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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815.

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Vöglein hoch in Lüften reisen,
Schiffe fahren auf der See,
Ihre Segel, ihre Weisen
Mehren nur des Herzens Weh.
Ist vorbey das bunte Ziehen,
Lustig über Berg und Kluft,
Wenn die Bilder wechselnd fliehen,
Waldhorn immer weiter ruft?
Soll die Lieb' auf sonn'gen Matten,
Nicht mehr bau'n ihr prächtig Zelt,
Uebergolden Wald und Schatten,
Und die weite, schöne Welt? --
Laß das Bangen, laß das Trauern,
Helle wieder nur den Blick!
Fern von dieser Felsen Mauern,
Blüht dir noch gar manches Glück!

Beyde Freunde wurden still nach dem Liede
und giengen schweigend nebeneinander wieder nach
dem Schlosse zurück. Die abgefallenen Blätter ra¬
schelten schon unter ihren Tritten auf dem Boden,
ein herbstlicher Wind durchstrich den seufzenden
Wald und verkündigte, daß die fröhliche Sommers¬
zeit bald Abschied nehmen wolle. Sie schienen bey¬
de besonderen Gedanken und Entschlüssen nachzuhän¬
gen, die sie an jenem Platze gefaßt hatten.

Als der Mond die alten Zinnen des Schlosses
beleuchtete, trat Leontin auf einmal reisefertig vor
Friedrich. Ich ziehe fort, sagte er, der Winter
kommt bald, mir ist als läge das ganze Leben wie

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Vöglein hoch in Lüften reiſen,
Schiffe fahren auf der See,
Ihre Segel, ihre Weiſen
Mehren nur des Herzens Weh.
Iſt vorbey das bunte Ziehen,
Luſtig über Berg und Kluft,
Wenn die Bilder wechſelnd fliehen,
Waldhorn immer weiter ruft?
Soll die Lieb' auf ſonn'gen Matten,
Nicht mehr bau'n ihr prächtig Zelt,
Uebergolden Wald und Schatten,
Und die weite, ſchöne Welt? —
Laß das Bangen, laß das Trauern,
Helle wieder nur den Blick!
Fern von dieſer Felſen Mauern,
Blüht dir noch gar manches Glück!

Beyde Freunde wurden ſtill nach dem Liede
und giengen ſchweigend nebeneinander wieder nach
dem Schloſſe zurück. Die abgefallenen Blätter ra¬
ſchelten ſchon unter ihren Tritten auf dem Boden,
ein herbſtlicher Wind durchſtrich den ſeufzenden
Wald und verkündigte, daß die fröhliche Sommers¬
zeit bald Abſchied nehmen wolle. Sie ſchienen bey¬
de beſonderen Gedanken und Entſchlüſſen nachzuhän¬
gen, die ſie an jenem Platze gefaßt hatten.

Als der Mond die alten Zinnen des Schloſſes
beleuchtete, trat Leontin auf einmal reiſefertig vor
Friedrich. Ich ziehe fort, ſagte er, der Winter
kommt bald, mir iſt als läge das ganze Leben wie

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[449/0455] Vöglein hoch in Lüften reiſen, Schiffe fahren auf der See, Ihre Segel, ihre Weiſen Mehren nur des Herzens Weh. Iſt vorbey das bunte Ziehen, Luſtig über Berg und Kluft, Wenn die Bilder wechſelnd fliehen, Waldhorn immer weiter ruft? Soll die Lieb' auf ſonn'gen Matten, Nicht mehr bau'n ihr prächtig Zelt, Uebergolden Wald und Schatten, Und die weite, ſchöne Welt? — Laß das Bangen, laß das Trauern, Helle wieder nur den Blick! Fern von dieſer Felſen Mauern, Blüht dir noch gar manches Glück! Beyde Freunde wurden ſtill nach dem Liede und giengen ſchweigend nebeneinander wieder nach dem Schloſſe zurück. Die abgefallenen Blätter ra¬ ſchelten ſchon unter ihren Tritten auf dem Boden, ein herbſtlicher Wind durchſtrich den ſeufzenden Wald und verkündigte, daß die fröhliche Sommers¬ zeit bald Abſchied nehmen wolle. Sie ſchienen bey¬ de beſonderen Gedanken und Entſchlüſſen nachzuhän¬ gen, die ſie an jenem Platze gefaßt hatten. Als der Mond die alten Zinnen des Schloſſes beleuchtete, trat Leontin auf einmal reiſefertig vor Friedrich. Ich ziehe fort, ſagte er, der Winter kommt bald, mir iſt als läge das ganze Leben wie 29

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Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 449. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/455>, abgerufen am 28.04.2024.