Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848.

Bild:
<< vorherige Seite

auch bei einem Bildhauer und Maler in die Lehre ge¬
hen. So ist ihm, um einen griechischen Helden darzu¬
stellen, durchaus nöthig, daß er die auf uns gekom¬
menen antiken Bildwerke wohl studirt und sich die
ungesuchte Grazie ihres Sitzens, Stehens und Gehens
wohl eingeprägt habe."

"Auch ist es mit dem Körperlichen noch nicht ge¬
than. Er muß auch durch ein fleißiges Studium der
besten alten und neuen Schriftsteller seinem Geiste eine
große Ausbildung geben, welches ihm denn nicht bloß
zum Verständniß seiner Rolle zu Gute kommen, sondern
auch seinem ganzen Wesen und seiner ganzen Haltung
einen höheren Anstrich geben wird. Doch erzählen Sie
weiter! Was war denn noch sonst Gutes an ihm zu
bemerken?"

Es schien mir, sagte ich, als habe ihm eine große
Liebe für seinen Gegenstand beigewohnt. Er hatte
durch ein emsiges Studium sich alles Einzelne klar
gemacht, so daß er in seinem Helden mit großer Frei¬
heit lebte und webte und nichts übrig blieb, was nicht
durchaus wäre das Seinige geworden. Hieraus ent¬
stand denn ein richtiger Ausdruck und eine richtige
Betonung jedes einzelnen Wortes, und eine solche
Sicherheit, daß für ihn der Souffleur eine ganz über¬
flüssige Person war.

"Das freut mich, sagte Goethe, und so ist es recht.
Nichts ist schrecklicher, als wenn die Schauspieler nicht

auch bei einem Bildhauer und Maler in die Lehre ge¬
hen. So iſt ihm, um einen griechiſchen Helden darzu¬
ſtellen, durchaus nöthig, daß er die auf uns gekom¬
menen antiken Bildwerke wohl ſtudirt und ſich die
ungeſuchte Grazie ihres Sitzens, Stehens und Gehens
wohl eingeprägt habe.“

„Auch iſt es mit dem Körperlichen noch nicht ge¬
than. Er muß auch durch ein fleißiges Studium der
beſten alten und neuen Schriftſteller ſeinem Geiſte eine
große Ausbildung geben, welches ihm denn nicht bloß
zum Verſtändniß ſeiner Rolle zu Gute kommen, ſondern
auch ſeinem ganzen Weſen und ſeiner ganzen Haltung
einen höheren Anſtrich geben wird. Doch erzählen Sie
weiter! Was war denn noch ſonſt Gutes an ihm zu
bemerken?“

Es ſchien mir, ſagte ich, als habe ihm eine große
Liebe für ſeinen Gegenſtand beigewohnt. Er hatte
durch ein emſiges Studium ſich alles Einzelne klar
gemacht, ſo daß er in ſeinem Helden mit großer Frei¬
heit lebte und webte und nichts übrig blieb, was nicht
durchaus wäre das Seinige geworden. Hieraus ent¬
ſtand denn ein richtiger Ausdruck und eine richtige
Betonung jedes einzelnen Wortes, und eine ſolche
Sicherheit, daß für ihn der Souffleur eine ganz über¬
flüſſige Perſon war.

„Das freut mich, ſagte Goethe, und ſo iſt es recht.
Nichts iſt ſchrecklicher, als wenn die Schauſpieler nicht

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="3">
        <div n="4">
          <p><pb facs="#f0162" n="140"/>
auch bei einem Bildhauer und Maler in die Lehre ge¬<lb/>
hen. So i&#x017F;t ihm, um einen griechi&#x017F;chen Helden darzu¬<lb/>
&#x017F;tellen, durchaus nöthig, daß er die auf uns gekom¬<lb/>
menen antiken Bildwerke wohl &#x017F;tudirt und &#x017F;ich die<lb/>
unge&#x017F;uchte Grazie ihres Sitzens, Stehens und Gehens<lb/>
wohl eingeprägt habe.&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Auch i&#x017F;t es mit dem Körperlichen noch nicht ge¬<lb/>
than. Er muß auch durch ein fleißiges Studium der<lb/>
be&#x017F;ten alten und neuen Schrift&#x017F;teller &#x017F;einem Gei&#x017F;te eine<lb/>
große Ausbildung geben, welches ihm denn nicht bloß<lb/>
zum Ver&#x017F;tändniß &#x017F;einer Rolle zu Gute kommen, &#x017F;ondern<lb/>
auch &#x017F;einem ganzen We&#x017F;en und &#x017F;einer ganzen Haltung<lb/>
einen höheren An&#x017F;trich geben wird. Doch erzählen Sie<lb/>
weiter! Was war denn noch &#x017F;on&#x017F;t Gutes an ihm zu<lb/>
bemerken?&#x201C;</p><lb/>
          <p>Es &#x017F;chien mir, &#x017F;agte ich, als habe ihm eine große<lb/>
Liebe für &#x017F;einen Gegen&#x017F;tand beigewohnt. Er hatte<lb/>
durch ein em&#x017F;iges Studium &#x017F;ich alles Einzelne klar<lb/>
gemacht, &#x017F;o daß er in &#x017F;einem Helden mit großer Frei¬<lb/>
heit lebte und webte und nichts übrig blieb, was nicht<lb/>
durchaus wäre das Seinige geworden. Hieraus ent¬<lb/>
&#x017F;tand denn ein richtiger Ausdruck und eine richtige<lb/>
Betonung jedes einzelnen Wortes, und eine &#x017F;olche<lb/>
Sicherheit, daß für ihn der Souffleur eine ganz über¬<lb/>
flü&#x017F;&#x017F;ige Per&#x017F;on war.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Das freut mich, &#x017F;agte Goethe, und &#x017F;o i&#x017F;t es recht.<lb/>
Nichts i&#x017F;t &#x017F;chrecklicher, als wenn die Schau&#x017F;pieler nicht<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[140/0162] auch bei einem Bildhauer und Maler in die Lehre ge¬ hen. So iſt ihm, um einen griechiſchen Helden darzu¬ ſtellen, durchaus nöthig, daß er die auf uns gekom¬ menen antiken Bildwerke wohl ſtudirt und ſich die ungeſuchte Grazie ihres Sitzens, Stehens und Gehens wohl eingeprägt habe.“ „Auch iſt es mit dem Körperlichen noch nicht ge¬ than. Er muß auch durch ein fleißiges Studium der beſten alten und neuen Schriftſteller ſeinem Geiſte eine große Ausbildung geben, welches ihm denn nicht bloß zum Verſtändniß ſeiner Rolle zu Gute kommen, ſondern auch ſeinem ganzen Weſen und ſeiner ganzen Haltung einen höheren Anſtrich geben wird. Doch erzählen Sie weiter! Was war denn noch ſonſt Gutes an ihm zu bemerken?“ Es ſchien mir, ſagte ich, als habe ihm eine große Liebe für ſeinen Gegenſtand beigewohnt. Er hatte durch ein emſiges Studium ſich alles Einzelne klar gemacht, ſo daß er in ſeinem Helden mit großer Frei¬ heit lebte und webte und nichts übrig blieb, was nicht durchaus wäre das Seinige geworden. Hieraus ent¬ ſtand denn ein richtiger Ausdruck und eine richtige Betonung jedes einzelnen Wortes, und eine ſolche Sicherheit, daß für ihn der Souffleur eine ganz über¬ flüſſige Perſon war. „Das freut mich, ſagte Goethe, und ſo iſt es recht. Nichts iſt ſchrecklicher, als wenn die Schauſpieler nicht

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/162
Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 140. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/162>, abgerufen am 14.05.2024.