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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848.

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Häusern lockt und sie mit ihres Gleichen vor ihren
Thüren gerne ein Spielchen machten, sehe ich sie immer
genirt, als wären sie nicht sicher und als fürchteten
sie das Herannahen irgend eines polizeilichen Macht¬
habers. Es darf kein Bube mit der Peitsche knallen,
oder singen, oder rufen, sogleich ist die Polizei da, es
ihm zu verbieten. Es geht bei uns Alles dahin, die
liebe Jugend frühzeitig zahm zu machen und alle Na¬
tur, alle Originalität und alle Wildheit auszutreiben,
so daß am Ende nichts übrig bleibt, als der Philister."

"Sie wissen, es vergeht bei mir kaum ein Tag,
wo ich nicht von durchreisenden Fremden besucht werde.
Wenn ich aber sagen sollte, daß ich an den persönlichen
Erscheinungen, besonders junger deutscher Gelehrten
aus einer gewissen nordöstlichen Richtung, große Freude
hätte, so müßte ich lügen. -- Kurzsichtig, blaß, mit
eingefallener Brust, jung ohne Jugend, das ist das
Bild der Meisten, wie sie sich mir darstellen. Und wie
ich mit ihnen mich in ein Gespräch einlasse, habe ich
sogleich zu bemerken, daß ihnen dasjenige, woran unser¬
einer Freude hat, nichtig und trivial erscheint, daß sie
ganz in der Idee stecken und nur die höchsten Probleme
der Speculation sie zu interessiren geeignet sind. Von
gesunden Sinnen und Freude am Sinnlichen ist bei
ihnen keine Spur, alles Jugendgefühl und alle Jugend¬
lust ist bei ihnen ausgetrieben, und zwar unwiederbring¬

Häuſern lockt und ſie mit ihres Gleichen vor ihren
Thüren gerne ein Spielchen machten, ſehe ich ſie immer
genirt, als wären ſie nicht ſicher und als fürchteten
ſie das Herannahen irgend eines polizeilichen Macht¬
habers. Es darf kein Bube mit der Peitſche knallen,
oder ſingen, oder rufen, ſogleich iſt die Polizei da, es
ihm zu verbieten. Es geht bei uns Alles dahin, die
liebe Jugend frühzeitig zahm zu machen und alle Na¬
tur, alle Originalität und alle Wildheit auszutreiben,
ſo daß am Ende nichts übrig bleibt, als der Philiſter.“

„Sie wiſſen, es vergeht bei mir kaum ein Tag,
wo ich nicht von durchreiſenden Fremden beſucht werde.
Wenn ich aber ſagen ſollte, daß ich an den perſönlichen
Erſcheinungen, beſonders junger deutſcher Gelehrten
aus einer gewiſſen nordöſtlichen Richtung, große Freude
hätte, ſo müßte ich lügen. — Kurzſichtig, blaß, mit
eingefallener Bruſt, jung ohne Jugend, das iſt das
Bild der Meiſten, wie ſie ſich mir darſtellen. Und wie
ich mit ihnen mich in ein Geſpräch einlaſſe, habe ich
ſogleich zu bemerken, daß ihnen dasjenige, woran unſer¬
einer Freude hat, nichtig und trivial erſcheint, daß ſie
ganz in der Idee ſtecken und nur die höchſten Probleme
der Speculation ſie zu intereſſiren geeignet ſind. Von
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[251/0273] Häuſern lockt und ſie mit ihres Gleichen vor ihren Thüren gerne ein Spielchen machten, ſehe ich ſie immer genirt, als wären ſie nicht ſicher und als fürchteten ſie das Herannahen irgend eines polizeilichen Macht¬ habers. Es darf kein Bube mit der Peitſche knallen, oder ſingen, oder rufen, ſogleich iſt die Polizei da, es ihm zu verbieten. Es geht bei uns Alles dahin, die liebe Jugend frühzeitig zahm zu machen und alle Na¬ tur, alle Originalität und alle Wildheit auszutreiben, ſo daß am Ende nichts übrig bleibt, als der Philiſter.“ „Sie wiſſen, es vergeht bei mir kaum ein Tag, wo ich nicht von durchreiſenden Fremden beſucht werde. Wenn ich aber ſagen ſollte, daß ich an den perſönlichen Erſcheinungen, beſonders junger deutſcher Gelehrten aus einer gewiſſen nordöſtlichen Richtung, große Freude hätte, ſo müßte ich lügen. — Kurzſichtig, blaß, mit eingefallener Bruſt, jung ohne Jugend, das iſt das Bild der Meiſten, wie ſie ſich mir darſtellen. Und wie ich mit ihnen mich in ein Geſpräch einlaſſe, habe ich ſogleich zu bemerken, daß ihnen dasjenige, woran unſer¬ einer Freude hat, nichtig und trivial erſcheint, daß ſie ganz in der Idee ſtecken und nur die höchſten Probleme der Speculation ſie zu intereſſiren geeignet ſind. Von geſunden Sinnen und Freude am Sinnlichen iſt bei ihnen keine Spur, alles Jugendgefühl und alle Jugend¬ luſt iſt bei ihnen ausgetrieben, und zwar unwiederbring¬

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Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 251. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/273>, abgerufen am 31.05.2024.