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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815.

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diese Felsen hier auf meiner Brust, und ein Strom
von Thränen möchte aus dem tiefsten Herzen aus¬
brechen, um die Berge wegzuwälzen; ich muß
fort, ziehe Du auch mit! -- Friedrich schüttelte
lächelnd den Kopf, aber im Innersten war er trau¬
rig, denn er fühlte, daß sich ihr Lebenslauf nun
bedeutend und vielleicht auf immer scheiden werde.

Leontin zog endlich sein Pferd hervor und führ¬
te es langsam am Zügel hinter sich her, während
ihm Friedrich noch eine Strecke weit das Geleite
gab. Der volle Mond gieng eben über dem stillen
Erdkreise auf, man konnte in der Tiefe weit hin¬
aus den Lauf der Ströme deutlich unterscheiden.
Leontin war ungewöhnlich gerührt und drang noch¬
mals in Friedrich'n, mit hinunterzuzieh'n. Du weißt
nicht, was Du forderst, sagte dieser ernst, locke
mich nicht noch einmal hinab in die Welt, mir ist
hier oben unbeschreiblich wohl, und ich bin kaum erst
ruhig geworden. Dich will ich nicht halten, denn
das muß von Innen kommen, sonst thut es nicht
gut. Und also ziehe mit Gott! Die beyden Freun¬
de umarmten einander noch einmal herzlich, und
Leontin war bald in der Dunkelheit verschwunden.

Ihm zogen nun bald auch Vögel, Laub, Blu¬
men und alle Farben nach. Der alte grämliche
Winter saß melankolisch mit seiner spitzen Schnee¬
haube auf dem Gipfel des Gebirges, zog die bun¬
ten Gardinen weg, stellte wunderlich nach allen
Seiten die Kulissen der lustigen Bühne, wie in ei¬
ner Rumpelkammer, auseinander und durcheinander,

dieſe Felſen hier auf meiner Bruſt, und ein Strom
von Thränen möchte aus dem tiefſten Herzen aus¬
brechen, um die Berge wegzuwälzen; ich muß
fort, ziehe Du auch mit! — Friedrich ſchüttelte
lächelnd den Kopf, aber im Innerſten war er trau¬
rig, denn er fühlte, daß ſich ihr Lebenslauf nun
bedeutend und vielleicht auf immer ſcheiden werde.

Leontin zog endlich ſein Pferd hervor und führ¬
te es langſam am Zügel hinter ſich her, während
ihm Friedrich noch eine Strecke weit das Geleite
gab. Der volle Mond gieng eben über dem ſtillen
Erdkreiſe auf, man konnte in der Tiefe weit hin¬
aus den Lauf der Ströme deutlich unterſcheiden.
Leontin war ungewöhnlich gerührt und drang noch¬
mals in Friedrich’n, mit hinunterzuzieh’n. Du weißt
nicht, was Du forderſt, ſagte dieſer ernſt, locke
mich nicht noch einmal hinab in die Welt, mir iſt
hier oben unbeſchreiblich wohl, und ich bin kaum erſt
ruhig geworden. Dich will ich nicht halten, denn
das muß von Innen kommen, ſonſt thut es nicht
gut. Und alſo ziehe mit Gott! Die beyden Freun¬
de umarmten einander noch einmal herzlich, und
Leontin war bald in der Dunkelheit verſchwunden.

Ihm zogen nun bald auch Vögel, Laub, Blu¬
men und alle Farben nach. Der alte grämliche
Winter ſaß melankoliſch mit ſeiner ſpitzen Schnee¬
haube auf dem Gipfel des Gebirges, zog die bun¬
ten Gardinen weg, ſtellte wunderlich nach allen
Seiten die Kuliſſen der luſtigen Bühne, wie in ei¬
ner Rumpelkammer, auseinander und durcheinander,

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[450/0456] dieſe Felſen hier auf meiner Bruſt, und ein Strom von Thränen möchte aus dem tiefſten Herzen aus¬ brechen, um die Berge wegzuwälzen; ich muß fort, ziehe Du auch mit! — Friedrich ſchüttelte lächelnd den Kopf, aber im Innerſten war er trau¬ rig, denn er fühlte, daß ſich ihr Lebenslauf nun bedeutend und vielleicht auf immer ſcheiden werde. Leontin zog endlich ſein Pferd hervor und führ¬ te es langſam am Zügel hinter ſich her, während ihm Friedrich noch eine Strecke weit das Geleite gab. Der volle Mond gieng eben über dem ſtillen Erdkreiſe auf, man konnte in der Tiefe weit hin¬ aus den Lauf der Ströme deutlich unterſcheiden. Leontin war ungewöhnlich gerührt und drang noch¬ mals in Friedrich’n, mit hinunterzuzieh’n. Du weißt nicht, was Du forderſt, ſagte dieſer ernſt, locke mich nicht noch einmal hinab in die Welt, mir iſt hier oben unbeſchreiblich wohl, und ich bin kaum erſt ruhig geworden. Dich will ich nicht halten, denn das muß von Innen kommen, ſonſt thut es nicht gut. Und alſo ziehe mit Gott! Die beyden Freun¬ de umarmten einander noch einmal herzlich, und Leontin war bald in der Dunkelheit verſchwunden. Ihm zogen nun bald auch Vögel, Laub, Blu¬ men und alle Farben nach. Der alte grämliche Winter ſaß melankoliſch mit ſeiner ſpitzen Schnee¬ haube auf dem Gipfel des Gebirges, zog die bun¬ ten Gardinen weg, ſtellte wunderlich nach allen Seiten die Kuliſſen der luſtigen Bühne, wie in ei¬ ner Rumpelkammer, auseinander und durcheinander,

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Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 450. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/456>, abgerufen am 28.04.2024.