Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815.

Bild:
<< vorherige Seite

dem gräßlichen Anblick. Darauf faßte mich, ich
weiß selbst nicht wie, ein seltsamer Zorn, das
Phantom zu vernichten, das immer unbeweglich auf
mich sah. Ich spornte mein Pferd, aber es stieg
schnaubend in die Höh und wollte nicht d'ran. Die
Angst steckte mich am Ende mit an, ich konnte es
nicht aushalten, länger hinzuseh'n, mein Pferd kehr¬
te unaufhaltsam um, eine unbeschreibliche Furcht be¬
mächtigte sich seiner und meiner, und so gieng es
Windschnell durch Sträucher und Hecken, daß die
Aeste mich hin und her blutig schlugen, bis wir
beyde athemlos wieder bey dem Schlosse anlangten.
Das war jener Abend vor unserer Gebirgsreise, da
ich so wild und ungebährdet that, als Du mit Fa¬
ber ruhig am Tisch auf der Wiese sassest. -- Spä¬
ter erfuhr ich, daß das Mädchen denselben Abend
um dieselbe Stunde gestorben sey. -- Und so wolle
Gott jeden Schnapphan kuriren, denn ich habe mich
seitdem gebessert, das kann ich redlich sagen!

Friedrich erinnerte sich bey dieser wunderlichen
Geschichte an eine Nacht auf Leontins Schlosse, wie
er Erwinen einmal von der Mauer sich mit einem
fremden Manne unterhalten gehört, und dann ei¬
nen langen, dunklen Schatten von ihm in den
Wald hineingeh'n gesehen hatte. -- Allerdings, sag¬
te Leontin, habe ich selber einmal dergleichen be¬
merkt, und es kam mir zu meinem Erstaunen vor,
als wäre es dieselbe Gestalt, die mir im Walde er¬
schienen. Aber Du weißt, wie geheimnißvoll Erwi¬

26 *

dem gräßlichen Anblick. Darauf faßte mich, ich
weiß ſelbſt nicht wie, ein ſeltſamer Zorn, das
Phantom zu vernichten, das immer unbeweglich auf
mich ſah. Ich ſpornte mein Pferd, aber es ſtieg
ſchnaubend in die Höh und wollte nicht d'ran. Die
Angſt ſteckte mich am Ende mit an, ich konnte es
nicht aushalten, länger hinzuſeh'n, mein Pferd kehr¬
te unaufhaltſam um, eine unbeſchreibliche Furcht be¬
mächtigte ſich ſeiner und meiner, und ſo gieng es
Windſchnell durch Sträucher und Hecken, daß die
Aeſte mich hin und her blutig ſchlugen, bis wir
beyde athemlos wieder bey dem Schloſſe anlangten.
Das war jener Abend vor unſerer Gebirgsreiſe, da
ich ſo wild und ungebährdet that, als Du mit Fa¬
ber ruhig am Tiſch auf der Wieſe ſaſſeſt. — Spä¬
ter erfuhr ich, daß das Mädchen denſelben Abend
um dieſelbe Stunde geſtorben ſey. — Und ſo wolle
Gott jeden Schnapphan kuriren, denn ich habe mich
ſeitdem gebeſſert, das kann ich redlich ſagen!

Friedrich erinnerte ſich bey dieſer wunderlichen
Geſchichte an eine Nacht auf Leontins Schloſſe, wie
er Erwinen einmal von der Mauer ſich mit einem
fremden Manne unterhalten gehört, und dann ei¬
nen langen, dunklen Schatten von ihm in den
Wald hineingeh'n geſehen hatte. — Allerdings, ſag¬
te Leontin, habe ich ſelber einmal dergleichen be¬
merkt, und es kam mir zu meinem Erſtaunen vor,
als wäre es dieſelbe Geſtalt, die mir im Walde er¬
ſchienen. Aber Du weißt, wie geheimnißvoll Erwi¬

26 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0409" n="403"/>
dem gräßlichen Anblick. Darauf faßte mich, ich<lb/>
weiß &#x017F;elb&#x017F;t nicht wie, ein &#x017F;elt&#x017F;amer Zorn, das<lb/>
Phantom zu vernichten, das immer unbeweglich auf<lb/>
mich &#x017F;ah. Ich &#x017F;pornte mein Pferd, aber es &#x017F;tieg<lb/>
&#x017F;chnaubend in die Höh und wollte nicht d'ran. Die<lb/>
Ang&#x017F;t &#x017F;teckte mich am Ende mit an, ich konnte es<lb/>
nicht aushalten, länger hinzu&#x017F;eh'n, mein Pferd kehr¬<lb/>
te unaufhalt&#x017F;am um, eine unbe&#x017F;chreibliche Furcht be¬<lb/>
mächtigte &#x017F;ich &#x017F;einer und meiner, und &#x017F;o gieng es<lb/>
Wind&#x017F;chnell durch Sträucher und Hecken, daß die<lb/>
Ae&#x017F;te mich hin und her blutig &#x017F;chlugen, bis wir<lb/>
beyde athemlos wieder bey dem Schlo&#x017F;&#x017F;e anlangten.<lb/>
Das war jener Abend vor un&#x017F;erer Gebirgsrei&#x017F;e, da<lb/>
ich &#x017F;o wild und ungebährdet that, als Du mit Fa¬<lb/>
ber ruhig am Ti&#x017F;ch auf der Wie&#x017F;e &#x017F;a&#x017F;&#x017F;e&#x017F;t. &#x2014; Spä¬<lb/>
ter erfuhr ich, daß das Mädchen den&#x017F;elben Abend<lb/>
um die&#x017F;elbe Stunde ge&#x017F;torben &#x017F;ey. &#x2014; Und &#x017F;o wolle<lb/>
Gott jeden Schnapphan kuriren, denn ich habe mich<lb/>
&#x017F;eitdem gebe&#x017F;&#x017F;ert, das kann ich redlich &#x017F;agen!</p><lb/>
          <p>Friedrich erinnerte &#x017F;ich bey die&#x017F;er wunderlichen<lb/>
Ge&#x017F;chichte an eine Nacht auf Leontins Schlo&#x017F;&#x017F;e, wie<lb/>
er Erwinen einmal von der Mauer &#x017F;ich mit einem<lb/>
fremden Manne unterhalten gehört, und dann ei¬<lb/>
nen langen, dunklen Schatten von ihm in den<lb/>
Wald hineingeh'n ge&#x017F;ehen hatte. &#x2014; Allerdings, &#x017F;ag¬<lb/>
te Leontin, habe ich &#x017F;elber einmal dergleichen be¬<lb/>
merkt, und es kam mir zu meinem Er&#x017F;taunen vor,<lb/>
als wäre es die&#x017F;elbe Ge&#x017F;talt, die mir im Walde er¬<lb/>
&#x017F;chienen. Aber Du weißt, wie geheimnißvoll Erwi¬<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">26 *<lb/></fw>
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[403/0409] dem gräßlichen Anblick. Darauf faßte mich, ich weiß ſelbſt nicht wie, ein ſeltſamer Zorn, das Phantom zu vernichten, das immer unbeweglich auf mich ſah. Ich ſpornte mein Pferd, aber es ſtieg ſchnaubend in die Höh und wollte nicht d'ran. Die Angſt ſteckte mich am Ende mit an, ich konnte es nicht aushalten, länger hinzuſeh'n, mein Pferd kehr¬ te unaufhaltſam um, eine unbeſchreibliche Furcht be¬ mächtigte ſich ſeiner und meiner, und ſo gieng es Windſchnell durch Sträucher und Hecken, daß die Aeſte mich hin und her blutig ſchlugen, bis wir beyde athemlos wieder bey dem Schloſſe anlangten. Das war jener Abend vor unſerer Gebirgsreiſe, da ich ſo wild und ungebährdet that, als Du mit Fa¬ ber ruhig am Tiſch auf der Wieſe ſaſſeſt. — Spä¬ ter erfuhr ich, daß das Mädchen denſelben Abend um dieſelbe Stunde geſtorben ſey. — Und ſo wolle Gott jeden Schnapphan kuriren, denn ich habe mich ſeitdem gebeſſert, das kann ich redlich ſagen! Friedrich erinnerte ſich bey dieſer wunderlichen Geſchichte an eine Nacht auf Leontins Schloſſe, wie er Erwinen einmal von der Mauer ſich mit einem fremden Manne unterhalten gehört, und dann ei¬ nen langen, dunklen Schatten von ihm in den Wald hineingeh'n geſehen hatte. — Allerdings, ſag¬ te Leontin, habe ich ſelber einmal dergleichen be¬ merkt, und es kam mir zu meinem Erſtaunen vor, als wäre es dieſelbe Geſtalt, die mir im Walde er¬ ſchienen. Aber Du weißt, wie geheimnißvoll Erwi¬ 26 *

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/409
Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 403. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/409>, abgerufen am 05.05.2024.