vor mir liegen ſah, gleich Gebirgen, fernen zwar, aber deutlich und wie von der Sonne des wirklichen Tages beſchienen. So kam mir denn die Begeiſterung aus der Freude am Großen; das Einzelne des Ideengan¬ ges und mündlichen Ausdruckes ward wieder friſch, als ob ich es geſtern erlebt hätte. Der lebendige Goethe war wieder da; ich hörte wieder den be¬ ſondern lieben Klang ſeiner Stimme, die mit keines Anderen zu vergleichen. Ich ſah ihn wieder Abends in ſchwarzem Frack und Stern bei heller Erleuchtung ſeiner Zimmer im geſelligen Kreiſe ſcherzen und

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Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. VIII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/14>, abgerufen am 29.04.2024.